Markt
Märkte werden in der Soziologie als sozial geregelte, strukturierte Orte definiert, an denen Güter und Leistungen getauscht werden. Marktbeziehungen werden als eine besondere Form von Tauschbeziehungen verstanden. „Der Tausch kann sich auf alles erstrecken, was sich in irgendeiner Art in die Verfügung eines anderen ,übertragen' lässt und wofür ein Partner Entgelt zu geben bereit ist" (Weber, 1985: 37). Mit Max Weber wird dann von einem Markt gesprochen, wenn mehrere Anbieter oder Nachfrager, um Tauschchancen konkurrieren. Erst wenn auf mindestens einer Seite - Anbieter oder Nachfrager - um Tauschchancen „gekämpft" wird, wird von Markt gesprochen. Der Markt kennt daher den Wettbewerb zwischen mehreren Anbietern (bzw. Nachfragern) und er kennt den Preiskampf zwischen Anbietern und Nachfragern.
Im Unterschied zur Standardökonomie, die mit dem Konzept des vollkommenen Wettbewerbs ein allgemeines, von konkreten sozial-historischen Kontexten abstrahierendes Modell des Marktes verwendet, geht die Soziologie von der sozialen Konstitution konkreter Märkte (Massengütermärkte für Weizen, Finanzmärkte, Messen, Börsen usw.) aus und will die gesellschaftlichen Folgen von Märken und einer zunehmenden Marktkoordination bzw. Marktvermitteltheit sozialer Beziehungen analysieren.
Ausgangspunkt des modernen sozialwissenschaftlichen Denkens über Märkte ist das Werk von Adam Smith (1723-1790). Dort wird der Markt als ein vorteilhafter Abstimmungsmechanismus rationaler Individuen entdeckt, der es den Menschen erlaubt, die Vorzüge von Arbeitsteilung und Spezialisierung zu realisieren, ohne Moral und Selbstlosigkeit voraussetzen zu müssen. „Dagegen ist der Mensch immer auf Hilfe angewiesen, wobei er jedoch kaum erwarten kann, daß er sie allein durch das Wohlwollen der Mitmenschen erhalten wird. Er wird sein Ziel wahrscheinlich viel eher erreichen, wenn er deren Eigenliebe zu seinen Gunsten zu nutzen versteht, indem er ihnen zeigt, daß es in ihrem Interesse liegt, das für ihn zu tun, was er von ihnen wünscht" (Smith, 1978: 17). Adam Smith hat freilich auch darauf hingewiesen, dass die Marktkoordination immer auch durch einen Staat gerahmt werden sollte, wenn öffentliche Güter, Arbeiterbildung und die Nachregelung ungewollter Effekte des Marktes wichtig werden. Im Anschluss an Smith wird der Markt in der ökonomischen Theorie als universell vorteilhafte Koordinationsform aufgegriffen. Dafür wesentlich sind drei Mechanismen, die dem Markt zugesprochen werden: a) die Motivation zu Tauschhandlungen, b) die Vorteile aus Arbeitsteilung und Spezialisierung und c) die Koordinationswirkung von Wettbewerbspreisen.
Innerhalb der Soziologie wird hingegen vor allem die Grundidee von Max Weber (1864-1920) - und anderen Sozialanthropologen und Wirtschaftshistorikern wie etwa Karl Polanyi - aufgegriffen, wonach Tauschbeziehungen in unterschiedliche Vorstellungswelten und Sozialstrukturen eingebunden sind und Märkte daher sehr verschieden aussehen und funktionieren können (vgl. Aspers, 2011). Max Weber definiert Wirtschaften allgemein als ein Handeln, das auf die Bereitstellung begehrter Nutzleistungen ausgerichtet ist. In verschiedenen Gesellschaften bilden sich dazu unterschiedliche Institutionen aus, die sich aufgrund der erreichten Berechenbarkeit und Planbarkeit (Rationalität) erheblich unterscheiden (Weber, 1985: 35). Die Institutionen des modernen, rationalen kapitalistischen Wirtschaftens: Massenmärkte, private Wirtschaftsbetriebe und der kapitalistische Geist, bewirken ein Höchstmaß an formaler Rationalität in der Bereitstellung nachgefragter Güter. Nach Weber können sich dann private Wirtschaftsbetriebe beim Kampf um Tauschchancen an Marktpreisen orientieren und die rationalen Verfahren der Buchführung verwenden. Damit wird die Produktion, die Verteilung und der Konsum von traditionalen, wertorientierten und emotionalen Handlungsweisen weitgehend ,befreit' (Weber, 1985: 383).
Während sich die ökonomische Theorie im 20. Jahrhundert als eine Theorie der Marktkoordination auf Basis einer subjektiven Nutzentheorie entwickelt hat, wurde der Markt - wie Wirtschaften allgemein - in der Soziologie lange Zeit gar nicht mehr betrachtet. Das änderte sich mit der neuen Wirtschaftssoziologie und den neuen Institutionentheorien in den 1980er Jahren (Maurer, 2008). Im Anschluss daran entstanden soziologische Marktkonzepte und empirische Studien, in denen die soziale Konstitution, die soziale Einbettung und die Vielfalt sozialer Marktformen erforscht werden. In vielen netzwerktheoretischen Studien werden seither die Merkmale sozialer Beziehungen daraufhin analysiert, wie sie das Handeln auf Märkten beeinflussen. Vor allem die unsicherheitsreduzierenden Wirkungen sozialer Beziehungsnetzwerke stehen dabei im Vordergrund. Mark Granovetter wirkte dabei stilbildend, indem er die Effekte starker und schwacher Beziehungen in Form von verbesserter Information, Vertrauensbildung oder Kontrolle untersucht hat (Granovetter, 2000). In umfassenden Markt-, Branchen- und regionalen Studien werden heute längst auch die Effekte spezifischer Beziehungsnetzwerke sowie auch der institutionellen Einbettung auf die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit von Wirtschaftsakteuren und -systemen analysiert. Bekannt geworden sind vor allem die Netzwerkstudien aus dem Silicon Valley, welche aus der spezifischen Vernetzung von Universität, Wirtschaftsbetrieben, Kapitalgebern und Beratern (Banken, Rechtsanwaltskanzleien usw.) die Entstehung von Start-ups und die hohe Flexibilität dieser Wirtschaftsregion erklären. In anderen Studien werden die Effekte der institutionellen Einbettung von Märkten in formale und informale Regeln und Ordnungen thematisiert und damit relative Erfolge erklärt. Auch stehen in neueren Ansätzen soziale Aushandlungsprozesse im Mittelpunkt,
welche überhaupt erst zur Entstehung von Märkten führen, indem etwa der Wert von Gegenständen definiert und quantifiziert wird, Gegenstände überhaupt zur Ware werden (Liebe, Leben usw.) und bislang unveräußerliche einmalige Werke wie Kunst oder Heilsgewissheit vermarktet und Akteure als Tauschpartner gesetzt werden (vgl. Maurer & Mikl-Horke, 2015, Kap. 5).
Neben vielen wirtschaftssoziologischen Marktanalysen sind in den letzten Jahren auch vermehrt normative und kritische Marktstudien vorgelegt worden. Diese thematisieren die Bedrohung oder Zerstörung der moralisch-normativen Grundlagen des sozialen Zusammenlebens (Verlust an normativer Integration, moralischer Werte, zunehmende Tauschwertorientierung) und betonen davon ausgehend die Notwendigkeit einer normativen Fundierung der Wirtschaft. War zu Beginn des 20. Jahrhunderts die große Frage, ob ein marktwirtschaftlicher Kapitalismus oder ein planwirtschaftlicher Sozialismus die bessere Wirtschafts- und Gesellschaftsform sei, stehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts alternative Wirtschaftsformen (self governance, Allmendewirtschaft, commons), die sozial-ideelle Einhegungen der Marktwirtschaft und Reformen der beiden großen Institutionen: Markt und Unternehmenshierarchie, im Mittelpunkt (Herzog & Honneth, 2014).
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