III. Der idealtypische Herrschaftsanspruch
Allgemein gilt somit: Weltanschauungsdiktaturen fordern nicht nur ein systembeziehungsweise ideologiekonformes Verhalten. Im Interesse einer dauerhaften
und dauerhaft stabilen Existenz benötigen sie Menschen, die in Übereinstimmung mit der Systemideologie ideologiekonforme Überzeugungen in einem
möglichst umfassenden Sinne ausgebildet haben. Sie benötigen Menschen, die
insbesondere auch die Modalitäten der Herrschaftsausübung akzeptieren. Gewähr für eine solche Akzeptanz bietet allerdings nur der irrational Überzeugte.
Ideologiegeleitete Diktaturen sind darauf ausgerichtet, repressive Macht,
die auf der Androhung oder dem Vollzug von Sanktionen für unangepasstes
Verhalten beruht, und kompensatorische Macht, die auf der Inaussichtstellung
oder Verteilung von Gütern und Positionen für angepasstes Verhalten beruht,
durch konditionierte Macht zu ersetzen, die auf der Fähigkeit beruht, die Bedürfnis- und Interessenarchitektur sowie die Urteils- und Willensbildung der Gemeinschaftsmitglieder entsprechend der Systemideologie zu formen.8
In diesem
Sinne hatte Lenin „Gewalt" nur „gegenüber denjenigen" vorgesehen, „die ihre
Herrschaft wieder aufrichten wollen". Damit sei „die Bedeutung der Gewalt erschöpft"; weiter komme „es schon auf den Einfl uss und auf das Beispiel an".9
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8 Zu den drei genannten Machtformen vgl. John Kenneth Galbraith, Anatomie der
Macht, München 1989, S. 14 f.
9 Wladimir I. Lenin, Rede in der Aktivversammlung der Moskauer Organisation der KPR
(B), 6. Dezember 1920. In: Ders., Werke, Berlin 1959, Band 31, S. 452.
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