Medien
Medien weisen begriffsgeschichtlich einen komplexen Bedeutungshorizont auf (vgl. Hoffmann, 2002), sind aber erst einmal in allgemeiner Hinsicht als Vermittlungstechniken und -instanzen zu verstehen. Der Anthropologie zufolge entstehen aus erstem Werkzeuggebrauch und dessen Pflege und Verbesserung (zur Bearbeitung und Veränderung der widerständigen Natur) immer weitere Techniken und Technologien, die für die psychophysische Gestalt des Menschen Ergänzung, Verstärkung und Entlastung (nicht selten aber auch Belastung) bedeuten (vgl. Leroi-Gourhan, 1980; Gehlen, 2003: 6f.). McLuhan (1968) schließt daran an und qualifiziert jede neue Technik- und Medienerfindung als Ausweitung oder Selbstamputation des Körpers und seiner Sinnestätigkeit. Von Medien im engeren Sinne lässt sich - in Differenz zum Werkzeugbegriff - genauer erst dann sprechen, wenn sie unser Sosein, unsere Bewusstseinsstrukturen und unsere Möglichkeiten und Formen der „Ausdrücklichkeit" verändern und uns letztlich zu „Servomechanismen" ihrer selbst machen. Aus technik- und kulturwissenschaftlicher Perspektive wiederum leisten Medien respektive die so genannten „Aufschreibesysteme", die Fixierung, Übertragung, Archivierung und weitere Verarbeitung von Informationen (vgl. Kittler, 1995; 2002). Auch hier wurde zunehmend die „Neutralität" von Medien und Nachrichtentechnik aufgegeben zu Gunsten der Einsicht, dass sie unser Denken, Wissen und Handeln unhintergehbar beeinflussen und mit prägen. Alle medienwissenschaftlichen und kultur- wie mediensoziologischen Diskurse neueren Datums sind sich demzufolge einig, dass jegliche moderne Welt-, Sozial- und Selbsterfahrung medienbasiert und medienbedingt ist.
Während die Soziologie in ihrer Frühphase dem Untersuchungsbereich und Begriff der Medien kaum Beachtung geschenkt hat, schließt sie in den 1960er Jahren vermehrt an die technik- und informationstheoretische Beschreibung an und fokussiert sich (kritisch) auf Funktion und Prozesse der Massenmedien (Presse, Radio, Fernsehen) sowie - von jenen stimuliert und unterstützt - auf die Genese und politische Gegenmacht der Sphäre der modernen Öffentlichkeit (vgl. Lippmann, 1922; Habermas, 1990; Luhmann, 1996). Entscheidend wird die Einsicht, dass Massenmedien durch technische Mittel konkrete Interaktionen zwischen Personen substituieren und ausschließen und ihre selektiv relevanten Informationen an eine Vielzahl unbekannter Adressen und Rezipienten verbreiten (vgl. Maletzke, 1963: 76f.; Luhmann, 1996: 10f.).
Jenseits einer Engführung auf technische Massenmedien legt Talcott Parsons eine erste allgemeine soziologische Medientheorie vor, die dem Modell der Sprache und des Geldes abgelesen ist und auf theorieinterne Fragen der sozialen Motivation und der gesellschaftlichen (Struktur-)Ordnung reagiert (vgl. Parsons, 1980; Künzler, 1989). Er präsentiert fünf allgemeine Eigenschaften, die Medien generell besitzen (respektive besitzen müssen, wenn sie aus analytischer Perspektive Medien sein sollen): (1) Symbolisierung, (2) Institutionalisierung, (3) spezifische Sinnbedeutung und Wirkungsweise, (4) Zirkulationsfähigkeit, (5) kein Nullsummen-Charakter (vgl. Parsons, 1980: 230f.).
Im Anschluss an Parsons formuliert Niklas Luhmann eine erweiterte allgemeine soziologische Medientheorie, welche seine Gesellschafts- und Kommunikationstheorie verschaltet und auf konstitutive „Unwahrscheinlichkeiten" abstellt. Medien sind jetzt all jene gesellschaftlichen Errungenschaften, die Unwahrscheinlichkeit in Wahrscheinlichkeit überführen (vgl. Luhmann, 1984: 220) und damit Erwartungen (bzw. Erwartungserwartungen), kommunikative Akzeptanz, gezielte soziale Anschlussoperationen und letzthin gesellschaftliche Ordnung stabilisieren. Analytisch sind zu unterscheiden (Luhmann, 1984: 220ff.): Verstehensmedien (Sprache), Verbreitungsmedien (Presse, Funk, Fernsehen etc.) und Erfolgs- bzw. symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien (Geld, Macht, Recht, Liebe, Wahrheit etc.).
In Reaktion auf Luhmanns Beschreibung und ergänzende medienwissenschaftliche Erkenntnisse hat sich in der (Medien-)Soziologie folgender Definitionsvorschlag herausgebildet, der erstens Medien- und Gesellschaftstheorie zusammenbringt und zweitens funktionalistisch-evolutionär ausgerichtet ist: „Medien sind gesellschaftliche Einrichtungen und Technologien, die etwas entweder materiell oder symbolisch vermitteln und dabei eine besondere Problemlösungsfunktion übernehmen." (Zie- mann, 2012: 17) Mit der jeweils erreichten medialen Lösung entstehen allerdings stets neue Probleme, an die weitere, andere (Test-)Lösungen anschließen und zur Steigerung wie Ausweitung kommunikativer Möglichkeiten beitragen und damit
auch das Verhältnis von Gesellschaft und Medienkultur umformen und verändern (vgl. Ziemann, 2011).
Bezüglich der konstitutiven Interdependenz zwischen Medien, Gesellschaft, Kultur und Bewusstsein hat sich auf mikrologischem Niveau die neue Begrifflichkeit der „Medialisierung" - alles Handeln ist von Medien begleitet und durchdrungen - durchgesetzt (vgl. Wenzel, 2001; Saxer, 2012); und auf makrologischem Niveau hat sich dafür die Semantik der „Mediengesellschaft" - alle Vergesellschaftungsbereiche werden von der Logik des Systems der Massenmedien bzw. Medienindustrie begleitet und überformt - etabliert (vgl. Ziemann, 2011: 205ff.; Saxer, 2012).
No Comments