4. Resümee
Wie sind Schmitts politische Philosophie und Rechtstheorie nun abschließend zu bewerten? Sie stehen in mehrfacher Hinsicht für ein faschistisches Programm.
Zunächst einmal dienen sie der theoretischen Unterfütterung einer antisozialistischen Politik mit Massenbasis, die sich von rechtsstaatlichen und parlamentarischen Rücksichten frei gemacht hat – im Namen überverfassungsmäßiger ‚substanzlicher Werte‘. Neben dieser Intention des bonapartistischen Kampfes gegen den demokratischen Gesetzgeber und die Organisationen der Arbeiterbewegung, sieht Ingeborg Maus hinter der Schmittschen Transformation des Rechtsbegriffs sogar eine den NS überdauernde ökonomische Tendenz als Grund für den substanziellen Dezisionismus: Die flexible Handhabung politischer und ökonomischer Steuerungsbedürfnisse im Spätkapitalismus, das Einwirken auf die allgemeinen, von den Einzelkapitalen nicht zur Verfügung gestellten Produktionsbedingungen des Gesamtkapitals. Durch das konkrete Ordnungsdenken werde im Stile eines autoritären Liberalismus jede politische Gefährdung der bürgerlichen Kernstrukturen ausgeschaltet und das Recht zunehmend den faktischen Verhältnissen und „spezifischen Sachstrukturen gesellschaftlicher Positionsfelder“ 397 angepasst, der Graben zwischen Sein und Sollen zugeschüttet und damit faktische Machtstrukturen bestätigt. Maus sieht dadurch den Widerspruch zwischen Substanzialismus und Dezisionismus gelöst: Die systemischen Erfordernisse prästrukturieren die nur scheinbar freischwebenden Dezisionen der exekutiven Instanzen, die naturwüchsige Logik des Kapitals müsse planmäßig und entschieden gesichert und stabilisiert werden.398 Während Fraenkel die doppelstaat-
395 Vgl. ausführlich Mehring 2009, 325-335.
396 Frank zitiert nach Maus 1980, 130Fn.
397 Maus 1983, 186.
398 Vgl. Maus 1980, 124. Fraenkel verdeutlicht das am Beispiel des NS-Korporatismus: Es sei keineswegs so, „daß im konkreten Ordnungsdenken die konkreten Gemeinschaften […] die primären Rechtsquellen sind.“ (Fraenkel 1974, 175) Vielmehr werde von außen entschieden, welche konkrete Ordnung legitim sei – die freien Gewerkschaften und proletarischen Interessenverbände jedenfalls seien es im NS-Denken nicht. „[D]iese Entscheidung
liche Struktur lediglich entlang der Erfordernisse der Ökonomie (=Normenstaat) und der NS-Politik (=Maßnahmenstaat) verorte, müsse sie vielmehr durch alle sozialen Felder hindurch diagnostiziert werden und vor allem „die in sich dualistischen Rechtsbedürfnisse der Wirtschaft“399 – Notwendigkeit der privatrechtlichen Eigentumsgarantie vs. Notwendigkeit konkreter Eingriffe in stoffliche Produktionsbedingungen – Berücksichtigung finden.400
Genau dieser Diagnose, Schmitt sei letztlich bonapartistischer Rechts- und Politiktheoretiker, widerspricht aber Stefan Breuer und betont ein anderes faschistisches Element. Schmitts Problem sei „nicht die Bedrohung bürgerlicher
muß – um Schmitts Terminologie zu verwenden – aus dem ‚Nichts‘ erfolgen. In Wirklichkeit jedoch ist dieses ‚Nichts‘ durchaus kein Nichts, sondern das Wertsystem der bestehenden Klassengesellschaft.“ (177) Hier taucht wieder der Gedanke der funktionalen Verpflichtung des Souveräns, des überpositiven Kerns des modernen Rechts auf, der uns schon bei Hobbes begegnet ist, allerdings in stark gewandelter Form.
399 Maus 1983, 191.
400 Vgl. Preuß 1973 (ich beziehe mich auf meine Darlegungen in Elbe 2010b): Die Zweistufigkeit des Legalitätsbegriffs (Verfassungssubstanz und Verfassungsgesetze) und damit die systematische Einbeziehung von außerlegalen Maßnahmen in die Ordnung bürgerlicher Verfassungen wird von Ulrich K. Preuß als Ausdruck des sowohl auf Erfordernisse des kapitalistischen Verwertungs- als auch des Arbeitsprozesses bezogenen staatlichen Handelns gedeutet: Allein ausgehend von dem fiktiven Modell einer einfachen Warenproduktion könne unterstellt werden, dass „die Garantie der abstrakten Rechtsperson und ihres gesellschaftlichen Verkehrs mit der Garantie der konkreten stofflichen Bedingung dieses gesellschaftlichen Verkehrs zusammenfällt“ (83). Die im allgemeinen Gesetz fixierte abstrakt- rechtliche Form des Privateigentümers und die ökonomische Form des Austauschs seien aber Formen eines konkret-stofflichen Inhalts, dessen Reproduktion mit der Garantie der abstrakten Form allein noch nicht gewährleistet sei. Im Kapitalismus stehe zudem dieser stoffliche Inhalt zur ökonomischen Form im Widerspruch (Ungleichheit/Unfreiheit vs. Gleichheit/Freiheit) und werde durch diese selbst gefährdet (Indifferenz der Tauschwertproduktion gegenüber Gebrauchswerten, Vernutzung der Arbeitskräfte und Naturbedingungen). Dem Staat obliege damit die Aufgabe der vom kapitalistischen Produktionsprozess allein nicht zu bewerkstelligenden Garantie der Einheit von stofflicher und wertmäßiger Seite des Gesamtreproduktionsprozesses, die sich sowohl in polizeilichen wie ökonomischen Kriseninterventionen als auch in der Sicherung der stofflichen Existenzbedingungen der Ware Arbeitskraft äußere: „Unmittelbare, konkrete und zweckgerichtete staatliche Gewalt muß nicht nur angewendet werden, um die Gefahr zu bannen, dass das individuelle Arbeitsvermögen nicht mehr als Tauschobjekt auf dem Markt ist […]; auch die aufgrund der zyklischen Bewegung der Kapitalverwertung sich verändernden Situationen […] zwingen zu situationsgebundenen […] Reaktionen des Staatsapparates, seien es wohlfahrtsstaatliche oder polizeistaatliche“ (62f.). Unmittelbare Eingriffe und Gewaltmaßnahmen des Staates seien daher nicht bloß als Merkmal der äußeren Herstellung der Voraussetzungen kapitalistischer Produktions- und Tauschbeziehungen im Gefolge der ‚ursprünglichen Akkumulation’ zu verzeichnen, sondern auch permanenter Bestandteil staatlichen Handelns im Kapitalismus – als Garantie allgemeiner Produktionsbedingungen jenseits der rechtlich-personenungebundenen Formprinzipien (62). Unmittelbare, situationsgebundene Maßnahmen des Staates, die sich nicht auf Individuen als abstrakt-gleiche Rechtspersonen beziehen, stellen daher Preuß zufolge „nicht lediglich eine Ausnahme von der Regel einer durch allgemeine Gesetze gelenkten staatlichen Gewalt“ dar, sondern sind als „dialektische Widerspruchselement“ (63) derselben zu verstehen.
Privilegien durch die politische Emanzipation der Arbeiterschaft“.401 Er radikalisiere die bereits im bürgerlich-revolutionären Denken von Sieyés vorhandene Möglichkeit zur Verselbständigung der Staatsgewalt zu einem „nihilistischen“ Begriff der „‘Existenzialpolitik‘“.402 Mit Bezug auf Löwith betont Breuer, es gehe Schmitts Begriff des Politischen um „die Bereitschaft zum Nichts, welches der Tod ist“.403 Zwar muss auch Maus konstatieren, der NS transzendiere letztlich die „begrenztere bürgerliche Option für eine klassenhomogene Präsidialdiktatur“,404 doch es scheint, als betrachte sie dessen irrationale Züge, die zunehmende „Verselbständigung gegen jede Zweckbestimmung“,405 lediglich als äußerliches Scheitern des bonapartistischen Projekts, „auf Kosten formaler Rechtssicherheit noch einmal die inhaltliche Berechenbarkeit einer eindeutigen [bürgerlichen] Politik zu restaurieren“.406 Dass nicht nur in der Realität des NS, sondern bereits im Schmittschen Denken diese Verselbständigung ‚des Politischen‘ gegenüber seinen ‚substanzlichen‘ Dimensionen – verstanden als Bewahrung kapitalistischer Kernstrukturen – angelegt ist, wie Breuer betont, reflektiert Maus zu wenig. Ob man diese Tendenz, wie Breuer, ‚nihilistisch‘ nennen kann, darf aber bezweifelt werden.
Die Deutung der Schmittschen Verherrlichung des Opfers als ‚nihilistisch‘, ‚romantizistisch‘ oder gar ‚liberalistisch‘, wie sie bei Löwith, Strauss und Breuer zu finden ist, scheint zunächst auch Günter Meuter zu teilen: Schmitts Begriff des Politischen partizipiere an einem „konservativ-revolutionären Ethik-Begriff“407, der den „Ernst des potentiellen Selbstopfers“408 feiere. Dieses Opfer wird von Meuter eindeutig romantisch-okkasionalistisch gedacht: „Ich opfere mich nicht für etwas, weil es des Opfers wert ist, sondern etwas wird dadurch zum Wert und ‚vernünftig‘, daß ich mich dafür verheizen lasse.“409 Aber nicht jede beliebige ‚Sache‘ erscheint Schmitt des Opfers wert, sondern nur eine Autorität mit bestimmten Eigenschaften – „echte[r] Macht“ (MP, 370). Zudem denkt er das Opfer nicht von der beliebigen Entscheidung eines beliebigen Einzelnen her, sondern von der des politischen Souveräns: Das „Anliegen“ von Schmitts Dezisionismus ist „nicht die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen“.410 Es geht nicht um das freiwillige Opfer aus privaten oder religiösen Motiven heraus – dies ist für Schmitt Ausdruck „einer individualistisch-liberalen Gesellschaft“ (BP, 49)411 –, sondern um
401 Breuer 1985, 195.
402 Ebd., 194f.
403 Löwith zit. nach ebd., 195. Vgl. bereits Kapitel 2. III.
404 Maus 1980, 145.
405 Ebd., 163. Es muss allerdings betont werden: gegen jede irgendwie ökonomisch rationale Zweckbestimmung. An Zwecken überhaupt mangelte es dem zur Vernichtungspraxis übergegangenen NS nämlich keineswegs.
406 Ebd., 162.
407 Meuter 1994, 73.
408 Ebd., 75.
409 Ebd., 73.
410 Ebd., 37. Vgl. auch ebd., 376, 385, 490.
411 So ist das Sterben für den Glauben nur des eigenen Seelenheils wegen sinnvoll – also private Entscheidung des Märtyrers. Sobald die religiöse Gemeinschaft verlangt, sich für diese Gemeinschaft zu opfern, ist sie politische Einheit, keine religiöse mehr (BP, 48).
die bestenfalls freudige oder pflichtbewusste, gegebenenfalls aber auch widerwillige, jedenfalls nicht ins Belieben des Einzelnen gestellte Bereitschaft, für einen heteronom gesetzten Zweck, zu einen heteronom bestimmten Zeitpunkt auf eine heteronom bestimmte Weise zu töten und getötet zu werden. In seiner Kampfschrift gegen die Romantik verweist Schmitt auf die Qualität der opferwürdigen Sache, indem er dem Romantiker die „Bindung an eine Norm“ (PR, 107) abspricht. Von dieser Norm her wird also das Opfer gedacht. Sie kann nicht völlig beliebig sein, muss zumindest überlegene Macht und die Persistenz der Möglichkeit des Krieges gewährleisten und eine nach innen als harmonisch behauptete politische Einheit gegen Feinde abgrenzen.412 Schmitt wird indes noch deutlicher: Neben dem politischen Romantiker, dem eine als substanzlos gedachte Welt zum Anlass seiner subjektivistischen Ästhetisierung oder Politisierung werde, der dabei aber „nichts tun [will] als erleben und sein Erlebnis stimmungsvoll umschreiben“ (107),413 gebe es eine andere Figur, den romantischen Politiker. Dieser unterscheide sich vom politischen Romantiker durch seine nichtromantische Motivation, die Fähigkeit zur Entscheidung und eine auf die Außenwelt einwirkende Tat. Lediglich das okkasionelle Objekt dieser Tat sei beiden gemein: „ein Komplex von starken politischen Kräften ist nicht imstande, sein Ziel zu finden, und trifft mit großer Wucht einen occasionellen Punkt“ (152f.). Don Quixote (und hinter ihm verborgen: Ernst Jünger414) gilt Schmitt als ein solcher romantischer Politiker, der im Gegensatz zum politischen Romantiker die „bürgerliche[…] Sekurität“ (106) und ästhetisch-gefühlige Innerlichkeit meide, ein Aristokrat, kein Bürger sei. Quixote wird demnach zwar bewundert, denn „seine Kämpfe waren phantastisch sinnlos, aber doch Kämpfe, in denen er sich persönlichen Gefahren aussetzte“ (153), aber als zur Bestimmung des wirklichen Feindes unfähig erachtet. Daran anknüpfend betont denn auch Meuter – ganz ähnlich wie Heinrich Meier415 –, nun gegen die Nihilismus- und Okkasionalismusdiagosen gerichtet, dass Schmitts „authentische[…] politische[…] Ethik“ die „Erkenntnis des Feindes“,416 des wirklichen Feindes (vgl. TP, 90), benötige. Diese Aufgabe wird von Meuter in der geschichtstheologischen Figur des „Aufhalters, des Katechon“ (N, 29) wiederentdeckt.417 Der Katechon begründe eine nun heilgeschichtlich aufgeladene Legitimität, die darin bestehe, „den Antichristen aufzuhalten und eine hemmende Macht gegen die Heraufkunft eines Schwindelparadieses restloser Funktionalisierung, Ökonomisierung und Diesseitigkeit zu sein, sei
412 Vgl. auch Motschenbacher 2000, 119, der von Schmitts „Option für eine starke Autorität“ spricht.
413 Vgl. dazu Fn. 92.
414 Vgl. das Ende von Abschnitt 2.4 dieser Abhandlung.
415 Vgl. Meier 2012, 69ff. 416 Meuter 1994, 75.
417 Vgl. auch Gross 2005, 292: Der Katechon sei ein neues mythisches Bild politischer Einheit, das Schmitt im NS mit dem Reich in Verbindung bringe und das den gescheiterten, Schmitt zufolge von den Juden ‚unterminierten‘, Leviathan-Mythos (Lev, 92f., 108f.) substituiere. Zu theologischen Deutungen des Katechon vgl. Motschenbacher 2000, 188-205.
dieses anarchistisch, sozialistisch, liberal-humanitär […] drapiert.“418 Was immer man von Schmitts religiös-esoterischem Geraune halten mag, die Feindbestimmung jedenfalls ist auch in seiner „Bejahung des Naturstandes“419, des Politischen, das Todes- und Tötungsbereitschaft verlangt, nicht völlig beliebig.420
Wenn Meuter allerdings davon spricht, nicht eine „faschistische[…] Kampfesideologie […], sondern der Einsatz für eine metaphysisch geheiligte Ordnung“421 sei das Ziel des Politischen, die politische Einheit werde als „interimistisches Zwischengebilde zwischen Sündenfall und Erlösung“422 begriffen, das eine das Chaos und die vollendete Sündhaftigkeit rein säkularer Bestrebungen aufhaltende Funktion erfülle, so stellt sich die Frage, inwiefern dieser religiös drapierte Überbau irgendetwas an Schmitts Verherrlichung des Krieges ändert – was Meuter selbst zugestehen muss423 – oder ob er diese Verherrlichung überhaupt erklären kann.424 Hier zeigt sich in jedem Fall die Grenze eines rein ideengeschichtlichen Zugangs, der im Stile einer Hermeneutik des Vertrauens – Meuter macht sich explizit „die Perspektive Schmitts zueigen“425, um sein Werk zu verstehen – lediglich diese oder jene Äußerung eines Theoretikers zusammenfügt, ohne jeden Versuch einer Erklärung seines autoritären und bellizistischen Syndroms.426 Die
418 Meuter 1994, 76. Meuter betont: „gemeint ist damit der Kampf gegen das Böse“ (110). Wenn man das ernst nimmt, dann ist der Kampf gegen ‚den Juden‘, der im katholischen Antisemitismus als Abgesandter oder Kind des Teufels, im modernen Antisemitismus als das Böse schlechthin gilt (vgl. Goldhagen 1998, 75, 91f.), der letzte Sinn der Schmittschen Theorie (vgl. Gross 2005, 297): „Der Jude ist der wahre Feind.“ (G, 18)
419 Strauss 2001b, 235 sowie Löwith 1984, 42f., 47.
420 Auch die stärker auf den Dezisionismus abstellende Nihilismusdiagnose Krockows impliziert, dass bei Schmitt und Konsorten neben dem Kampf als solchem gegen irgendeinen Feind noch ein „eigentlicher Feind“ bekämpft werden müsse – der Universalist, der Antipolitische oder sich wenigstens so Gebende (vgl. Krockow 1990, 47).
421 Meuter 1994, 133.
422 Meuter 1994, 213. Vgl. ebd., 307, 319f.
423 „Wo die Niederhaltung des von unten drängenden Chaos Ordnung um jeden Preis erheischt, wird die Differenz, ob diese Ordnungsleistung aus dem Nichts oder aus dem aristotelischen Tugendhimmel geschöpft sei, in der Tat zweitrangig […] Es ist gleichsam ein Dezisionismus, der im Drüben fischt“ (Meuter 1994, 214) – im trüben Drüben, wie zu ergänzen wäre.
424 Der Krieg werde von Schmitt allerdings vollauf bejaht (vgl. Meuter 1994, 133f.). Doch die „im Begriff des Politischen involvierte Wünschbarkeit des Krieges […] würde demzufolge darin bestehen, daß er, als Folge und Ebenbild des luziferischen Sündenfalls, die Bereitschaft für den apokalyptischen Endkampf wachhielte und die Menschen davon abhielte, in den Soma-Paradiesen banaler Unterhaltsamkeit zu versumpfen.“ (134) Das „Wachhalten“ für den Endkampf soll der Sinn des Votums fürs Politische sein? Wie soll dieser Endkampf denn aussehen und wozu muss es dafür irdische Kriege geben? Das alles klingt nach einer wenig plausiblen Erklärung für die Bejahung des Politischen. Die Motive einer Sinngebung des Sinnlosen, der autoritär-masochistischen Charakterstruktur (Meuter spricht selbst von Schmitts „Voreingenommenheit der Schwäche gegenüber“ und dem für ihn „überwältigenden Eindruck der enormen Kraft, die Hitler zeigte“ (136Fn.)) und der Bekämpfung der Feinde des Politischen sind wesentlich nachvollziehbarer.
425 Ebd., 367.
426 Die Begrenztheit der ideengeschichtlichen Methode zum Verständnis des Faschismus betont auch Robert Paxton 2006, 66f., 319f. Obwohl er offenbar die Kritische Theorie nicht
vermeintlich katholische Differenzierung zum originär faschistischen Politikbegriff wäre dann vielleicht ideengeschichtlich interessant, aber „n der praktischen Konsequenz“ irrelevant.427 Damit soll Meuters Deutung von Schmitt als Apokalyptiker keineswegs eine relative Plausibilität abgesprochen werden. Man könnte hier von faschistischem Denken sprechen – die Feinde des Katechon sind die Feinde des Faschismus428 – und einen religiösen Überschuss konstatieren, der freilich für die Stoßrichtung der Schmittschen Schriften keineswegs so relevant ist, wie Meuter meint,429 finden sich doch in ihnen eindeutige Hinweise auf einen klaren Primat des Politischen vor dem Religiösen und ist sein Feindbegriff doch vollkommen diesseitig.430 Dazu nur einige kurze Hinweise:
a) Schmitts Legitimation politischer Herrschaft ist völkisch, nicht religiös. Primär ist die Homogenität des Volkes, die ‚religiöse‘ Legitimation hat einen polemischen Sinn:
„Wenn Gott, in dessen Namen regiert wird, nicht der Gott gerade dieses Volkes ist, kann die Berufung auf den Willen Gottes dazu führen, daß der Wille des Volkes und der Wille Gottes verschieden sind und miteinander kollidieren. Dann muß nach demokratischen Konsequenzen nur der Wille des Volkes in Betracht kommen, weil Gott im Bereich des Politischen nicht anders als der Gott eines bestimmten Volkes erscheinen kann. Das bedeutet der Satz ‚Volksstimme ist Gottes Stimme.‘ Diese Wendung […] hat […] einen polemischen Sinn: Ablehnung jeder andern und fremden Instanz, die im Namen Gottes dem Volk ihren Willen auferlegen will, also Ablehnung aller politischen Einflüsse und Einwirkungen, die nicht der substantiellen Homogenität des eigenen Volkes entspringen.“ (VL, 238)
In den mannigfaltigen Versuchen Schmitts, der irdischen Gewalt eine „Transzendenzprämie“ 431 zu verschaffen, wird das Transzendente rein funktionalistisch auf den Erhalt der politischen Einheit und das Politische bezogen: Denn „[k]ein politisches System“, so Schmitt in aller Deutlichkeit, „kann mit bloßer Technik der Machtbehauptung auch nur eine Generation überdauern. Zum Politischen gehört die Idee, weil es keine Politik gibt ohne Autorität und keine Autorität ohne ein Ethos der Überzeugung.“ (RK, 23) (vgl. auch G, 243) „Nicht von Theologie kann dann aber gesprochen werden“, resümiert Alfons Motschenbacher, „sondern dies kann nur […] Staatsmythologie genannt werden.“432
rezipiert hat, betont er, ähnlich wie Fromm und Adorno, die zentrale Rolle der „mobilisierende[ n] Leidenschaften“ (320) im Faschismus.
427 Meuter 1994, 289.
428 Beider Feinde sind die „innerweltlich beschränkten Utopien von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, pax et securitas universa“ (Meuter 1994, 213), die ‚substanzlosen‘ Mächte des politischen Liberalismus und Bolschewismus (261f.), vgl. auch Gross 2005, 394.
429 Hofmann (2002, 51) bestreitet vehement die inhaltliche Relevanz des Katholizismus für das Denken Schmitts und attestiert denn auch: „Als systembildend taugt der Begriff des Katechon indes kaum.“ (XIII).
430 Vgl. Motschenbacher 2000, 216 sowie Blumenberg 2007, 102, 108.
431 Meuter 1994, 482.
432 Motschenbacher 2000, 368.
b) Das Politische ist für Schmitt der „Status in einem absoluten Sinne“, der „alle anderen Statusverhältnisse“ „relativiert und absorbiert, insbesondere Stände und Kirche“ (VL, 49). Der totale Status des Politischen besteht in der „Macht über das physische Leben der Menschen“, wodurch „sich die politische Gemeinschaft über jede andere Art von Gemeinschaft“ erhebt (BP, 48). Dazu passt Schmitts Verurteilung der Kirche als indirekte Gewalt und seine klare Unterordnung derselben unter den Staat (vgl. Lev, 116; SE, 137) ebenso, wie seine Ablehnung jeder theologischen Einmischung in die Politik, sobald sie nicht mehr politisch fungibel gemacht werden kann (vgl. BP, 64): „Silete Theologi“! (G, 106)433
c) Schmitt thematisiert die katholische Kirche in Römischer Katholizismus lediglich hinsichtlich ihrer juridisch-ästhetisch-politischen Form, ohne sich für den Inhalt der christlichen Botschaft zu interessieren.434 Auch seine späteren geschichtsphilosophischen Spekulationen belegen, dass er sich überhaupt nicht für die apokalyptische Heilsbotschaft interessiert und ebenso einseitig den ‚Aufhalter‘ der Apokalypse thematisiert und bejaht,435 wie er den tendenziell universalistischen, zumindest quer zu allen irdischen Völkern stehenden Gehalt der christlichen Heilsbotschaft ignoriert.436 Daher steht auch hier lediglich die Legitimation irdischer partikularer Mächte auf Schmitts Agenda. Zu diesem Zweck muss er auch das Motiv der Feindesliebe reprivatisieren.437
d) Schmitts Hinweis auf das anthropologische Glaubensbekenntnis der Sündhaftigkeit des Menschen ist einerseits inkohärent, wie Leo Strauss gezeigt hat.438 Denn er schwankt zwischen der Sündhaftigkeitsdiagnose und der Auffassung vom Menschen als gefährlichem Wesen, das möglicherweise durch irdische Mittel friedfertig gemacht werden könne, womit das Politische in Gefahr sei. Auf der anderen Seite radikalisiert er den Erbsündebegriff des Katholizismus und ignoriert die zumindest abfedernde Funktion der Taufe.439
e) Wenn man, wie Meuter, eine „faschistische[…] Kampfesideologie“ gegen den „Einsatz für eine metaphysisch geheiligte Ordnung“ stellt,440 dann ist auch Adolf Hitler kein Faschist oder Nationalsozialist mehr, weil er sich auf Gottes höhere Macht beruft, auf die Vorsehung, deren Werkzeug er sei, auf den NS als christliche Bewegung: „So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“441 Diese Form des „positiven Christentums“ ist aber eine Variante des Faschismus.442 Eine einheitliche Begründung von dessen Bellizismus, Autoritarismus, Antisemitismus ist ohnehin nicht vorhanden – hier ist vielfältigen und
433 Vgl. ebd., 253, 369. Zum rein instrumentellen und häufig verfälschenden Bezug Schmitts
auf die Bibel, vgl. auch Leutzsch 1994.
434 Vgl. Motschenbacher 2000, 56.
435 Vgl. ebd., 219, 222, 224, 240.
436 Vgl. ebd., 178, 296.
437 Vgl. ebd., 225.
438 Vgl. Strauss 2001b, 228f., 231.
439 Vgl. Motschenbacher 2000, 87f.
440 Vgl. Meuter 1994, 133.
441 Hitler 1943, 70.
442 Vgl. Gross 2010, 57ff, 63ff., Motschenbacher 2000, 228ff., 301ff
grotesk beliebigen Formen des Irrationalismus Tür und Tor geöffnet, denen Schmitt nur eine weitere hinzufügt.443
f) Damit weisen die geistesgeschichtlichen Theologisierer Schmitts, die sich, wie Meuter oder Heinrich Meier, vornehmlich auf seine Nachkriegsschriften als hermeneutischem Schlüssel zum Gesamtwerk beziehen, auch nicht das geringste Verständnis für die exkulpatorische Funktion der „Flucht in die Religion“444 und ins Esoterische, in „welthistorische[…]“, „postapokalyptische[…] Betrachtungen“ 445 und in eine „demonstrativ zur Schau gestellte Passivität“446 auf, die gescheiterte faschistische Denker vor allem nach 1945 betrieben haben:447 Dies gestattete ihnen, „sich vage als Gegner des Nationalsozialismus zu präsentieren, ohne tatsächlich Positionen der ideologischen Gegner der Nationalsozialisten einnehmen zu müssen.“448 Zudem verschwanden Auschwitz, der Zweite Weltkrieg und die deutsche Schuld daran in den Weiten der Geschichte oder den Untiefen der menschlichen Natur und wurden auf den politischen Feind (Aufklärung, Juden, Demokratie, ‚Säkularisierung‘) projiziert.449
Ob nun Schmitts wirre theologische Spekulationen seinen heterodoxen christlichen Glauben ausdrücken oder lediglich einem zur Esoterik, aggressiven Schuldabwehr450 und Selbststilisierung451 neigenden autoritären Charakter zur Rationalisierung dienen, in seiner Theorie ist letztlich doch nichts anderes als ein ideologisch geleitetes Naturrecht des Stärkeren, die „Verherrlichung der Macht“ mittels eines „spirituellen Positivismus“ und „glaubenlosen Glaube[ns] an die pure Existenz“452 am Werk, dessen „Substanzprätentionen“, wie Meuter selbst treffend konstatiert, eine „multifunktionale Leerformelhaftigkeit“453 aufweisen,
443 So kritisiert Raphael Gross den exkulpatorischen Differenzierungswahn, der z.B. im von faschistischen Apologeten wie Armin Mohler ins Spiel gebrachten Begriff der ‚konservativen
Revolution‘ vorliegt: „Diese Unterscheidung [in konservative Revolution und NS] läßt sich historisch […] nicht halten, da weder ideologisch noch personell eindeutige Unterschiede zwischen diesen beiden Begriffen gezogen werden können.“ (Gross 2005, 339) Zur wandelbaren ideologischen Drapierung faschistischer Kernintentionen vgl. Paxton 2006, 64, 313, 319f. Wenn Meuter nun, bezeichnenderweise wieder einem rechtsradikalen Schmitt- Apologeten (Günter Maschke) folgend, noch zwischen katholischer politischer Theologie und nihilistischer konservativer Revolution unterscheidet (Meuter 1994, 314-328), so potenziert sich diese Problematik nur noch. Zu Recht moniert auch Jan-Werner Müller (2007, 215) an Heinrich Meiers gleichlautender Theologisierung Schmitts, dass durch diese „der Faschismus vollständig aus dem Bild verschwand“.
444 J.W. Müller 2007, 151.
445 Ebd., 68.
446 Ebd., 71. Vgl. auch Motschenbacher 2000, 207f. zu Schmitts Selbststilisierung zum ‚christlichen Epimetheus‘
447 Vgl. J.W. Müller 2007, 68ff.
448 Ebd., 151.
449 Vgl. ausführlich zu diesen Strategien auch Gross 2005, Kapitel V.
450 Vgl. Gross 2005, 335ff., 352f., Meuter 1994, 153.
451 Vgl. Gross 2005, 349ff., 355ff.
452 Institut für Sozialforschung 1968, 179, 174, 178 (vgl. auch Meuter 1994, 139, sowie 380: Es soll für Schmitt gegenüber der starken Macht „kein einklagbares Recht“ geben).
453 Meuter 1994, 144, vgl. auch Motschenbacher 2000, 368. Auch den Begriff des Katechon ereilt diese ‚Leerformelhaftigkeit‘: „Angesichts der Tatsache, daß es zum Begriff des Kate
weil für sie „keine anderen Kriterien zu existieren scheinen als die Definitionsmacht des politischen Souveräns“454 und eben die Abwehr aller als das Politische gefährdend ausgemachter Ideen und Bewegungen. Geheiligt ist damit jede stabile, ein „Mindestmaß von Form“ (RK, 40f.), also Ordnung generierende Macht, die das Politische als solches affirmiert und persistiert:
Auch die sich als substantiell verstehende Esoterik Schmitts ist wesentlich instrumentalistisch, ein jeder machtvollen Ordnung dienstbar zu machendes Werkzeug“, ein „Dezisionismus, der sich der Leitvorstellung einer substantiellen Ordnung wie eines Als-ob bedient.“455
Ein noch so bemüht ‚katholisch‘, ‚substanzhaft‘ oder sonstwie in rhetorischer Weise antiformalistisch daherkommendes Denken des Politischen und des Rechts läuft leer in dem einzigen Bestreben der Substituierung jeder inhaltlich verbindlichen Vernunft durch die den Einzelnen ergreifende und über ihn verfügende Entscheidung des bloß noch vernunftprätendierenden Souveräns einer politischen Einheit.
No Comments