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Die globale Revolution Make Money, not War! Oder Die neue Macht der Märkte

"Es ist heute eine Realität, dass jede Regierung, welche gegen die Forderung der internationalen Finanz auf unbegrenzte Gewinne verstösst - durch erhöhte Einkommenssteuer zum Beispiel, oder durch steigende Abgaben auf Finanztransaktionen -, eine Situation vorfinden wird, die von Kapitalflucht und Währungsschwäche gekennzeichnet ist."

Paul Kennedy

Was hat man eigentlich unter dem Begriff der "Globalisierung" zu verstehen, über den alle Welt gegenwärtig unablässig redet? Bei genauerem Nachfragen werden die Antworten immer diffuser, wie das bei komplexen Begriffen eben allzuoft der Fall ist. Es sei hier daher eine Antwort versucht: Der Begriff der Globalisierung fokussiert in sich verschiedene, mehr oder weniger voneinander unabhängig verlaufende Entwicklungstrends von Wirtschaft und Gesellschaft, national wie international. Der Begriff bezieht sich nur vordergründig auf die wachsende Unabhängigkeit der internationalen Märkte und grosser internationaler Industrie- und Dienstleistungsunternehmen von den einzelnen Nationalstaaten, allen voran der internationale Finanz- und Kapitalmarkt. Dabei ist diese zunehmende Autonomisierung der Finanzmärkte, verbunden mit den Möglichkeiten der modernen

Kommunikationstechnologie, das wirklich entscheidend Neue an der gegenwärtigen Globalisierung der Wirtschaft, denn ihre blosse Internationalisierung als solche ist alles andere als neu, dieser Prozess ist fast so alt wie der Kapitalismus selbst.

Der Begriff der Globalisierung hat aber gemeinhin in der gegenwärtigen Diskussion wesentlich breitere Implikationen. Er meint in der Regel ein ganzes Bündel von Entwicklungen und Trends in den reichen Industrieländern des Westens, die in ihren Wirkungen zwar oft eng miteinander verflochten sind, dennoch aber bisweilen ganz unterschiedliche Ursachen haben und in ihren Auswirkungen dann lediglich unter dem Begriff der Globalisierung eingeordnet werden: Neben der Internationalisierung und Autonomisierung der Märkte ist dies vor allem die Tertiarisierung der reifen Volkswirtschaften, d.h. der Rückgang des Anteils der Industrie, des zweiten Sektors, bei der Wertschöpfung und Beschäftigung zugunsten von Dienstleistungen, dem dritten Sektor in der Wirtschaft; dann die innergesellschaftliche Individualisierung der Lebensstile und -entwürfe, d.h. ein stetiges Anwachsen von Singles und ein Abnehmen von Familien und die entsprechenden kulturellen und materiellen Folgen, inklusive einer eindeutigen Dominanz der Stadt als vorherrschender soziokultureller Lebensform; und mit dieser Individualisierung korrespondiert eine Umkehrung der Alterspyramide in den meisten westlichen Gesellschaften, eine demographische Revolution, mit all den daraus sich ergebenden sehr ernsten Problemen. Anders gesagt: Wir haben es bei der Globalisierungsdebatte also mit einer sehr spezifischen, ja vor allem egoistisch westlichen Sicht der Dinge zu tun. Derselbe Prozess sieht z.B. aus der Perspektive Chinas völlig anders aus, wieder anders von Osteuropa oder gar Russland her gesehen, und aus der Sicht etwa eines zentralafrikanischen Staates würde man erneut zu einer grundsätzlich anderen Beschreibung und Bewertung derselben Entwicklung kommen.

Für die Schwellenländer beispielsweise bedeutet die Globalisierung eine grosse Chance zum ökonomischen Durchbruch auf das Niveau der reichen und international dominanten Länder des Westens, für die Länder der neu entstandenen Vierten Welt hingegen zeichnet sich ein weiteres Abrutschen in den Teufelskreis des faktischen Ausschlusses aus dem Weltmarkt und damit eine dramatische Zunahme des Teufelskreises von Unterentwicklung, Übel und Gewalt ab; und für die reichen Länder des Westens bedeutet die Globalisierung vor allem den drohenden Abstieg zugunsten neu auftauchender Konkurrenten, eine Bedrohung ihres Reichtums, ihrer Macht und damit ihrer führenden Stellung in der globalen Konkurrenz. Unter der Globalisierungsdebatte wird hier also vor allem der westliche Diskurs verstanden, und in dieser Debatte fragt sich der Westen nach seiner künftigen Rolle in einer dramatisch wachsenden und technologisch veränderten Weltwirtschaft mit ihren neuen Märkten, neuen Arbeitsteilungen und neuen Konkurrenten und Rivalen.

Völlig missverstehen würde man daher die aktuelle Globalisierungsdebatte z.B. in den deutschen Medien, wenn man von ihr eine wirklich globale Perspektive erwarten würde, denn es handelt sich bei ihr keineswegs um einen globalen, d.h. die unterschiedlichen Interessen und Perspektiven der Nationen und Regionen dieser Erde zusammenführenden Diskurs: Die drei grossen Übel des kommenden 21. Jahrhunderts sind bereits heute identifiziert und werden auf zahlreichen internationalen Konferenzen analysiert und in Sonntagsreden laut beklagt. Es sind dies: Überbevölkerung, Unterentwicklung und Umweltzerstörung. Aber eine sich globalisierende Welt,

die von dramatischen Übergangskrisen geschüttelt wird, verschliesst vor diesen wahrhaft globalen und zudem hochgefährlichen Herausforderungen im politischen und wirtschaftlichen Alltag scheinbar immer entschlossener die Augen. Einerseits haben das Ende des Kalten Krieges und der Prozess der Globalisierung den Weltmarkt um 2-3 Milliarden Menschen erweitert, und diese Tatsache allein wird eine globale Neuverteilung der Lebenschancen erzwingen (und diese Neuverteilung war und ist übrigens - so ironisch kann Geschichte eben manchmal sein! - eine uralte Forderung des linken Internationalismus) Andererseits bedeutet dies einen erheblichen Zuwachs an quantitativem Wirtschaftswachstum, welches so, wie es angelegt ist, notwendigerweise eine erhebliche Verschärfung der globalen Umweltbelastung - höherer Energieverbrauch, zunehmende Motorisierung, grössere Schadstoffemissionen, Verstärkung des Treibhauseffekts, anhaltender Wald-, Flächen- und Artenverlust, etc. - und damit wachsende Verteilungskonflikte um knappe Ressourcen mit sich bringen muss. Alle beteiligten Staaten und internationale Organisationen, vorneweg die Vereinten Nationen (UN), wissen, was dagegen nicht nur zu tun ist, sondern bereits heute und schnellstens getan werden muss, damit es nicht innerhalb der nächsten beiden Jahrzehnte zu schlimmen ökologischen Katastrophen und, damit einhergehend, auch zu schweren politischen Krisen und Verteilungskämpfen bei einer nach wie vor wachsenden Weltbevölkerung kommt. Vor allem wissen dies die Hauptverursacher dieses globalen

Zukunftsproblems nur zu gut, nämlich die reichen westlichen Volkswirtschaften, angeführt von der Supermacht USA: Der reiche Norden müßte seine Volkswirtschaften ökologisch umsteuern, müßte seinen

Ressourcenverbrauch absenken, damit der Süden aufholen kann. Andernfalls ist ein gewaltiger ökologischer Crash in dem begrenzten Ökosystem Erde mit seinen endlichen Ressourcen in absehbarer Zeit unausweichlich. In dieser Frage entscheiden nicht Werte oder gar Ideologien, sondern allein die Naturgesetze und ihre negativen Wirkungen, die eine von Menschen ins Werk gesetzte Zerstörung der Umwelt hervorrufen. Über Naturgesetze lässt sich nur schwer streiten. Man kann sie zwar eine Zeitlang ignorieren, aber dann werden ihre Ergebnisse nur um so nachhaltiger zu Katastrophen führen.

Der heutige konsumistische Lebensstil des Westens ist nicht auf weitere 3 Milliarden Menschen übertragbar, ohne dass es zu einer schweren Beschädigung der globalen Ökosphäre kommt, andererseits gibt es aber kein moralisches, politisches und ökonomisches Argument, ausser der nackten Macht, die den Menschen der armen Welt dauerhaft den Zugang zu den Segnungen der westlichen Konsumkultur und ihres exorbitanten Ressourcenverbrauchs verweigern könnte. Aber auch ein solcher Ausschluss funktioniert nicht dauerhaft, da die Reichtumsakkumulation der westlichen Volkswirtschaften diese zur Suche nach neuen, rentierlichen Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital zwingen wird. Bei aller Bedeutung der Investitionen zwischen den reichen Volkswirtschaften werden die nach rentierlichen Anlagen gierenden Finanzmärkte nicht auf die Entwicklung neuer Regionen der Erde verzichten können, und exakt dies geschieht gegenwärtig in den Schwellenländern Ostasiens und Lateinamerikas. Theoretisch weiss man im Westen also, was die Stunde geschlagen hat und welche globale Verantwortung die reichen Volkswirtschaften schleunigst

wahrnehmen müssten. Aber der Konjunktiv regiert die westliche Politik, die praktisch das genaue Gegenteil betreibt." Bereichert Euch!" heisst die Parole eines mit Kurzsichtigkeit und Verantwortungslosigkeit geschlagenen Zeitgeistes im Westen, und so fahren wir mit entschlossen geschlossenen Augen und bester Laune immer schneller in eine Zukunft hinein, die eigentlich langfristigen planvollen Handelns und

verantwortungsbewusster Abstimmung unter den wichtigsten Nationen bedürfte. Davon ist gegenwärtig allerdings weniger denn je zu finden. Und es wird dabei auch schlicht verdrängt, dass die Bremswege zur Korrektur dieser drei strukturellen Übel einer globalisierten Welt von morgen sehr lang, qualvoll lang sein werden. Wenn man in den führenden Industrienationen meint, warten zu können, bis die Märkte auf diese globalen Krisen über die Preise reagieren, dann wird das ein bitteres Erwachen geben, denn dann wird es angesichts dieser sehr langen Bremswege für vernünftige Lösungen bereits zu spät sein.

Wir haben es gegenwärtig also mit einer doppelten Globalisierung zu tun: Die Globalisierung der Probleme von Überbevölkerung, Unterentwicklung und

Umweltzerstörung wird zunehmend durch die internationale Staatengemeinschaft und die Weltwirtschaft ignoriert, während die zweite Dimension der Globalisierung, nämlich die der Märkte, des Kapitals und des konsumistischen Lebensstils des Westens sich ausdehnt und alles beherrscht. Auf kurze Sicht wird diese zweite Globalisierung eher zu einer Verschärfung der globalen Problemlagen durch ihre rücksichtsslose Wachstumsorientierung und Ignoranz beitragen, auf mittlere Sicht aber werden sich beide globale Trends synchronisieren müssen, wenn es nicht ein Desaster geben soll. Die politische und ökonomische Harmonisierung dieser beiden Globalisierungstrends in einer abgestimmten Weltinnenpolitik wird eine der ganz grossen Zukunftsaufgaben der internationalen Politik des 21. Jahrhunderts werden, soviel ist bereits heute angesichts der Problemlage absehbar.

Trotz dieses ganzen Bündels von Entwicklungen und Trends, das da unter dem Begriff "Globalisierung" in der Diskussion in den westlichen Ländern verstanden wird, stehen dennoch die Globalisierung der Märkte und deren technologische Voraussetzungen im Mittelpunkt dieses historischen Prozesses, denn erst dadurch kommt es zu einer Konzentration dieser vielfältigen Entwicklungen, die eine neue historische Form und Qualität und damit ein neues Zeitalter hervorbringt. Wenden wir uns für einen Augenblick den technologischen Voraussetzungen dieser Globalisierung der Märkte zu, der digitalen Revolution. Der wachsenden Unabhängigkeit der Märkte von den jeweiligen politischen Organisationen der nationalen Räume war ein Quantensprung in der Kommunikationstechnologie vorausgegangen, der sowohl die Märkte als auch die grösseren, global agierenden Unternehmen von den nationalen Räumen zunehmend unabhängig gemacht hat. Kapital (Wert, der mittels Wertschöpfung mehr Wert bei seinem Einsatz hervorbringt) ist nichts anderes als ein gesellschaftliches Verhältnis, "ein spezifisch gesellschaftliches, geschichtlich entstandenes Produktionsverhältnis", d.h. unter dem Einsatz von Ideen, Wissen, Technologie, Organisation, Energie, Arbeit und Materialien wird ein vorhandener menschlicher Bedarf durch Produkte oder Dienstleistungen befriedigt, und dadurch findet eine Wertschöpfung statt, die im Falle einer erfolgreichen Realisierung auf dem Markt einen grösseren Betrag einbringt als den eingesetzten. Die Differenz ist der Gewinn, und exakt darum muss es jedem Kapital, egal ob in privatem oder staatlichem Besitz, bei Strafe seines Untergangs gehen. Marx nannte diese beiden Seiten des Kapitals dessen "Gebrauchswert" (seine stoffliche Seite) und dessen "Tauschwert" (die gesellschaftliche Seite), und diese Unterscheidung erweist sich zum Verständnis des technologischen Sprungs im Informationskapitalismus als überaus nützlich, denn die stoffliche Seite des Kapitals war immer ein grosses Hemmnis für seine allgegenwärtige Einsetzbarkeit gewesen. Kapital ist kein statisches Ding, sondern es muss zirkulieren und sich immer seinemaximalen Verwertungschancen suchen, denn wird der Kreislauf seiner Wertschöpfung unterbrochen, so gerät das Kapital in Existenznot, wird er dauerhaft abgebrochen, so wird das Kapital vernichtet. Ohne Wertschöpfung gibt es kein Kapital, und daraus erwächst seine niemals zu stillende Gier nach Wachstum und damit nach immer neuen rentierlichen Anlagemöglichkeiten.

Je beweglicher Kapital also ist und je weniger politische, kulturelle und stoffliche Schranken seiner Anlage entgegenstehen, desto besser ist dies für seine möglichst optimale Verwertung. Die Edelmetalle Gold und Silber als stoffliche Träger des gesellschaftlichen Verhältnisses "Wert" waren bei ihrer Transaktion, allein schon aufgrund ihres Gewichts, mit einem gewaltigen Aufwand, enormen Risiken und damit grossen Kosten verbunden. Die Einführung des Papiergeldes, seine weltweite Durchsetzung und damit einhergehend auch die Errichtung eines internationalen Regelwerkes für Finanztransaktionen und entsprechender internationaler Finanzinstitute und - institutionen verringerten diesen Aufwand ganz erheblich und trugen zu einer bereits sehr weitgehenden Internationalisierung der Wirtschaft und ihres Waren- und Zahlungsverkehrs bei. Mit der elektronischen Datenverarbeitung und digitalen Informationsübermittlung reduzierte sich dieser Aufwand schliesslich nahezu völlig gegen Null, denn mit der Informationsrevolution und ihrer Technologie konnte sich das Kapital in seiner Transaktion von seinem stofflichen Gebrauchswert fast völlig frei machen, und damit kam sein Wesen zur Erscheinung. Kapital als gesellschaftliches Verhältnis erscheint fortan auch in dessen Form, nämlich als Information, und braucht keinen stofflichen Träger mehr. Lediglich die materielle Deckung und die politische Garantie des gesamten Systems bedarf noch der stofflichen Bindung, aber dies geschieht mittels der Zentralbanken und ihrer geldpolitischen Instrumente in einem weltweiten System, das die globale Kapitaltransaktion nur noch absichert, kaum aber mehr selbst betrifft.

Kapital wurde durch die digitale Revolution also zur blossen elektronischen Information zwischen den wichtigsten globalen Märkten und Finanzplätzen, schlichte Ziffern, die in einem internationalen System von Kredit und Vertrauen als virtuelles elektronisches Geld tatsächlichen Geldwert haben, und dieses virtuelle Geld wird in Lichtgeschwindigkeit global als Investition eingesetzt oder abgezogen. Bits und Bytes sind die neuen Masseinheiten dieses globalen Kapitalismus, und dadurch geschieht eine weitere erstaunliche Veränderung: Der

Kapitalismus verlagert seine Existenz mehr und mehr weg aus dem Raum in die Zeit hinein, oder anders gesagt, die privaten Märkte und multinationalen Unternehmen werden sogenannte Global Players und agieren in einer neuen, nämlich der globalen Raumdimension, während die Gesellschaften, die Staaten und damit auch die demokratische Politik im engen Raum nationalstaatlicher Organisation zurück - bleiben und damit zunehmend ins Hintertreffen geraten.

"Der Nationalstaat in seiner räumlichen Begrenztheit ist viel zu langsam, um mit der Geschwindigkeit globaler Märkte mithalten zu können" , schreibt Jeremy Rifkin. "Multinationale Unternehmen dagegen sind ihrem Wesen nach eher zeitliche denn räumliche Gebilde. Sie gründen sich nicht auf eine bestimmte politische Gemeinschaft, sie sind an keinen Standort gebunden. Sie stellen quasipolitische Institutionen dar, die über Informationen und Kommunikationskanäle verfügen und dadurch eine enorme Macht über Menschen und Orte ausüben. Ihre Handlungsfähigkeit, ihre Flexibilität und vor allem ihre Mobilität erlauben es ihnen, ganze Produktionen und Märkte schnell und ohne grosse Anstrengung zu verlagern und so die Wirtschaft eines jeden Landes zu kontrollieren." Der Markt siegt über den Staat, und Politik verliert dadurch erheblich, Wirtschaft hingegen gewinnt dramatisch an Bedeutung. Die ganze Sache hat freilich einen grossen Haken: Der Markt ist per definitionem dem Egoismus verpflichtet und nicht dem Gemeinwohl und verfügt über keinerlei demokratische Legitimation. Deshalb wird diese Gewichtsverlagerung zugunsten der Märkte und zu Lasten der Politik für beide, Politik und Wirtschaft, auf mittlere Sicht erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen. Beiden droht eine Legitimations- und damit Akzeptanzkrise in den westlichen Demokratien.

Der Übertragungsfaktor von Informationen und Gütern durch Zeit und Raum war in der Vergangenheit der grosse Hemmschuh für eine reale Globalisierung von Kapital und Märkten und verursachte hohe bis sehr hohe Kosten. Daraus resultierte eine starke Standortgebundenheit von Kapital, die ihren Ausdruck in der Organisationsform der Nationalökonomie gefunden hat. Der Kolonialismus und die imperialistische Politik der wirtschaftlichen und politischen Einflusszonen seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts durch die wichtigsten europäischen Mächte war nichts anderes als die gewalttätige und offen ausbeuterische Ausdehnung dieser europäischen Nationalökonomien und ihrer Interessen auf fremde Erdteile, Länder und Nationen, nicht aber eine neue Qualität von Internationalisierung der ökonomischen Interessen.

"Der Prozess der Globalisierung ist ein schleichender Vorgang, der seit den letzten zwanzig Jahren zunehmend an Konturen gewinnt. Natürlich waren auch die alten Nationalökonomien in der Epoche der Massenproduktion nicht wirklich autark, sondern mehr oder weniger stark in den Weltmarkt verflochten. Dennoch hat sich im Verhältnis von Nationalökonomie und Weltmarkt eine fundamentale Verschiebung vollzogen: In der nationalstaatlichen Aera bildete der Weltmarkt eine Begegnungsarena prinzipiell national angelegter Ökonomien; in der Aera der Globalisierung bilden die nationalen Ökonomien lediglich Segmente des Weltmarktes. Der Weltmarkt ist nicht mehr Ergebnis der

Interaktion spezieller national-ökonomischer Einheiten, sondern umgekehrt: Einzelne national-ökonomische Einheiten sind Ergebnis der Differenzierung des Weltmarktes." Die technologische Revolution des Informationszeitalters hat diese neue Qualität durchgesetzt und das Kapital mehr und mehr von den nationalen Räumen und damit auch von den nationalen politischen Entscheidungen unabhängig gemacht.

Den Nationalstaaten geht es im Verhältnis zu den internationalen Märkten wie den Produzenten von bestimmten Gütern im Verhältnis zu grossen Handelshäusern. Lange Zeit haben die Produzenten die Preise bestimmt und entschieden, welches Handelshaus ihre Waren feilbieten durfte, bis aufgrund der Konzentration und des Wachstums der Handelshäuser sich das Verhältnis grundlegend umgekehrt hat. Fortan entscheidet der Handel durch sein Zugangsmonopol zum Kunden, welcher Produzent zu welchen Konditionen die Regale fuellen darf. Exakt so geht es gegenwärtig auch den Nationalstaaten, die sich plötzlich alle als Standortkonkurrenten um die "Regalplätze" bei den Investitionen der internationalen Kapitalmärkte und Unternehmen wiederfinden. Die Informationsrevolution hat zwei wesentliche Veränderungen hervorgebracht, die die Welt grundsätzlich umgestalten: erstens eine Technologie, die quasi mit Lichtgeschwindigkeit Informationen zu unglaublich billigen Preisen für fast jedermann global verfügbar und einsetzbar macht; und damit zweitens eine Verlagerung von der Materie hin zum Wissen als produktivstem und gewinnträchtigstem Teil der Wertschöpfung im Wirtschaftsprozess. Moderner und kürzer ausgedrueckt: Die Software hat über die Hardware gesiegt, das World Wide Web über die Nationalökonomie. Eine neue Idee - gleich ob technologisch, ästhetisch, organisatorisch, geschäftlich - lässt sich heute weltweit umsetzen, weder ihre Realisierung noch ihre Vermarktung sind an nationale Grenzen gebunden, und so dominiert die ideelle Innovation die Wertschöpfung des modernen Kapitalismus des kommenden 21. Jahrhunderts. Mehr denn je wird Wissen der neue Rohstoff der kommenden Weltwirtschaft sein. Der Zugang zu diesem Rohstoff, seine Beherrschung und sein Einsatz werden die Chancen- und die Machtverteilung in einer globalisierten Welt ganz wesentlich bestimmen.

Die ideengetriebenen Innovationszyklen für neue Technologien und Software entscheiden letztendlich über die Rollenverteilung und die hierarchische Position der nationalen Volkswirtschaften in der neuen Weltwirtschaftsordnung, und je innovativer und kreativer ein Standort ist, desto höher wird sein Rang in der Investitionspräferenz der internationalen Märkte sein. Auf der Ebene darunter findet die Konkurrenz zwischen den aufsteigenden sogenannten "Billiglohnländern" - vor allem in Süd- und Ostasien, Osteuropa und Lateinamerika - um die Investitionen in Herstellung und Verarbeitung für den Export in die wohlhabenden und riesigen Märkte Amerikas, Europas und Japans statt. Gewiss spielen dabei auch noch andere wirtschaftliche, infrastrukturelle und politische Standortfaktoren eine gewichtige Rolle, aber die Fähigkeit, an der Spitze der ideengetriebenen Innovationszyklen der globalen Ökonomie zu stehen und diese zu definieren, bestimmt den eigentlichen Rang in der globalen Standorthierarchie der nationalen Volkswirtschaften. Nun ist dies keineswegs vor allem eine

Prestigefrage, sondern es geht hier um die recht handfesten Interessen der Ressourcen- und

Reichtumsverteilung und damit auch um die Zukunft von Löhnen, Renten, sozialen Sicherungssystemen und dem allgemeinen Wohlstandsniveau der beteiligten Nationen.

Die erste technologische Revolution des Kapitalismus wurde durch die Rohstoffe und ihre Verarbeitung dominiert, die zweite durch die Fertigprodukte, und die dritte technologische Revolution, die wir jetzt erleben, wird durch neue Ideen und Wissen und die Fähigkeit zu ihrer Umsetzung, Finanzierung und Vermarktung bestimmt. Hier winken enorme Gewinnspannen, zumindest für einen gewissen Zeitraum, der durch den Innovationsvorsprung bedingt ist, und damit Möglichkeiten der Reichtumsakkumulation, die ansonsten nicht gegeben wären. Allerdings finden diese Innovationszyklen in immer kürzeren Abständen statt, so dass die Innovationsgeschwindigkeit zu einem immer wichtigeren Konkurrenzfaktor von Produkten, Unternehmen und Märkten wird. In den sogenannten "reifen Industrien" , in denen Deutschland besonders stark ist, während es bei den neuen Industrien kaum vorkommt und die in den westlichen Industrieländern nach wie vor dominieren, sind hingegen solche Gewinnmargen kaum noch zu erreichen. Diese Tatsache beeinflusst wiederum die zukünftige Reichtumsverteilung mit all ihren gesellschaftlichen und politischen Folgen.

Die Informationsrevolution hat ihren eigenen Unternehmenstypus hervorgebracht, an seiner Spitze Bill Gates (heute der reichste Mann der Welt) und Microsoft. Der faktisch globale Softwaremonopolist Microsoft ist innerhalb zweier Jahrzehnte in die Spitzengruppe der weltweit grössten, reichsten und einflussreichsten Unternehmen eingebrochen und hat sich durchgesetzt. Ein deutsches oder auch nur ein europäisches Unternehmen wird man unter diesen neuen Flaggschiffen des globalen Zeitalters nicht finden, wohl aber japanische, koreanische und demnächst auch chinesische und in nicht allzuferner Zukunft wohl auch indische Unternehmen. Die führende Rolle der USA in der Informationstechnologie und ihrer Vermarktung ist nicht nur das Ergebnis der amerikanischen Rolle als erster militärischer Supermacht - das Internet hat hier seinen Ursprung -, sondern vor allem auch des Widerstandes gegen diese Rolle in der amerikanischen Gesellschaft, vor allem in der damals rebellierenden Jugend. Für Europäer ist die Verbindung der 68er Bewegung in den USA, von Hippies und allen möglichen radikalen und spintisierenden Subkulturen mit der Informationstechnologie mehr als erstaunlich. Diese Verbindung brachte einen weltweit nahezu einmaligen Kreativitätsschub, dessen Auswirkungen "das System" aber keineswegs stürzte, sondern ganz im Gegenteil mit einer neuen, nicht für möglich gehaltenen Dynamik ausstattete. Dass eine vergleichbare Entwicklung in Deutschland oder bei dessen europäischen Nachbarn nicht möglich war und ist, macht das eigentliche Problem der Europäer mit der Globalisierung und den Kern dessen aus, was man "Standortkrise" nennt. Der internationale Kapital- und Finanzmarkt schiebt gegenwärtig börsentäglich die kaum vorstellbare Summe von mehr als einer Billion Dollar rund um den Globus. Über eineinhalb Billionen D-Mark, die täglich auf der Suche nach optimalen Anlage- und d.h. Gewinnmöglichkeiten sind, egal ob in Papua-Neuguinea, Australien, Indien,

Hongkong, Singapur, Irland, Mexiko, Deutschland, den USA, den Bahamas, Polen oder wo auch immer auf dieser Erde. Nur noch etwa zehn Prozent dieser Finanztransaktionen sind an den realen internationalen Warenaustausch gebunden, der Rest ist spekulativ.30 Hier dreht sich tagtäglich ein gewaltiges Roulette, von dem man nur hoffen kann, dass es niemals abstürzt, denn internationale finanzpolitische Sicherungen für dieses Megaroulette oder gar eine sichernde Regulierung gibt es bisher kaum. Innerhalb dieses Systems werden gewaltige Summen umgesetzt und auch durch Kursgewinne verdient, nur eine wirkliche Wertschöpfung findet dabei nicht statt. Was der eine gewinnt, verliert immer ein anderer, und lediglich die Einsätze und damit auch die individuellen Risiken steigen, wie das am Roulettetisch nun einmal so ist.

1 Billion Dollar, die täglich nach maximalem Gewinn suchen und mangels rentierlicher Anlagemöglichkeiten sich vor allem mit sich selbst beschäftigen und mit hohem Einsatz gegeneinander wetten, das ist ein zunehmend dominanter werdender Teil der Realität der Weltwirtschaft, die zweite, die virtuelle Ebene der kapitalistischen Ökonomie. Und all dies geschieht in einer Welt, in der weite andere Teile nach anlagefähigem Kapital schreien, um die notwendige Entwicklung heraus aus Hunger und Elend endlich angehen zu können; in einer Welt, deren Ressourcen beschränkt sind und die durch die gegenwärtige Entwicklung rasant gefährdet wird. Der Widerspruch zwischen dem tatsächlichen Bedarf an Kapital und seiner Verteilung ist enorm, aber wie auf allen Märkten treten Reich und Arm eben auch auf dem globalen Finanzmarkt gegeneinander an. Kredite an und in den reichen Ländern und Spekulationen in Wechselkursen, Rohstoffen oder was auch immer bringen eben wesentlich mehr Ertrag als die Finanzierung von Entwicklung. Erst wenn die Rendite privater Investitionen gesichert ist, wie in den Schwellenländern, kommt es zu einem nennenswerten Kapitaltransfer.

Allein die Macht dieses fernab jeder politischen Kontrolle mit Lichtgeschwindigkeit agierenden globalen Kapitalmarktes macht sinnfällig, wie dramatisch sich die Proportionen zu Lasten von Nationalstaat und Nationalökonomie und zugunsten der internationalen Märkte verschoben haben. Selbst die mächtigsten Zentralbanken der Welt, der Federal Reserve Board in Washington, die japanische Zentralbank in Tokio und die Deutsche Bundesbank in Frankfurt haben auf diese Spekulation nur noch begrenzten Einfluss.32 Jede nationale Politik, die diese Tatsachen glaubt ignorieren zu können, wird von den Märkten gnadenlos bestraft werden mittels Weichwährung, Kapitalflucht, Investitionsverweigerung, etc., und eine solche Entwicklung wird wiederum zu einer unverzueglichen Krise der Binnenwirtschaft mit fatalen Folgen für die Mehrheitsfähigkeit dieser Politik führen, d.h. sie wird sehr schnell abgewählt werden.

Die Konsequenz daraus ist sehr einfach und dennoch von umwälzenden Folgen: Wenn sich die internationalen Märkte weitgehend der politischen Kontrolle entziehen, so wird gegen die Märkte, zumindest solange man die Politik noch als die Kunst des Möglichen und nicht nur des Wünschbaren definiert, keine mehrheitsfähige nationalstaatliche Politik mehr gemacht werden können.

Damit verliert die nationalstaatliche Politik aber in der alles entscheidenden Machtfrage gegenüber den internationalen Märkten und wird auf gefährliche Weise delegitimiert. Dieser Zustand wird so lange andauern, wie die regulierende Hand der Politik nicht in der Lage ist, den Märkten in den internationalen Raum zu folgen, und dies wird sie wohl erst dann tun, wenn die internationalen Finanzmärkte eine internationale Krise herbeigeführt haben, die sich zu einer Weltwirtschaftskrise auszuwachsen droht oder aber - dies wäre die schlimmste Möglichkeit - bereits eine solche herbeigeführt hat. Der europäische Nationalstaat ist dazu allerdings zu klein, und so wichtig die internationale Kooperation der Staaten und ihrer transnationalen Organisationen für eine minimale Regulierung dieser Entwicklung auch immer ist, sie wird angesichts der Dynamik und Autonomie der internationalen Märkte und deren Auswirkungen für die nationalen Gesellschaften nicht ausreichen. Ergo erzwingt die Globalisierung neue politische Handlungsgrössen und Handlungsebenen. Die Nationalökonomien werden durch den Prozess der Globalisierung nicht verschwinden, sie sind jedoch dabei, sich qualitativ zu verändern: Die nationalen Volkswirtschaften geraten von einer bestimmenden in eine dienende Funktion, werden nach und nach von souveränen Volkswirtschaften zu abhängigen Angebotswirtschaften, die um die Gunst der globalisierten Märkte konkurrieren müssen.

Gewiss gab es auch früher schon mehr oder weniger enge Vernetzungen der verschiedenen Nationalökonomien in der Weltwirtschaft, aber dies war die Vernetzung unterschiedlicher nationaler Systeme, die gleichwohl innerhalb der jeweiligen nationalen Binnenwirtschaften eine nahezu absolute Definitionsgewalt über die wirtschaftlichen Verhältnisse hatten. Preise, Löhne, Gewinne, Zinsen, Währungskonvertibilität, Einkommensverteilung, Autarkie, Handelsbarrieren, Freihandel: All dies waren Entscheidungen der nationalen Politik oder der nationalen Tarifpartner und sind es heute nicht mehr oder fast nicht mehr. Dem korrespondiert ein massiver Bedeutungsverlust von Wirtschaftspolitik in nahezu allen wichtigen Industrieländern bei einem gleichzeitig fast absolut zu nennenden Bedeutungsgewinn der Wirtschaft gegenüber der Politik in den jeweiligen demokratischen Öffentlichkeiten. Nicht mehr die Politik scheint das Schicksal der Völker zu bestimmen, sondern fortan wohl eher die Wirtschaft.

Diese neue Macht und Unabhängigkeit der globalen Finanzmärkte ist aber nicht nur ein Ergebnis neuer Kommunikationstechnologien, sondern auch der schieren Grösse der internationalen Kapitalakkumulation vor allem in den reichen westlichen Industrieländern. Die neuen Kommunikationstechnologien haben die Globalisierung dieser Kapitalien ermöglicht, die Grösse der mittlerweile akkumulierten Kapitalien aber hat ihre Internationalisierung erzwungen, denn innerhalb der engen nationalen Grenzen waren und sind die rentierlichen Anlagemöglichkeiten einfach zu gering. Der vierzigjährige Friede hat - trotz oder vermutlich sogar wegen des Kalten Krieges - zu einer gewaltigen Anhäufung von Kapital geführt, das rentierliche Anlagen sucht und zu der erwünschten Rendite nur noch schwer findet. Also bedienen die internationalen Finanzmärkte vor allem die scheinbar unersättliche Staatsschuld der Staaten rund um den Globus und organisieren Wettgeschäfte auf alles und jedes, am liebsten aber auf die Zukunft. Man nennt diese Form des Kapitalismus zurecht Kasinokapitalismus, und die 1-Billion-Dollar-Welle, die jeden Tag einmal um die Erde schwappt, ist dafür der greifbarste Ausdruck.

Die Kapital- und Finanzmärkte haben bei der Globalisierung gewiss die entscheidende Rolle gespielt, aber ihnen folgen nunmehr auch die anderen Märkte für Waren und Dienstleistungen und zunehmend auch der Arbeitsmarkt. Mit dem Wegfall nationaler Barrieren und bedingt durch geringe Transport- und Kommunikationskosten nimmt der Austausch von Gütern und Dienstleistungen beständig zu und damit auch die Konkurrenz bisher nicht miteinander kommunizierender Arbeitsmärkte. Vor allem gering und nichtqualifizierte Arbeit in den reichen Ländern des Westens gerät dabei unter einen erheblichen Druck zur Lohnsenkung, dramatisch noch verstärkt durch den Wegfall von Millionen von Arbeitsplätzen durch die

Produktivitätsrevolution von Automatisierung und Rationalisierung. "In Zukunft wird die Motivation der Arbeitnehmer wohl nicht mehr von überdurchschnittlichen Leistungslöhnen bestimmt werden, sondern von Angst - von der Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren und in eine Wirtschaft sinkender Reallöhne entlassen zu werden" , prophezeit Lester C. Thurow. Denn -der seit dem Zweiten Weltkrieg bestehende Gesellschaftsvertrag hat heute seine Gültigkeit verloren. Jährliche Lohnsteigerungen sind nicht mehr selbstverständlich. Konjunkturbedingte Entlassungen sind nicht mehr vorübergehend und auch nicht mehr auf gewerbliche Arbeitnehmer beschränkt."

Aber es sind nicht nur gering bis gar nicht qualifizierte Arbeitskräfte in den reichen westlichen Industrieländern, die durch die Globalisierung unter einen erheblichen Druck geraten, sondern zunehmend auch besser und sogar hochqualifizierte Tätigkeiten. Einige wenige Beispiele: Das südindische Bangalore entwickelt sich zu einem globalen Standort für Softwareentwicklung und - verarbeitung, das bei höchster Qualität zu konkurrenzlos billigen Preisen online in alle Welt seine Produkte und Dienstleistungen liefert. Die Hardware der Computertechnologie und ihrer Peripheriegeräte wird heute überwiegend in Ostasien gefertigt. Und westliche Fluggesellschaften stellen für bestimmte Strecken mehr und mehr Kabinenpersonal aus den angeflogenen Schwellenländern zu den dort ueblichen niedrigeren Tarifen ein. In der christlichen Seefahrt sind gemischte Mannschaften aus Erster und Dritter Welt schon längst die Regel, und diese Entwicklung wird sich auch in anderen Teilen der Weltwirtschaft durchsetzen.

Die Öffnung der nationalen Grenzen für den Welthandel, extrem billige Transportkosten und globale Kommunikations möglichkeiten mit Lichtgeschwindigkeit haben diese Entwicklung ermöglicht und werden sie weiter vorantreiben. Und auch hier gibt es zwei völlig unterschiedliche Perspektiven der Entwicklung, je nachdem, ob ein Beschäftigter in Bangalore oder Europa zu Hause ist. Für den Computeringenieur in Indien bedeutet der Prozess der Globalisierung die grosse Chance, für seinen europäischen oder amerikanischen Kollegen allerdings eher eine Bedrohung. Dennoch wäre es grundfalsch, angesichts dieser neuen Konkurrenz in den reichen Industrieländern des Westens auf eine erneute

Abschottung ihrer Märkte zu setzen, denn diese wird erstens aufgrund der neuen Kommunikationstechnologien dauerhaft nicht funktionieren, und zweitens wäre dafür ein extrem hoher ökonomischer und auch politischer Preis zu entrichten.

Der Reichtum des Westens nach dem Zweiten Weltkrieg rührte gerade von der Öffnung der Grenzen und der Überwindung von Zoll- und Handelsbarrieren her, und diese Öffnung führte nicht nur in Europa zu Stabilität und zu dem europäischen Integrationsprozess, sondern dies galt insgesamt für die westliche Hemisphäre. Anders gesagt: der Kalte Krieg, und d.h. die globale Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion schuf den Zwang zu einer Internationalisierung von Politik und dann auch von Wirtschaft (die im Kalten Krieg zumindest in Westeuropa und in Ostasien dabei eine entscheidende Rolle spielte). Diese Internationalisierung ist nun, nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Sieg des westlich-amerikanischen Modells von Marktwirtschaft und Kapitalismus, die alleinige Grundlage für die Globalisierung, und dies bedeutet nichts anderes als die Übertragung dieses Modells auf Osteuropa, Ostasien und Lateinamerika.

Eine politisch gewollte Abschottung von Teilmärkten analog der Zwischenkriegszeit in den zwanziger und dreissiger Jahren würde nicht nur mit einem erheblichen Reichtumsverlust bezahlt werden müssen, sondern müßte auch zwingend zu einem erneuten Kampf um machtpolitisch durchgesetzte Einflusszonen führen, die sehr grosse Instabilitäten und Sicherheitsrisiken mit sich brächten. Der Machttransfer von Politik zur Wirtschaft und damit auch die Zivilisierung von internationaler Machtpolitik, die mit dem freien Welthandel einherging - statt Militärpotentiale und Ruestung zählen heute mehr die Stabilität einer Währung, die Grösse eines Marktes und die Qualität der Angebotsfaktoren im internationalen Staatensystem -, würden mit einer Unterbrechung des freien Welthandels durch politisch durchgesetzte Einflusszonen sofort in ihr Gegenteil umgekehrt werden. Gerade die Europäische Union, von der man zu Recht sagt, dass sie ökonomisch ein Riese, politisch aber ein Zwerg sei, würde dabei zu den grossen Verlierern einer solchen Umkehr der Entwicklung gehören.

Andererseits ist es jedoch absehbar, dass die Arbeitnehmerschaft der westlichen Länder diesen Prozess zu ihren Lasten nicht einfach widerstandslos hinnehmen wird. Zumindest in Europa können die negativen sozialen Folgen der Globalisierung deshalb zu einem Massenpotential für einen neuen aggressiven Nationalismus führen, der zwar kaum noch über eine Lösungsperspektive für die Probleme des 21. Jahrhunderts verfuegt, wohl aber noch die politische Kraft für eine sehr fatale Chaosperspektive hat. Auch deswegen wird dieser Prozess der Globalisierung nicht politikfrei und regellos verlaufen duerfen, wenn er nicht in unkalkulierbaren Krisen und Crashs enden soll. Um die Entwicklung und Durchsetzung solcher Regeln wird es in den kommenden Jahren in der internationalen Politik gehen, und dabei wird das relative politische und ökonomische Gewicht der beteiligten Mächte bestimmend sein. Ein in seine Nationalstaaten aufgesplittertes Europa wird allerdings kaum eine bedeutende Rolle spielen und seine Ökonomischen, sozialen und damit auch politischen Interessen nicht in dem gebotenen Mass wahren können.

Freilich bleibt auch die neue Macht der Märkte an den wirtschaftlichen Egoismus, an dessen alles beherrschende Kosten-Nutzen-Kalkül gebunden, d.h. sie ist letztendlich nur eine begrenzte und prekäre Macht, solange sie politisch nicht austariert und verstetigt wird. Sich selbst überlassene Märkte, Finanzmärkte vor allem, neigen zu einer Eskalation des ökonomischen Egoismus in Form der Spekulation. Die Spekulation hat es nicht mehr mit der Wertschöpfung zu tun, sondern mit Wetten auf die zu erwartende zukünftige Wertschöpfung. Tritt diese ein, so ist das für die Betroffenen erfreulich und ökonomisch unbedenklich, führt aber in der Regel nur zu einer erweiterten Spekulation, denn immer mehr Investoren wollen an dieser erfolgreichen Wette auf die zukünftige Wertschöpfung beteiligt werden. Irgendwann ist dann die Kluft zwischen spekulativen Erwartungen und real zu erwartender Wertschöpfung so gross, dass es dann nur noch eines geringen und beliebigen Anstosses bedarf, um das ganze Kartenhaus zusammenbrechen zu lassen. Die psychologisch überhitzten Börsenwerte werden dann in einem Crash den realwirtschaftlichen Tatsachen angepasst, und das geht für zahlreiche Beteiligte böse aus.

Die Macht der globalisierten Märkte wird auch in Zukunft ihre Grenze haben, die sich zwingend aus ihrem ökonomischen Wesen ergibt. Der politikfreie, völlig deregulierte Markt produziert im Falle seines Versagens hochpolitische, weil sozial äusserst brisante Ergebnisse. Genau dieses Risiko werden die Staaten aber auch in einer globalisierten Welt allen Ernstes nicht wirklich eingehen können, auch wenn es vermutlich erst einer solchen erneuten Erfahrung eines Börsencrashs bedarf, bevor international politisch gehandelt wird. Wer die Wirtschaftsgeschichte des Kapitalismus nur ein wenig kennt, weiss, dass seine Geschichte nicht nur eine Geschichte von Klassenkämpfen, sondern vor allem auch von Spekulationen war - und dazu gehörten früher nicht selten Kriege -, und diese endeten immer nach demselben Muster: Je grösser die Spekulation, desto heftiger war der Crash an ihrem Ende. Diese Grunderfahrung darf man gerade heute nicht vergessen, wo die globalisierten Märkte sich aller politischen Restriktionen entledigen und zu dem beherrschenden Faktor der beteiligten nationalen Volkswirtschaften werden. Der "Kasinokapitalismus" wird nicht von Dauer sein, sondern er wird einer transnationalen politischen Regulierung bedürfen, wenn das gegenwärtige Globalisierungsabenteuer des Kapitalismus nicht krisenhaft in einer grossen globalen Destabilisierung enden soll.​