Die Unvermeidbarkeit der Wertung
Sich an die „Gesetze" zu halten, also den Befehlen der Regierung zu gehorchen, gilt als Schlüssel für eine zivilisierte Gesellschaft. Nur Menschen, die „sich an die Regeln halten", sind gute Menschen. So wird es einem ständig eingeimpft. Tatsächlich aber sind Moral und Gehorsam meist direkte Gegensätze. Irgendeiner „Autorität" blind zu gehorchen ist der größte Verrat an der Menschheit, den es geben kann. Der freie Wille und die Wertmaßstäbe des Einzelnen sind es, was uns zu Menschen macht und uns die Fähigkeit verleiht, zu beurteilen, was moralisch ist. Blinder Gehorsam reduziert den Menschen dagegen auf einen unverantwortlichen Roboter. Der religiöse Glaube an die „Autorität" führt zur Vorstellung, dass das Individuum dazu verpflichtet sei, seine eigenen Wertungen und Entscheidungsfindungen zu ignorieren und den Gehorsam über alles andere zu stellen. Das ist in sich widersprüchlich und absurd. Dieser Wahnsinn kann wie folgt auf den Punkt gebracht werden:
„Ich glaube, dass es gut ist, dem Gesetz zu gehorchen. Ich sollte mich so verhalten, wie es mir der Gesetzgeber befiehlt. Anstatt selbst zu entscheiden, was ich tue, sollte ich mich der Regierung unterwerfen. Ich sollte keine eigenen Entscheidungen treffen. Es ist besser, wenn mir alles was ich tun soll von Menschen in Machtpositionen diktiert wird. Es ist richtig für mich, den Entscheidungen anderer zu folgen und es ist falsch für mich, meinen eigenen Entscheidungen zu folgen. Ich entscheide, dass ich nicht entscheiden sollte."
Immer wenn das eigene Gewissen dem widerspricht, was das „Gesetz" anordnet, gibt es zwei Wahlmöglichkeiten: Entweder folgt die betreffende Person dem eigenen Gewissen und ignoriert das sogenannte „Gesetz", oder sie fühlt sich dazu verpflichtet, sich an das „Gesetz" zu halten, auch wenn dieses als falsch angesehen wird. Es ist schizophrener Irrsinn, wenn ein Mensch glaubt, dass es gut für ihn sei, das zu tun, was er für schlecht hält. Ob das individuelle Urteil falsch ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Wenn klar ist, dass jeder Einzelne dazu verpflichtet ist, immer und überall das zu tun, was auch immer er für richtig hält, dann kann er keinerlei moralische Verpflichtung haben, irgendeiner außenstehenden „Autorität" zu gehorchen.
Nochmal: Wenn ein „Gesetz" mit dem individuellen Urteil übereinstimmt, dann ist das „Gesetz" irrelevant. Wenn das „Gesetz" dagegen dem individuellen Urteil widerspricht, dann ist das „Gesetz" nicht rechtmäßig, sondern Unrecht. In beiden Fällen hat das „Gesetz" keine „Autorität".
(Eine Pflicht, einer „Autorität" zu gehorchen ist nicht das gleiche wie Menschen, die freiwillig ihr Verhalten ändern, um friedlich zusammenzuleben. Beispiel: Wenn jemand zwar denkt, dass er das Recht dazu hat, laute Musik in seinem eigenen Garten zu spielen, er es aber trotzdem auf Bitten seines Nachbarn nicht tut. Oder jemand kleidet sich anders, redet und verhält sich anders, wenn er eine fremde Kultur besucht oder wenn er sich in einem Umfeld befindet, in dem sein gewöhnliches Verhalten andere beleidigt. Es gibt viele Faktoren, die beeinflussen, was wann und wo als angemessen gilt und was nicht. Den religiösen Glauben an die „Autorität" als solchen zu erkennen, ist nicht das gleiche, wie einfach nicht zu beachten, was andere denken. Sich an Traditionen und andere Verhaltensnormen zu halten, um Konflikte zu vermeiden, ist meist sehr rational und nützlich. Es ist allerdings nicht vernünftig, sich moralisch zu etwas verpflichtet zu fühlen, was man selbst unter den gegebenen Umständen als falsch bewertet.)
Verantwortung entsteht aus der Tatsache, dass der Mensch ein denkfähiges Wesen ist. Der religiöse Glaube an die „Autorität" dient Menschen, die vor dieser Verantwortung davonlaufen wollen, als geistige Prothese. Sich auf den Glauben an die „Autorität" zu berufen, ist der Versuch, die Verantwortung für Entscheidungen an jene zu übertragen, die behaupten, die „Autorität" zu sein. Die typische Ausrede lautet: „Ich mache die Gesetze nicht." Auf diese Weise vor der eigenen Verantwortung davonzulaufen, ist widersprüchlich, weil die Voraussetzung dafür ist, sich dafür entschieden zu haben, zu tun, was einem gesagt wird. Sogar das, was als blinder Gehorsam erscheint, ist nur das Ergebnis der persönlichen Entscheidung zu gehorchen. Sich nicht für irgendetwas zu entscheiden ist nicht möglich. Oder wie es im Song „Free Will" von Rush heißt: „Wenn du dich entscheidest, dich nicht zu entscheiden, hast du dich trotzdem entschieden."
Die Ausrede „ich halte mich nur an die Gesetze" lenkt geschickt von der Tatsache ab, dass man sich dazu entschieden hat, der „Autorität" zu gehorchen. Auch wenn eine „Autorität" festlegt: „Du musst mir gehorchen", so wie es unzählige „Autoritäten" verlangt haben, die untereinander im Konflikt standen, muss sich der Einzelne immer noch, für eine entscheiden. Dass die meisten Menschen kaum einen Gedanken an solche Dinge verschwenden, ändert nichts daran, dass sie die Wahl hatten, nicht zu gehorchen und dass sie deshalb voll verantwortlich für ihre Handlungen sind. Konkret sind sie dafür verantwortlich, dass sie sich durch eine „Autorität" entlasten. Es ist unmöglich, nicht selbst zu urteilen und keine Entscheidung zu treffen. Zu behaupten, dass irgendwer oder irgendwas stellvertretend die Entscheidungen trifft und dass man vollkommen unbeteiligt ist und deswegen keinerlei Verantwortung für die Konsequenzen hat, ist vollkommen irrsinnig. Loyaler Gehorsam gegenüber einer „Autorität" ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein krankhafter Versuch, vor der Verantwortung, ein Mensch zu sein, davonzulaufen und sich selbst auf eine stupide, moralfreie, programmierbare Maschine zu reduzieren.
Jeder Einzelne trifft jederzeit seine eigenen Entscheidungen, für die er persönlich verantwortlich ist. Auch die Autoritätsgläubigen entscheiden sich, an die „Autorität" zu glauben und sie sind dafür verantwortlich, dieses zu tun. Die „Autorität" ist eine reine Wahnvorstellung, von der die Menschen glauben, dass sie sie von der Verantwortung befreit, indem sie einfach nur das tun, was ihnen gesagt wird. Etwas persönlicher ausgedrückt:
Deine Handlungen unterliegen vollständig deinen eigenen Werturteilen und deinen eigenen Entscheidungen. Irgendeinen externen Faktor, zum Beispiel die „Autorität", für dein Verhalten verantwortlich zu machen, ist feige und unehrlich. Du hast die Entscheidung getroffen und du bist verantwortlich. Auch wenn du blind irgendeiner selbsternannten „Autorität" gehorchst, tust du das aus deiner eigenen Entscheidung. Die Behauptung, dass es etwas außerhalb von dir selbst gibt, das dir deine Entscheidungen abnimmt - die Behauptung, dass du keine andere Wahl hättest als der „Autorität" zu gehorchen - ist eine feige Lüge.
Auf dem Weg zu Wahrheit und Moral gibt es keine Abkürzung. Glaubenssysteme bedeuten nur: „Um herauszufinden, was wahr ist, muss ich nur meine unfehlbare ,Autorität' fragen. Und ich weiß, dass meine ,Autorität' immer recht hat, weil sie mir erzählt, dass sie immer recht hat." Es gibt unzählige konkurrierende, widersprüchliche „Autoritäten" und jede einzelne von ihnen hält sich selbst für die Quelle der Wahrheit. Deshalb ist es nicht nur irgendein guter Gedanke, selbst für sich zu entscheiden, was gut und was schlecht ist. Es ist schlicht und einfach unvermeidbar. Nur das Individuum kann entscheiden, woran es glaubt. Wer sich für anständig hält, weil er ein politisches, religiöses oder sonstiges Wertesystem hat, das auf dem Glauben an die „Autorität" aufbaut, realisiert das nicht. Das Individuum ist immer die letzte Entscheidungsinstanz. Es greift immer auf sein eigenes Urteil zurück, um zu entscheiden, woran es glaubt und was es zu tun hat.
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