Skip to main content

2.2 Aporien des Feindbegriffs

Wie ist das Politische aber nun bestimmt? Schmitt zufolge ist es durch die Unterscheidung von Freund und öffentlichem Feind definiert (BP, 27). Diese Unterscheidung sei „selbständig“, insofern sie nicht auf ökonomische (nützlichschädlich, profitabel-unprofitabel), ethische (gut-böse) oder ästhetische Kriterien (schön-hässlich) zurückgeführt werden könne. Sie eröffne aber kein eigenes „Sachgebiet“.63 Stattdessen arbeitet Schmitt mit einem Intensitätsbegriff des Politischen, der auf die Freund-Feind-Bestimmung als „äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung“ (27) von Menschengruppen rekurriert. Steigern sich Gegensätze aus einem Sachgebiet bis zur „Kampfgruppierung nach Freund oder Feind“ (36), so erreichen sie demnach den politischen Intensitätsgrad. Die äußerste Intensität sei gleichbedeutend mit dem kommunikativ nicht zu schlichtenden, nicht symbolisch zu verstehenden (vgl. 33), bis zur physischen Auseinandersetzung gehenden Konflikt – mit der Möglichkeit der Tötung und des Getötet-Werdens. Feind sei die stets „der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht“
61 Zur bonapartistischen Krisenlösungsstrategie in den letzten Jahren der Weimarer Republik vgl. Hoffmann 1996, 362-403. Vgl. auch die Ausführungen zu Schmitts Bourgeois- Begriff sowie zum Begriff der kommissarischen Diktatur und des pouvoir constituant weiter unten. Gerade der autoritäre Demokratiebegriff Schmitts, sein Hinweis, dass nur eine demokratisch legitimierte Regierung eine starke Regierung sein könne (HV, 115f.) und die Verbindung von Demokratie als Akklamation und Diktatur durch einen Reichspräsidenten oder Führer, zeigen, dass es Schmitt seit Anfang der 20er Jahre um eine Verselbständigung der Exekutive mit Massenbasis zu tun ist (vgl. SS, 84f.).
62 Dass dies zugleich bedeutet, die Wirtschaft zu ‚entpolitisieren‘ und damit natürlich den bürgerlichen Interessen dient, ist bereits angedeutet worden. Dass Schmitt sich dabei noch der fadenscheinigen Neutralitätsillusion des Staates hingibt, versteht sich von selbst. Er versteht unter einem Staat, der ein „kapitalistischer Diener des Privateigentums“ (WW, 129) und deshalb kein ‚höherer Dritter‘ ist, in plattester manipulationstheoretischer Manier lediglich einen von Interessenverbänden unmittelbar instrumentalisierten Staat. Zur Kritik an dieser Idee vgl. Elbe 2010b, Teil 2 sowie Elbe 2012.
63 In der Erstauflage von 1927 wird das Politische noch eng an den Staat angelehnt und tendenziell als eigenes Sachgebiet, das der Außenpolitik, von der Möglichkeit des zwischenstaatlichen Krieges her bestimmt. Im Zentrum steht das ius ad bellum (vgl. BP1, 78f.).
(29). Der Krieg wird damit zur „äußerste[n] Realisierung der Feindschaft“ (33). Das Politische ist aber Schmitt zufolge nicht der Kampf selbst, sondern das durch dessen stets gegebene Möglichkeit bestimmte Verhalten (37).
Als Feind gilt ihm „der andere, der Fremde“, der „existenziell etwas anderes und Fremdes ist“ (27). Dieses Anderssein beinhalte die Möglichkeit eines nicht objektiv beurteilbaren oder normierbaren Konfliktes aufgrund der „Negation der eigenen Art Existenz“ durch diesen Fremden. Wann „das Anderssein des Fremden“ die eigene Art der Existenz gefährdet (27), entscheide ausschließlich die souveräne politische Einheit selbst. „Die Möglichkeit richtigen Erkennens und Verstehens und damit auch die Befugnis mitzusprechen und zu urteilen ist hier nämlich nur durch das existenzielle Teilhaben und Teilnehmen gegeben“ (27).
Der Souverän entscheidet darüber, wann die äußerste Intensität, die extremste Möglichkeit, die seinsmäßige Negation vorliegt. Der Feind ist dabei buchstäblich kollektiv identitätsstiftend: Es ist, schreibt Schmitt an anderer Stelle, Sache „der hohen Politik […], den Feind zu bestimmen (was immer zugleich Selbstbestimmung ist)“ (G, 36, vgl. auch 243; TP, 87f.). Feindschaft ist aber nicht auf den außenpolitischen Konflikt beschränkt. Im Zuge der Herstellung politischer Einheit kann es Schmitt zufolge auch eine innerstaatliche Feinderklärung geben. Der Feind wird damit tendenziell außerhalb des Gesetzes gestellt – für vogelfrei erklärt (BP, 47). Das geschieht nicht nur bei faktisch außerlegalem Handeln, sondern auch im Falle nur vermuteter staatsfeindlicher Gesinnung bei legalem Verhalten (46f.): „Den Ketzer“, so zitiert Schmitt zustimmend, „darf man auch dann nicht im Staate dulden, wenn er friedlich ist, denn Menschen wie Ketzer können gar nicht friedlich sein.“ (47) Dieser Argumentation, auf die noch im Zusammenhang von Schmitts Verfassungslehre eingegangen wird, haben sich Teile der bundesdeutschen Rechtsprechung in den 1970er Jahren angenähert.64 Auch die Idee einer Rechtlosstellung des Feindes hat im Zuge der Terrorismusbekämpfung eine ganz neue Konjunktur erfahren.65
Für Ernst Fraenkel enthüllt sich der Sinn von Schmitts Intensitäts- (und nicht Sachgebiets-) Begriff des Politischen geradezu in der oben skizzierten Konzeption des qualitativ-totalen Staates. In seinem Werk Der Doppelstaat, einer zuerst 1941 veröffentlichten Analyse der Rechtsordnung des Nationalsozialismus als Kombination von Normen- und Maßnahmenstaat, weist er auf die Passgenauigkeit des Intensitätsbegriffs für ebendiese Ordnung hin: Sei es doch der NSMaßnahmenstaat, der nicht nur „die gesamte Rechtsordnung“,66 sondern auch Wirtschaft, Wissenschaft, Religion usw. unter den „‘Vorbehalt des Politischen‘“,67
64 Vgl. das Urteil des OVG Lüneburg vom 27.9.1972, in dem festgestellt wird, dass die Bundesrepublik „‚von ihren Bürgern eine Verteidigung dieser Ordnung [FDGO] erwartet und Feinde dieser Grundordnung, auch wenn sie sich formal im Rahmen der Legalität bewegen, nicht toleriert’“.
65 Vgl. Staats- und Strafrechtler wie Günther Jakobs 2004 oder Otto Depenheuer 2007.
66 Fraenkel 1974, 88.
67 Ebd., 181. Ingeborg Maus charakterisiert die doppelstaatlichen Aspirationen Schmitts treffend als „Vorordnung eines nicht-normativen, auf freiem Ermessen – dieses Ermessen war als ‚Wertverwirklichung‘ definiert […] – basierenden Verwaltungsbereichs vor einem
„zur Disposition“68 der exekutiven Instanzen und ihrer Ideologie der Staatsräson stelle. Fraenkel stellt fest „daß im Dritten Reich ‚das Politische’ nicht einen abgegrenzten Sektor der Staatstätigkeit darstellt, sondern zum mindesten potentiell das gesamte öffentliche und private Leben umfasst.“69 Insofern seien sowohl Schmitts These, das Politische bestehe in der Freund-Feind-Bestimmung, als auch seine Ablehnung des Politischen als spezifischer Sachbereich oder Sektor der Gesellschaft eine treffende Beschreibung (und Legitimierung) der NS-Praxis. Es sei auch kein Zufall, dass dieser Begriff von Schmitt zunächst (in der ersten Auflage des Begriffs) als außenpolitischer Sachbereich konzipiert werde und schließlich nach innen diffundiere, würden doch gerade die Außenpolitik und das Völkerrecht bereits von konservativer Seite und vollends von Schmitt als stets unter Vorbehalt der Staatsräson stehend gedeutet.70 So spricht Schmitt tatsächlich schon im Begriff von „normgebende[n] Vorbehalte[n]“ (BP, 52) internationaler Friedensverträge, die er in der eigenen Art der politischen Existenz und der souveränen Entscheidung über den Ernstfall identifiziert (vgl. 51f.).71 Daher, so Fraenkel, könne geradezu von einer „Systemkongruenz zwischen nationalsozialistischem Staatsrecht und Völkerrecht“ gesprochen werden, die den Dualismus der vormaligen rechtstheoretischen Auffassung beseitige, „nnerhalb des Staates herrsch[…]e das Recht, außerhalb des Staates die Macht.“72 Was bei alldem als politisch zu betrachten ist, wer der Feind ist (im Falle des NS z.B., welche bisher als gewöhnliche Verbrechen, bloße Ordnungswidrigkeiten geltenden oder gar nicht strafbaren Taten als ‚Hochverrat’ gelten), stehe in der Definitionshoheit des exekutivisch gedachten Souveräns. Auch die normenstaatliche Selbstbeschränkung des Maßnahmenstaats, die eng mit der Akzeptanz des kapitalistischen Privateigentums zusammenhänge, sei bereits von Schmitt in seinem Begriff des qualitativ-totalen Staats vorweggenommen worden.73
Die Definition des Politischen von der Freund-Feind-Unterscheidung her ist allerdings, trotz ihrer diagnostischen Passgenauigkeit für das Projekt des Maßnahmenstaates, als theoretische Grundbestimmung in höchstem Maße fragwürdig, weißt „offenkundige[…] phänomenologische[…] Schwäche[n]“74 auf. Es ergeben sich gleich mehrere fundamentale Probleme:
1) Schmitts These, „nur durch das existenzielle Teilhaben und Teilnehmen“ (BP, 27) sei die Beurteilung von Freund und Feind möglich, wird 1933 erneut aufgegriffen und radikalisiert, indem er behauptet, die „Volks- und Rassenzugehörigkeit“ determiniere die Möglichkeit der Individuen zur Bewertung und Einschätzung jedweden Sachverhalts:
nur noch limitierte Bedeutung beanspruchenden rechtsstaatlichen Verfassungsbereich“ (Maus 1980, 76). 68 Fraenkel 1974, 88. 69 Ebd., 98.
70 Vgl. ebd., 96.
71 Fraenkel zitiert einen späteren Text Schmitts aus dem Jahr 1934 (ebd., 96f.).
72 Ebd., 97Fn. 203. Auf diese maßnahmenstaatliche Intention der Schmittschen Theorie wird noch ausführlich in Teil 3 und 4 dieses Aufsatzes einzugehen sein.
73 Vgl. ebd., 92, 131.
74 Meier 2012, 103.
„Ein Artfremder mag sich noch so kritisch gebärden und noch so scharfsinnig bemühen, mag Bücher lesen und Bücher schreiben, er denkt und versteht anders, weil er anders geartet ist, und bleibt in jedem entscheidenden Gedankengang in den existenziellen Bedingungen seiner eigenen Art. Das ist die objektive Wirklichkeit der ‚Objektivität‘.“ (SBV, 45)
Alles Recht sei „das Recht eines bestimmten Volkes“, das nur der verstehe, der „existenziell“ zu ihm gehöre (45). Dieser völkische Relativismus ist selbstwidersprüchlich – denn offenbar will die ‚artgerechte‘ Relativierung der Objektivität objektiv sein und dementiert damit genau das, was sie behauptet, nämlich die bloße Relativität allen Denkens – Schmitt selbst unterstellt im Zitat, dass es objektiv gültig sei, dass alles Denken nur subjektiv gültig ist.75
Die Bedeutung des ‚existenziellen Teilhabens‘ orientiert sich möglicherweise an Heideggers Kritik an der kontemplativen Subjekt-Objekt-Anordnung einer ‚Ontologie der Vorhandenheit‘ und an seinem Ausgehen vom primären In-der- Welt-Sein (der Verwobenheit von Selbst und Welt). So stellt Heidegger fest, „daß das Erkennen selbst vorgängig gründet in einem Schon-sein-bei-der-Welt, als welches das Sein von Dasein wesenhaft konstituiert. [sic!] Dieses Schon-sein-bei ist zunächst nicht lediglich ein starres Begaffen eines puren Vorhandenen“,76 sondern ein Engagiert-sein in der Welt. Schmitt deutet dieses Engagement als Situiertheit in Freund-Feind-Gegensätzen. Heideggers Ansatz wird bei Schmitt also nicht nur zur These vom bloß kontextuell gültigen, polemischen Charakter aller politischen Begriffe,77 sondern zur Behauptung des „Menschen als eines primär […] politischen und politisch-handelnden Wesens“,78 die, wenn auch nicht konsequent,79 zur Ablehnung jedes Gedankens an wissenschaftliche Objektivität und Distanznahme, an Rationalität schlechthin (46) ausgearbeitet wird. Denken kann dann nur noch aus Freund-Feind-Antagonismen heraus und als auf diese hin funktionalisiert verstanden werden.80 Das Verstehen durch existenzielle Teil-
75 Im besten Fall verwechselt Schmitt hier die Tatsache, dass ein Konflikt zwischen Freund und Feind nicht kommunikativ zu schlichten oder zu lösen ist, mit der Tatsache, dass keine Kriterien zur Identifizierung dieses Konflikts gegeben sind, die allgemein verstehbar sind.
76 Heidegger 1993, 61.
77 „alle politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte [haben] einen polemischen Sinn“ (BP, 31).
78 Marcuse 1968, 47.
79 Vgl. N, 47, wo Schmitt sich gegen die Übersetzung von Sitte mit Noos in Homers Odyssee wendet und statt dessen Nomos lesen will, denn: „Nous ist das Allgemein-Menschliche, das nicht nur vielen, sondern allen denkenden Menschen gemeinsam ist, während Einfriedung, Hegung und die sakrale Ortung, die in dem Wort Nomos liegt, gerade die einteilenden und unterscheidenden Ordnungen zum Ausdruck bringt“.
80 Vgl. auch G, 202, wo sogar die Ordnung des „Kosmos“ durch die Freund-Feind- Unterscheidung bewerkstelligt wird. Im linksschmittianischen Diskurs der ‚radikalen Demokratie‘ existiert Vernunft nur noch als „Schleier“ (Mouffe 2013, 106) vor der eigentlich partikularen, irrationalen, gewaltbegründeten Wirklichkeit. Chantal Mouffe betrachtet jede Form der Erkenntnis und jeden allgemeinen Wahrheitsanspruch als gewaltkonstituiert, als bloßen Ausschlussakt und Machteffekt (vgl. ebd., 101, 125f.; Hetzel 2010, 236) und formuliert damit letztlich eine „politische Ontologie“, eine „allgemeine“ Gewalt- und Konflikt
habe ist ein Grundmotiv der irrationalen Gemeinschaftsrechtsauffassung des NS, wie Ernst Fraenkel und Ingo Müller gezeigt haben.81
2) Feindschaft bezieht sich auf eine „der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht“ (BP, 29). Der Feind soll aber nicht privater, psychologischer Feind sein, er muss nicht gehasst werden. Er soll öffentlicher Feind sein, „weil alles, was auf eine solche Gesamtheit von Menschen, insbesondere auf ein ganzes Volk Bezug hat, dadurch [!] öffentlich wird.“ (29) Wie entstehen aber diese Gesamtheiten und ihr Bezug aufeinander?82 Wenn der Begriff des Staates den Begriff des Politischen voraussetzt, das Politische aber durch die Unterscheidung von Freund und öffentlichem Feind definiert ist, so stellt sich die Frage, welche Instanz, wenn nicht das Entscheidungsmonopol, die öffentliche Gewalt des Staates, die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Feind machen soll. Es muss schon eine Instanz geben, die eine spezifische Menge von Personen („Gesamtheit“) unter sich befasst und für sie verbindliche Entscheidungen trifft. Es existiert also die Tendenz zu einer zirkulären Definition des Staates aus dem Politischen und des Politischen aus dem Staat. „Schmitts Verständnis des Feindes als öffentlicher hostis“, so stellt Christoph Schönberger fest, „bezieht seine Anschaulichkeit ursprünglich vom Krieg zwischen in Staaten geeinten Völkern und damit letztlich doch noch vom Staat her“.83 Die „Sphäre der res publica“ ist, wie auch Volker Gerhardt konstatiert, 84 vorausgesetzt, um in sinnvoller Weise den öffentlichen Feind zu bestimmen. 85
3) Zudem existiert Feindschaft auch unabhängig von politischen Verbänden. Die Möglichkeit (und Wirklichkeit) des Kampfes besteht auch zwischen Gangs
theorie „der Bedeutungsproduktion“ (Marchart 2011, 213), die alle menschlichen Praktiken als politisch begreift. Es gibt dann allerdings bestenfalls noch pragmatische, aber keine epistemischen Gründe mehr, einer Aussage zuzustimmen (vgl. kritisch dazu: Boghossian 2013, 21). Demzufolge gibt es auch keine Möglichkeit, den Gegner zu überzeugen – dieser muss konvertieren (vgl. Mouffe 2013, 78, 104). Dieser relativistische Diskurs, der die Partikularität aller Diskurse feststellt, will aber offenbar keineswegs partikular sein, er erhebt gerade den Anspruch auf sprachspielübergreifende Erkenntnis, den er selbst leugnet. Das ist der übliche Selbstwiderspruch einer totalisierten Vernunftkritik bzw. eines relativistischen Sozialkonstruktivismus (vgl. dazu Nagel 1999, 24-27, 32f., 37-40 und Boghossian 2013, 58-62). 81 Vgl. Fraenkel 1974, 166 sowie Müller 1989,
81: Das NS-Recht sei, so zitiert Müller NSJuristen, nicht rational zu erkennen, sondern nur „‘aus der Volksverbundenheit heraus zu erfühlen und zu erleben.‘“
82 Zur Volksdefinition Schmitts sowie zur Idee der politischen Einheit durch Identität und Repräsentation vgl. Abschnitt 3 dieser Abhandlung.
83 Schönberger 2003, 42.
84 Gerhardt 2003, 214. 85 Vgl. auch Kaufmann 1988, 50f., Breuer 2012, 93 sowie Kraft-Fuchs 1930, 514: „Der Staat ist demnach einerseits die ‚politische Einheit‘“, d.h. die Freund-Feind-Unterscheidung, das Politische ist ihm Schmitt zufolge vorausgesetzt, „andererseits aber das Wesen, das diese Einheit erst durch seine Entscheidung erzeugt.“
und Familien – sogar innerhalb eines staatlichen Zustands.86 Die Intensität kann ebenfalls nicht als differentia specifica weiterhelfen, da private Feindschaft, wie Schmitt selbst zugesteht, häufig intensiver sein kann als die zwischen großen und „abstrakten Kollektiven“.87 Doch gerade dann, wenn politische Feindschaft wirklich, wie Schmitt im Widerspruch dazu ebenfalls unterstellt, durch den „äußersten [!] Intensitätsgrad“ (27) der Trennung/Verbindung gekennzeichnet ist, taucht ein eigentümliches Missverhältnis zwischen dem Intensitätsbegriff des Politischen und Schmitts Versicherung auf, den Feind „brauch[e] man nicht persönlich zu hassen“ (29). Der Intensitätsbegriff des Politischen lässt offen, wie öffentliche Feindschaft von psychologischer (nicht: privater)88 Feindschaft zu trennen sein soll, zumal Schmitt selbst erwähnt, in „der psychologischen Wirklichkeit“ werde der Feind „leicht als böse und häßlich behandelt, weil jede, am meisten natürlich die politische als die stärkste und intensivste Unterscheidung und Gruppierung, alle verwertbaren anderen Unterscheidungen zur Unterstützung heranzieht.“ (27f.) Ein solcher Feindbegriff scheint stets zum Äußersten, der Vernichtung des Gegners, zu tendieren.89 Es sind, wie Heinrich Meier und Hans Boldt zeigen,90 alle Beispiele für die Feindschaft, die Schmitt anführt, von hasserfüllten Äußerungen gegenüber dem Feind geprägt, obwohl gerade er es ist, der im Begriff des Politischen nicht müde wird, die europäische Völkerrechtsordnung des gehegten Krieges zu preisen und ihre Überschreitung humanitär begründeten Interventionen und im Namen der Menschheit auftretenden revolutionären Aktionen anzulasten. 91 So bestehen die „Höhepunkte der großen Politik“ für Schmitt in den Momenten, in denen der Feind „in konkreter Deutlichkeit als Feind erblickt wird“ (BP, 67): Angeführt werden deutschnationaler Franzosenhass, Steins und Kleists Aufforderungen zum Totschlagen der Feinde sowie Cromwells Bestimmung der Spanier als „Enemies to the very Being of these Nation“; „He is naturally so“, „the natural enemy, the providential enemy“, kein zufälliger Feind (67). Cromwells Feindbestimmung ist Idealtypus des Feindes von Natur aus, der existenziell- substantiellen Feindbestimmung durch das Anderssein des Feindes. Sie widerspricht scheinbar Schmitts These, dass ein bestimmtes Volk „keineswegs
86 Vgl. Breuer 2012, 93. Die Frage wäre, ob z.B. bei Vorliegen eines Bandenkrieges innerhalb einer staatlichen Rechtsordnung für Schmitt die Banden souveräne politische Einheiten werden.
87 Vgl. ebd.
88 Man kann natürlich sagen, dass man den Feind aus anderen als privaten Motiven heraus hasst. Ein Antisemit wie Schmitt z.B. hat sich auf Hitlers Formulierung eines ‚Antisemitismus der Vernunft‘ berufen (vgl. Gross 2005, 125f.), der behauptet, dass die Juden böse (!) ‚Volksschädlinge‘ sind. Aber erstens ist das Feindbild damit konstitutiv moralisch bestimmt (vgl. Gross 2010) und zweitens ist hier immer noch Hass am Werk, selbst wenn der Antisemit niemals auch nur mit einem einzigen Juden persönlich zu tun hatte.
89 Vgl. Boldt 2005, 110.
90 Vgl. ebd., 103. Vgl. auch Meier 2012, 98: „Keines der vier historischen Beispiele, die Schmitt anführt, ist der klassischen Machtpolitik zwischen Staaten entlehnt. Keines ruft die Feindschaft des ‚gehegten Krieges‘ nach Maßgabe des neuzeitlichen Völkerrechts in Erinnerung.“
91 Vgl. BP, 55f. Ich komme darauf noch zurück. Zur Kritik an Schmitts Bild von diesem europäischen Staaten- und Völkerrechtssystem vgl. Teschke 2011, 81-87.
[…] ewig der Freund oder Feind eines bestimmten anderen sein müsste“ (35). Andererseits erlaubt Schmitts Dezisionismus, dass qua Entscheidung ein Feind als Feind von Natur aus bestimmt werden kann.92
4) Noch im Vorwort der 1963er Ausgabe des Begriffs des Politischen reklamiert Schmitt die Identität von Politischem und Staatlichem für die Epoche einer „klare[n] Begrenzung des Krieges“ und „Relativierung der Feindschaft“ (11) im ius publicum europaeum zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert. Dessen Unterscheidungen zwischen „Innen und Außen, Krieg und Frieden, […] Militär und Zivil, Neutralität oder Nicht-Neutralität“ (11) werden also explizit unter den Begriff des Politischen subsumiert. Die von Schmitt mit dem Politischen verbundene Formel von der „Negation der eigenen Art Existenz“, bzw. „seinsmäßigen Behauptung der eigenen Existenzform“ (50) ist damit aber nicht vereinbar und stellt keine zutreffende Beschreibung der Logik aller zwischenstaatlichen Kriege des 18. oder 19. Jahrhunderts dar. Diese waren, wie Bernd Ladwig feststellt, „von den dafür Verantwortlichen keineswegs als Negation der Negation ‚der eigenen Art Existenz‘ angezettelt worden, sondern, zum Beispiel, als Kampf um Schlesien oder um überseeische Kolonien.“93 Die Formel verweist eher auf den totalen Krieg und auf den Vernichtungskrieg im 20. Jahrhundert.94 Im Jahr 1937 spricht Schmitt
92 „‘Wirklich‘, ‚seinshaft‘ und ‚existenziell‘ ist das, was der politische Souverän als solches bestimmt.“ (Meuter 1994, 429) Vgl. dazu auch von konservativer Seite: Großheim 1999. Das Spannungsverhältnis von vermeintlich substanzhafter und dezisionistischer Bestimmung des Feindes hat Karl Löwith (1984, 45) betont: „Was heißt hier aber fremde und eigene ‚Art des Seins’ bzw. überhaupt ‚seinsmäßig’, wenn doch das politische Sein gerade keine besondere Art des Seins unter andern betrifft […]? Entscheidet hier ein von Natur aus bestehender Unterschied in der Art des Seins zwischen dem fremden und eigenen Sein über die Möglichkeit des Krieges, oder ergibt sich umgekehrt erst und nur aus der Tatsache einer wirklichen Kriegsentscheidung auch die Unterscheidung von eigenem und fremdem Sein?“ Löwith meint, dass damit Schmitts Charakterisierung der politischen Romantik als subjektivistischer Okkasionalismus im übertragenen Sinne auch auf ihn selbst zutreffe. Dieser spezifisch romantische Okkasionalismus unterscheidet sich Schmitt zufolge vom klassischen, demzufolge alle Dinge gleichgültig nebeneinander stehen und nur auf Gott bezogen sind, der willkürlich ihre Verknüpfung herstellt, darin, dass an die Stelle Gottes nun das „vereinzelte, isolierte und emanzipierte Individuum […] der liberalen bürgerlichen Welt zum Mittelpunkt, zur letzten Instanz, zum Absoluten“ wird (PR, 105). Weder der Kosmos, noch der Staat, noch das Volk […] interessieren ihn ihrer selbst wegen.“ (85) Wie nun der Romantik alles „Anlaß“ zur Ästhetisierung/Poetisierung werden könne, der sachliche Gehalt der Objekte irrelevant werde und zum bloßen „Vehikel“ (93) eines Romans, einer subjektiv gestimmten Bewertung und Erzählung (107) herabsinke, die jeder Entscheidung ausweiche (66), so könne, wie Löwith meint, bei Schmitt jedes Sachgebiet zum Anlass der für ihn einzig wichtigen politischen Unterscheidung und Spannung werden und wer Feind sei, resultiere aus einer sachfreien, willkürlichen Setzung (vgl. Löwith 1984, 40). Die Auswechselbarkeit und Substanzlosigkeit des Feindes in Schmitts Begriff des Politischen moniert auch Leo Strauss (2001, 236f.). Zur Relativierung dieser These, vgl. u.a. Teil 3.4 dieser Abhandlung.
93 Ladwig 2003, 59, vgl. ebenso Krockow 1990, 105 und Meier 2012, 104. Dass hier kein Hass auf den Feind im Spiel sein musste (vgl. BP, 29), leuchtet bei diesen Kriegen noch eher ein.
94 So zeigt Michael Wildt in seiner Studie über die Elite des Reichssicherheitshauptamts, einem Brückenkopf des NS-Vernichtungskrieges, dass diese sich bis ins Detail Schmitts Vokabular bedient. „Voller Einsatz, höchste Intensität“, so auch Hans Freyer 1929 auf einer
denn auch offen aus, es sei „richtig und sinnvoll […], eine vorher bestehende, unabänderliche, echte und totale Feindschaft zu dem Gottesurteil eines totalen Krieges“ führen zu lassen (TF, 273). Unter den Bedeutungen des ‚totalen‘ Krieges taucht explizit die Einwirkung auf den Feind mittels „rücksichtslosen Einsatzes vernichtender Kriegsmittel“ (268) und des Einziehens der Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten (270) auf. Völlig unklar bleibt also der Zusammenhang zwischen relativierter Feindschaft und ihrem doch vermeintlich politischen, dann aber auch existenziellen, um die „Negation der eigenen Art Existenz“ (BP, 27) kreisenden, Charakter. „Etwas weniger Feindschaft“, so Boldt, „die nicht mehr das Existentielle, sondern rechtliche Regeln und allgemein anerkannte Sitten als oberstes Gebot nimmt, ist mit der ursprünglichen Anlage der Theorie unvereinbar“. „Was ist – wenn Feindschaft die Negation der eigenen Art des Seins bedeutet – eine ‚relativierte’ Negation?“95
5) In der Theorie des Partisanen aus dem Jahr 1963 trennt Schmitt seinen Begriff des Politischen völlig vom Staat ab, wobei der Begriff des Ernstes als Unterscheidungskriterium eine wichtige Rolle spielt. Die dabei vorgenommene Differenzierung zwischen konventionellem, wirklichem und absolutem Feind bewirkt allerdings keine Klärung des Feindbegriffs. Es bleibt unverständlich, wie die Kategorie des konventionellen Feindes mit dem Begriff des Politischen vereinbar sein soll: Der Theorie des Partisanen zufolge ist der konventionelle Feind der Feind im gehegten europäischen Kabinettskrieg des 18. Jahrhunderts. Dieser erscheine im Vergleich zu den totalen Kriegen als „nicht viel mehr als ein Duell zwischen satisfaktionsfähigen Kavallieren“ (TP, 56).96 Der Krieg werde hier gar so stark gehegt, „daß er als ein Spiel aufgefasst werden konnte“ (90). Schmitt hat also offenbar bemerkt, dass sein auf Existenzbehauptung fokussiertes Intensitäts- Kriterium des Politischen für viele kriegerische Auseinandersetzungen gar nicht zutrifft.97 Was im Begriff des Politischen noch ohne weiteres unter das Intensitätskriterium des Politischen fällt, der gehegte Krieg, wird in der Theorie des Partisanen zum bloßen Spiel – zu dem, wogegen sich, wie noch zu zeigen sein wird, Schmitts ganzes Ressentiment wendet. Nun soll erst der antinapoleonische „spanische Partisan […] den Ernst des Krieges wieder her[gestellt]“ haben (91), indem er einen ‚wirklichen‘ Feind bekämpfte und so aus einem unernsten einen ernsten, also existenziellen, politischen, „wirklichen Krieg“ (91) gemacht habe. Den irregulär kämpfenden Partisanen zeichnet Schmitt zufolge aus, dass er sich „die Entscheidung darüber vorbehält, wer der ‚wirkliche Feind’ ist“ (90). In der wirklichen
Tagung von künftigen Mitgliedern dieser Funktionselite, zeichnet diese Generation aus. Man weiß, was das zu bedeuten hatte. Zu den Bezügen der RSHA-Mitglieder auf Schmitt vgl. Wildt 2008, 115-125, 136, 141f, 205, 210ff., 853. Zur Entwicklung des Konzepts des Vernichtungskriegs in Deutschland vgl. Reemtsma 1995.
95 Boldt 2005, 111, 118.
96 Vgl. auch Münkler 2010, 110-122 zur Entwicklung von der asymmetrischen Rechtfertigung des Krieges im bellum iustum-Paradigma des Mittelalters zur symmetrischen im Paradigma des „Duells oder Turniers“ (113) in der europäischen Völkerrechtsordnung.
97 Natürlich ging es den armen Hunden, die sich für territoriale oder sonstige Interessen ihrer Herren töten und verstümmeln lassen mussten, in der Situation des Kampfes um ihre konkrete Existenz, den Gemeinwesen aber nicht unbedingt.
Feindschaft finde der Partisan „den Sinn der Sache und den Sinn des Rechts“ im Gegensatz zur stumpfen oder untergegangenen Legalität des Gesetzes, „wenn das Gehäuse von Schutz und Gehorsam zerbricht“ (92). Er sieht in ihm einen Statthalter des Politischen, der Entscheidung unter Bedingungen offizieller Entscheidungsohnmacht, dem Untergang des legalen Souveräns.98 Es fragt sich allerdings, ob das noch als öffentliche Feindbestimmung durchgeht. Ist der Partisan wirklich der Souverän? So stellt auch Marcus Llanque fest, dass der Partisan „nicht mehr in Ausführung einer öffentlichen Sache und als regulärer Soldat, sondern als Privatmann“ agiert. Dies widerspreche aber Schmitts These vom öffentlichen, nicht privaten Charakter der Feindbestimmung.99 Wichtig ist allerdings, dass der Partisan offenbar einen direkten Draht zur Legitimität, zu den von Schmitt proklamierten ‚substanzhaften‘ Werten einer Verfassung, schließlich zum Boden haben soll, weshalb ihm auch ein „tellurische[r]“ (26) Charakter bescheinigt wird.100 Der Partisan, schreibt Llanque, erkenne Schmitt zufolge „den Sinn des Rechts als Einheit von Ordnung und Ortung“.101 Eine Möglichkeit, dem Partisanen Souveränität, d.h. eine öffentliche, verbindliche Entscheidungsgewalt zuzusprechen, besteht demnach darin, ihn als Exponent einer relativ homogenen Weltanschauungsgemeinschaft zu betrachten, die ‚unterhalb‘ des formal bestehenden Staates existiert.102
Der absolute Feind hingegen sei der Feind des von Schmitt befehdeten revolutionären, linken Partisanen, der aufgrund seiner ‚Motorisierung‘ (vgl. 78) den Bezug zum Boden verliere und der wegen seiner universalistischen, humanitären Ausrichtung den Feind aus dem Menschengeschlecht ausscheide, somit keine Hegungen mehr kenne (56, 91ff.).103 Wenn die Relativierung des wirklichen Feindes, die ihn immer noch vom absoluten Feind unterscheiden soll, vom defensiven Charakter des Partisanen herrührt, so wäre nun das Politische ausschließlich ein
98 Für Deutschland nach 1945 gilt in Schmitts Augen nicht nur, dass es zum technischen ‚Daseinsvorsorgestaat‘ mutiert ist, sondern dass es sich zudem in der Hand der neuen „Herren der Welt“ befindet: „Globale Ordnungskräfte à la Truman bzw. Roosevelt. Morgenthau- Löwenstein-Ebenstein.“ (G, 264).
99 Llanque 1990, 70.
100 Hier knüpft Schmitt an Motive der Partisanentheorie von Rolf Schroers aus dem Jahr 1961 an (vgl. Grünberger 1990, 53). Aber auch Ernst Jüngers Partisan aus dem Jahr 1951, genannt „Waldgänger“, steht Pate, ist doch bereits dieser im „Erdreich“ „original gegründet“ (Jünger 2014, 29) und weist einen unmittelbaren Bezug zur Legitimität bzw. den „Quellen der Sittlichkeit“ auf, wenn „alle Institutionen zweifelhaft oder sogar anrüchig werden“ (83). Die bei Schmitt zu findende raunende Gegenüberstellung von Land und Meer, Heimatboden und technischer Dynamik findet sich bei Jünger genauso (vgl. 38f., 41) wie Schmitts Verkehrung von Tätern und Opfern und seine Auschwitz-Relativierung (vgl. 42f.).
101 Llanque 1990, 76. Zum geschichtsphilosophischen Hintergrund dieser Idee eines legitimen Rechts als Einheit von Ordnung und Ortung vgl. Teil 3.5 dieser Abhandlung. 102 Vgl. auch Machunsky 2008,
102. 103 Schmitt versucht insbesondere nach dem 2. Weltkrieg mit solchen grotesken Behauptungen in projektiver Manier die auf Vernichtung hinauslaufende Grundstruktur seines Begriffes des Politischen zu kaschieren. Die – zudem antisemitisch artikulierte – Täter- Opfer-Verkehrung gehört nach 1945 ohnehin zum Repertoire Schmitts, vgl. u.v.a. G, 232, 265, 316.
Verteidigungskrieg, der die eigenen Landesgrenzen104 nicht mehr überschreitet (vgl. 93), ‚ernster’ ist als die Kabinettskriege der Vergangenheit, aber keinesfalls so intensiv wie ein Kampf gegen absolute Feinde. Solche Festlegungen widersprächen der relativistischen (bzw. dezisionistischen) Behauptung, dass das Vorliegen des Ernstfalls, die Definition von ‚Bedrohung der eigenen Art Existenz durch den Feind’ – damit auch, worin die eigene Art Existenz besteht – ausschließlich bei den Beteiligten selbst liege und von keinem Dritten beurteilt oder gerichtet werden könne (BP, 50). Es widerspräche auch wieder der Formel von der höchsten Intensität – dem Partisanen wird ja sogar ein „intensiv politische[r] Charakter“ (TP, 21) bescheinigt, was eigentlich schlecht möglich ist, wenn das Politische schon die äußerste Intensität der Trennung/Verbindung von Menschengruppen sein soll. Im Spätwerk wird aber nicht nur plötzlich der gehegte Kabinettskrieg als gar nicht die ‚eigene Art Existenz‘ betreffendes Spiel erkannt, sondern, wie in Hamlet oder Hekuba, der Staat selbst geradezu mit dem Spiel gleichgesetzt (vgl. HH 43, 65f., 72), gegen das „der unkonstruierbare, nicht relativierbare [!] Ernst des tragischen Geschehens“ (47) geltend gemacht wird – auch hier ist Hegung also nicht vorgesehen. So konstatiert Schmitt,
„daß es zum Wesen der Tragik gehört, sich nicht in ein sekundäres System einbeziehen zu lassen, ebenso wie umgekehrt das sekundäre System ein Bereich von Spielregeln ist, die Einbrüche des tragischen Geschehens ausschließen“ (71). „Vielleicht findet sich eines Tages ein Gesetzgeber der – den Zusammenhang von Spiel und Freiheit, Freiheit und Freizeit realisierend – die einfache Legaldefinition aufstellt: Spiel ist alles, was ein Mensch im Rahmen der ihm gesetzlich zustehenden Freizeit zu deren Ausfüllung oder Gestaltung unternimmt.“ (72)
Dass Schmitt Hans Freyers ‚sekundäres System‘ erwähnt, dessen Begriff für die Institutionen der ‚industriellen Gesellschaft‘,105 verdeutlicht, dass er nicht den Staat generell, sondern den technisch-administrativen Apparat (den „Betrieb“ (PT, 69, ebenso TD, 59)) der Wohlfahrts- und ‚Industriegesellschaft‘ mit dem Spiel assoziiert – eine rechte Kritik der vermeintlich ‚verwalteten‘, „durchgeplanten Welt mit allen Herrlichkeiten einer entfesselten Produktivkraft und einer ins Unendliche gesteigerten Konsumkraft“ (ECS, 83), auf die weiter unten noch einzugehen ist: „Die Flucht vor der Freiheit“, so Schmitt im Glossarium, „ist in concreto nichts anderes als die Flucht in die Technik.“ (G, 134) Hier wird Freiheit mit dem Politischen, also mit der (in der Regel heteronom vom Souverän vorgegebenen) Möglichkeit des Kampfes und Todes verknüpft, während Unfreiheit mit physischem Behagen und rationaler Planung per se assoziiert wird. Es geht Sch-
104 Wie dehnbar dieser ‚tellurische‘ Charakter des Partisanen ist, wie willkürlich letztlich die Landesgrenzen sind, die er ‚legitimerweise‘ verteidigt, zeigt nicht nur Schmitts Theorie der legitimitätsschaffenden Landnahme im Nomos der Erde (vgl. N, 16), sondern auch seine „verdeckte Hommage“ (J.-W. Müller 2007, 164) an die französische OAS und damit auch die Besatzungsmacht in Algerien (vgl. TP, 67f.).
105 Vgl. Freyer 1955. Der innerautoritäre Dissens der Nachkriegszeit dreht sich dabei um die Frage, ob man sich von technischen Institutionen oder nur vom kämpfenden Souverän „konsumieren“ (Gehlen) lassen soll.
mitt also keineswegs um den Gegensatz von Autonomie und Heteronomie, sondern lediglich darum, zu welchem Zweck sich das Individuum in den Dienst nehmen lässt – Unterwerfung in Form der Selbsttätigkeit.106 In der Tat spielt aber, wie gezeigt, im Partisanenkonzept die Haltung des ehemals Souveränitätsunterworfenen eine Rolle, die man im Begriff des Politischen noch nicht erkennen kann – darf dieser sich der ‚falschen‘ bzw. ‚fremden‘ Souveränität doch nicht mehr fraglos unterwerfen, sondern muss seine eigene künftige Unterwerfung unter eine bodenbezogene, wahre Souveränität aktiv betreiben und vorbereiten. Das Freiheits- und Individualitätspathos ist daher reiner Schein.107 Faschistischen Theoretikern wie Schmitt und seinen Schülern liegt nichts ferner, als die bürokratische Mentalität einer nüchternen Bedienung der Staatsapparatur. Immer wieder wird die Entwicklung des Staates zum bloßen Mechanismus (Lev, 101ff.), „große[n] Betrieb“ (PT, 69) oder „bürokratische[n] Apparaturstaat“108 unter dem „Gesetz der Zweckrationalität“109 als Verfallsgeschichte interpretiert. Diese ‚Kritik der instrumentellen Vernunft‘110 propagiert dagegen das engagierte politische Handeln im Geiste ‚substanzieller Werte‘, wenn nötig auch gegen die formal zuständigen Instanzen. Wie gezeigt, spricht sich Schmitt bereits 1914 gegen die „‘Pflichtwichte[…]‘“ und deren „Unfähigkeit in einer großen Sache aufzugehn“ aus. Diese Bürokraten verwechselten das, „was hier Staat und Aufgabe genannt wird, mit der ‚vorgesetzten Behörde‘“ (WS, 92).
Ein guter Kandidat für die Reanimierung des „nicht relativierbare[n] Ernst[es]“ des Tragischen bzw. des Politischen gegen die verhasste Sekurität und schwache Souveränität ist also für den späten Schmitt der Partisan. Dessen „wahrer Gegner“, so schreibt Jan-Werner Müller zutreffend, „war keine Armee, sondern das Gespenst des […] reine[n] Spieler“.111 Der Partisan eignet sich, wie Herfried Münkler betont, für eine existenzielle Kriegsauffassung, „in welcher der Krieg nicht als Mittel der Politik, sondern als Medium der Konstitution oder
106 Mit Erich Fromm könnte man sagen, dass Schmitt lediglich eine Variante der Flucht vor der Freiheit als Freiheit deklariert. Welcher Gedanke von ‚Freiheit‘ hier am Werk ist, wird weiter unten anhand der Ausführungen von Armin Steil angedeutet.
107 Hinter diesem verbirgt sich, wie Erich Fromm darlegt, der rebellische Typus des autoritären Charakters, der „Abfall von einer Autorität unter Beibehaltung der autoritären Charakterstruktur mit ihren spezifischen Bedürfnissen und Befriedigungen“. Die Ursache dieses Abfalls liegt darin, dass eine „bestehende Autorität ihre entscheidende Qualität einbüßt, nämlich die der absoluten Macht und Überlegenheit“ (Fromm 1989c, 184f. Vgl. bereits Teil 1 dieser Abhandlung).
108 Forsthoff 1933, 11.
109 Ebd.
110 Bereits 1916 entfaltet Schmitt dieses Motiv ausführlich in seinen Anmerkungen zu Däublers „Nordlicht“. Dort moniert er den „Betrieb, der den Einzelnen so vernichtet, daß er seine Aufhebung nicht einmal fühlt“ [!!!] (TD, 59), das ‚mechanische‘ „Zeitalter der Sekurität“ (62), mit seinen „großartig funktionierende[n] Mittel[n] zu irgendeinem kläglichen oder sinnlosen Zweck“ (59). Was hier als Kritik der verwalteten Welt anhebt, ist pures Ressentiment gegen Planung und irdisches Glück per se, die Furcht vor der Freiheit, die denjenigen ergreift, der keine transzendenten, ewigen, der Menschheit entzogenen Werte und Instanzen mehr erblicken und ihnen doch nicht entraten kann.
111 J.-W. Müller 2007, 167
Transformation einer politischen Größe begriffen wird“. Diese Figur sei mit dem „arbeitsame[n], strebsame[n], fast in allen Entschlüssen am Kosten-Nutzen- Kalkül orientierte[n] Bürger“112 nicht zu vereinbaren.
2.3 Die Bejahung des Naturzustandes
Die Entscheidung über Krieg und Feind ist für Schmitt der „entscheidende […] Punkt des Politischen“ (BP, 39). Die politische Gruppierung orientiert sich am „Ernstfall“, ist für diesen die „maßgebende“ Einheit113 und im Sinne der Entscheidung über das Vorliegen des Ernstfalls „’souverän’“ (39). Der Kriegsfall ist der Ausnahmefall, aber von diesem her bestimmt sich für Schmitt das Wesen des Politischen, das demgemäß eine Existenzform unter der beständigen Möglichkeit des Krieges ist. Der Staat verliert seine Souveränität noch nicht, wenn es starke gesellschaftliche Gruppen gibt, denen gegenüber ihre Mitglieder Treue- und Loyalitätsbeziehungen haben. Harold Laskis Hinweis auf den Kulturkampf und das Sozialistengesetz Bismarcks, also dessen erfolgloses Vorgehen gegen die Loyalitätsbindungen religiöser und sozialistischer Provenienz (42), beweisen Schmitt zufolge lediglich die fehlende faktische Allmacht des Staates, nicht die Inexistenz seiner politischen Souveränität. Denn weder Katholizismus noch Sozialdemokratie waren in der Lage, einen Krieg zu erklären oder zu verhindern (43), auch wenn letzteres das erklärte Ziel der Zweiten Internationale war. Für Schmitt ist lediglich ein politischer Pluralismus innerhalb einer politischen Einheit undenkbar (45). Ein solcher zerstöre das Monopol zur Entscheidung über den Ernstfall, bedeute per definitionem das Vorliegen vieler politischer Einheiten (Bürgerkrieg) 114 oder gar keiner, d.h. den Verlust der Souveränität an eine fremde Macht (53f.).
Staatliche Souveränität besteht also zunächst darin, „kraft eigener Entscheidung den Feind zu bestimmen und ihn zu bekämpfen“ (45); sie wird im ius ad bellum erkennbar. Bemerkenswert ist, dass Schmitt hiermit ein höherrangiges ‚Recht‘ geltend macht, nämlich das „‘Recht auf Selbsterhaltung‘“ (VL, 22), auf „Existenz [,][…] Unabhängigkeit [,] Freiheit“ des Volkes, „wobei es kraft eigener Entscheidung bestimmt“, worin diese bestehen (BP, 46).115 Indem das ius ad bel-
112 Münkler 2002, 106.
113 Sie gibt das Maß vor, wann der Ernstfall vorliegt, „auch wenn das der Ausnahmefall ist“ (BP, 39).
114 Die Vorstufe zu diesem Auseinanderbrechen der politischen Einheit sieht Schmitt 1931 im „konkrete[n] Verfassungszustand“ der Weimarer Republik gegeben, den er ebenfalls als Pluralismus im pejorativen Sinne charakterisiert. Pluralismus ist hier der „Gegensatz gegen eine geschlossene und durchgängige staatliche Einheit, […] bezeichnet eine Mehrheit festorganisierter, durch den Staat […] hindurchgehender, sozialer Machtkomplexe, die sich als solche der staatlichen Willensbildung bemächtigen, ohne aufzuhören, nur soziale (nicht-staatliche) Gebilde zu sein.“ (HV, 71)
115 Dieses vorpositive Recht wird aber nicht aufs Individuum, sondern auf politische Einheiten bezogen, vgl. VL, 22: „Was als politische Größe existiert, ist, juristisch betrachtet, wert, daß es existiert. Daher ist ihr ‚Recht auf Selbsterhaltung‘ die Voraussetzung aller weiteren Erörterungen“. Vgl. auch PT, 18f.: „Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht, kraft eines Selbsterhaltungsrechtes, wie man sagt.“ Zu diesem Topos vgl. Abschnitt 3 dieser Abhandlung.
lum das Entscheidungsmonopol des Staates über Krieg und Feind darstellt, beinhaltet es
die Möglichkeit […] offen über das Leben von Menschen zu verfügen […] von Angehörigen des eigenen Volkes116 Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft zu verlangen, und auf der Feindesseite stehende Menschen zu töten“ (46). „Durch diese Macht über das physische Leben der Menschen erhebt sich die politische Gemeinschaft über jede andere Art von Gemeinschaft“ (48).117
Verlange eine Kirche von ihren Angehörigen das Sterben für den Glauben, so nur deren eigenen Seelenheils wegen. Beziehe sich die Einforderung der Todes- und Tötungsbereitschaft auf die Kirche als „weltliches Machtgebilde“, mutiere sie hingegen sofort „zu einer politischen Größe“ (48). Die diesseitige Ausrichtung der Todesbereitschaft, ihre verbindliche Einforderung von einer jenseits des Einzelnen liegenden, öffentlichen Instanz und der eigeninteressierte Motive auf öffentliche ‚Gründe‘ hin überschreitende Inhalt scheinen also das Politische am politischen Verlangen des Staates zu sein. Das ist gegen Heinrich Meier festzuhalten, der nicht nur von einer individualistischen Deutung des Politischen ausgeht, die es zum Forum theologischer Selbsterfahrung verklärt, sondern es gar zum „Ort menschlicher Selbsterkenntnis“118 stilisiert, an dem ein jeder die Frage
116 Diese Formulierung ist insofern interessant, als dass sie offen lässt, ob die Todesbereitschaft nur vom dazu bestimmten militärischen Personal oder von allen Bürgern verlangt wird. Letzteres ist ein Kennzeichen des totalen Krieges und wird auch heutzutage wieder von Anhängern Schmitts gepredigt, z.B. von Otto Depenheuer, der erklärt, es gehöre zur „Existenzweise des Staatsbürgers, im Grenzfall das Opfer seines Lebens für den Staat erbringen zu müssen“ (Depenheuer 2007, 76). Mehr noch als die Steuer- und Gehorsamspflicht, stelle die Pflicht zum Opfer des eigenen Lebens die „Grundplicht[…]“ eines jeden Bürgers dar (90) und gebe dem individuellen Leben damit erst „Sinn und Erfüllung“ (99). Auch der Hass auf das „Lebensgefühl einer saturierten und hedonistischen Erlebnis- und Spaßgesellschaft“ (77) findet sich hier wieder.
117 Was bei Schmitt affirmativ gemeint ist, wird von Walter Benjamin einer Kritik unterzogen: Er weist auf die „Anwendung von Gewalt als Mittel zu Rechtszwecken“ hin, die auch in der Wehrpflicht als Form der „Unterordnung der Bürger unter die Gesetze“ erkennbar werde. Auch diese seien ein „Anwendungsfall der rechtserhaltenden“ Gewalt (Benjamin 2009a, 40). Eine Kritik der Wehrpflicht, wie sie Pazifisten praktizieren, verweise daher immer auch auf eine Rechts-/Staatskritik überhaupt: „Sie fällt vielmehr mit einer Kritik aller Rechtsgewalt, das heißt mit der Kritik der legalen oder exekutiven Gewalt, zusammen und ist bei einem minderen Programm gar nicht zu leisten.“ (40f.) Auch die Kritik an der Todesstrafe sei ein Hinweis auf „etwas Morsches im Recht“ (43). Diese Kritik sei eine, die sich dem „feineren Gefühl“ anbiete, müsse aber durch „die Kritik der rechtssetzenden wie der rechtserhaltenden Gewalt“ vernünftig zu Ende geführt werden (43). Denn das Recht des Staates bestehe eben in der „Ausübung der Gewalt über Leben und Tod“ der Bürger (43), sodass „eine Anfechtung der Todesstrafe nicht ein Strafmaß, nicht Gesetze, sondern das Recht selbst in seinem Ursprung angreift.“ (42) – „unter dem Gesichtspunkt der Gewalt, welche das Recht allein garantieren kann, gibt es keine Gleichheit“ zwischen Souverän und Untertan (58).
118 Meier 2012, 71. Meiers Arbeit zeichnet sich ohnehin dadurch aus, beinahe jeder Schmittschen Selbststilisierung, vor allem seinen esoterischen Auslassungen nach dem Zweiten
stelle „Wie soll ich [!] leben?“119 Er behauptet, das Politische sei deshalb jeder anderen Form von Gemeinschaft überhoben, weil es die Identifizierung eines jeden mit der Feinderklärung des Souveräns verlange: „Wenn der Mensch in der politischen Teilnahme ganz und existentiell erfaßt werden soll, muß unser Feind ohne Einschränkung zu meinem Feind werden“.120 Zwar mag eine solche Identifikation durchaus wünschenswert und förderlich für den Souverän sein, er mag sie sogar explizit verlangen, seine Feinderklärung und seine existentielle Erfassung des Menschen sind darauf aber nicht zwingend angewiesen. Auch wenn Schmitt in der dritten Auflage des Begriffs des Politischen von 1933 schreibt, die politische Einheit sei „total […], weil erstens jede Angelegenheit potenziell politisch sein und deshalb von der politischen Entscheidung betroffen werden kann; und zweitens der Mensch in der politischen Teilnahme ganz und existenziell erfaßt wird“ (BP3, 21), so meint ‚existenziell‘ doch genau diese „Macht über das physische Leben der Menschen“ (BP, 48). Matthias Kaufmann betont daher zu Recht: „Bei Schmitt […] soll die vom Untertan als Widerfahrnis erfahrene Entscheidung der Obrigkeit gerade von der individuellen Verantwortlichkeit befreien.“121
Die Frage nach dem Verhältnis von Sachgebieten und Autonomie des Politischen wird auch hier virulent, denn wofür eigentlich wird die Tötungs- /Todesbereitschaft verlangt? Einerseits behauptet Schmitt, dass jeder Gegensatz aus beliebigen Sachgebieten politisch werden könne, wenn er nur den höchsten Intensitätsgrad der Freund-Feind-Gruppierung erreiche (vgl. 37f.). Das legt nahe, dass ökonomische Konkurrenz oder moralische Ablehnung in Krieg umschlagen können: Das wären Kriege um den Zugang zu Ressourcen oder zur Verhinderung der Vernichtung spezifischer Bevölkerungsteile eines anderen Staates (‚humanitäre Intervention‘), also Kriege aus ökonomischen oder moralischen Gründen. Das Politische wäre hier eine Steigerung der Gegensätze von Menschengruppen, „deren Motive religiöser, nationaler […], wirtschaftlicher oder anderer Art sein können“ (38), bis zur Todes- und Tötungsbereitschaft. Jede Rechtfertigung von Todes- und Tötungsbereitschaft aus ökonomischen, religiösen oder ethischen Motiven lehnt Schmitt aber nur wenige Seiten später als „grauenhaft und verrückt“ (49) ab. Ein aus solchen Gründen geführter Krieg sei „sinnwidrig“, weil sich aus den spezifischen Gegensätzen der Sachgebiete Feindschaft und Krieg nicht ableiten ließen (36). Der Krieg habe „keinen normativen, sondern nur einen existenziellen Sinn, und zwar in der Realität der Situation eines wirklichen Kampfes gegen einen wirklichen Feind“ (49).122 Daher könne die Bestimmung des Feindes (wer ist zu bekämpfen?) und des Ernstfalls (wann tritt der Fall des Krieges ein?) sowie die Bestimmung der „eigenen Art Existenz“ (27) nicht moralisch oder ökono-
Weltkrieg, auf dem Fuße zu folgen und diese willkürlich und gegen jeden Textbefund den früheren politischen und rechtstheoretischen Schriften überzustülpen.
119 Ebd., 73.
120 Ebd., 81.
121 Kaufmann 1988, 327Fn. sowie 52. Auch dies ist ein klarer Hinweis auf das Syndrom des autoritären Charakters und seiner Flucht vor der Freiheit.
122 „Ein Krieg hat seinen Sinn nicht darin, daß er für Ideale oder Rechtsnormen, sondern darin, daß er gegen einen wirklichen Feind geführt wird“. (BP, 50f.)
misch oder durch sonst einen „Sachbereich“ erfolgen. Sowohl die Existenzweise als auch die Bereitschaft, für deren Verteidigung zu töten, scheinen hier durch eine kriteriell leere Entscheidung123 hervorgebracht. Sie sind „nur politisch sinnvoll“ (50) – das Politische ist aber wiederum die auf den Kriegsfall bezogene Unterscheidung von Freund und Feind.124 Schmitt scheint hier schlicht den Krieg als Mittel für bestimmte inhaltliche Zwecke zu ignorieren. Der Feind wird zwar nur bekämpft, weil er unsere Art der Existenz bedroht – was das heißt, kann Schmitt zufolge nur die politische Einheit selbst bestimmen. Wäre das aber so, dann könnte ‚der Westen‘ einen Krieg gegen ‚den Islamismus‘ führen, weil dieser seine moralischen und kulturellen Werte negiert, oder gegen ‚den Kommunismus‘, weil er seine Eigentumsordnung bedroht. Aber Schmitt leugnet dies nicht nur, er schreibt den Beteiligten plötzlich, ganz im Widerspruch zu seiner Feindtheorie aus der Beteiligtenperspektive, vor, Kriege nicht aus ökonomischen oder moralischen Gründen führen zu dürfen, nur aus politischen. Und damit wird die Bekämpfung des Feindes, wird das Verlangen von Todes- und Tötungsbereitschaft zum Selbstzweck.125 Was Werner Konitzer zufolge „bei allen NS-Ideologen“ […]
123 Der Linksschmittianismus der Gegenwart reproduziert dieses dezisionistische Denken des Politischen als grundloses und nicht zu begründendes Konfliktgeschehen, vgl. Mouffe 2013, 106 sowie Hetzel 2009, 236: „Das Politische gründet […] in seinem je konkreten Vollzug; es kennt darüber hinaus keine transzendentalen Bedingungen seiner Möglichkeit, keine ihm selbst vorgängigen Vernunft- oder Rechtsgründe. […] Das Politische ruht buchstäblich auf nichts“. Es ist bezeichnend, dass dieses politische Denken denn auch buchstäblich nichts zum Verständnis von Staat, Ökonomie und politischem Handeln beizutragen hat, mit Ausnahme der These, menschliches Handeln sei nicht durch eine Sachgebietslogik determiniert, die aber ins falsche Extrem der Aussage getrieben wird, es gebe keine historisch-spezifischen, für bestimmte Sozialformationen relativ stabilen tiefenstrukturellen Bedingungen, die menschliches Handeln ermöglichen, begrenzen und motivieren. Das Zauberwort der ‚kontingenten‘ Ordnungen lässt hier jede sozialtheoretisch sinnvolle Unterscheidung verschwinden. Zur Kritik an diesem Paradigma vgl. Hirsch 2007, Wallat 2010b, Opratko 2012, 122-153.
124 Kaufmann (1988, 61) zufolge entspringt „die Verbundenheit der Bürger untereinander […] nicht dem gemeinsamen Leben, sondern daraus, daß dieselbe Instanz das Opfer ihres Lebens fordern kann.“ 125 Vgl. dazu auch am Beispiel der Konzeption des totalen Krieges: Reemtsma 1995, 391f., 395ff. Selbstzweck ist dies allerdings in einem nicht strengen Sinne, sondern wiederum Mittel zum Zweck der Befriedigung eines kollektiv-narzisstischen Bedürfnisses, vgl. Fromm 1989c, 178ff., Adorno 1993a, 19, 23, Horkheimer/Adorno 1997, 199. Diesen Bellizismus Schmitts verkennen Roth 2005, 144 und Joas/Knöbl 2008, 222, 224, aber auch Schmitt- Apologeten wie Böckenförde (1991, 345) völlig. Dabei bleiben Textbelege Mangelware. Allein mit Bezug auf die Aussage, der Krieg sei „nicht Ziel und Zweck der Politik“ (BP, 34), versucht Böckenförde die These vom „kriegerischen Kampf“ als „Ziel und Inhalt der Politik“ als „Mißverständnis“ abzutun. Wie gezeigt, geht es beim Politischen aber sehr wohl um die Existenz unter der beständigen Möglichkeit des Krieges. Der Krieg „muß“, schreibt Schmitt, „als reale Möglichkeit vorhanden bleiben“, damit „der Begriff des Feindes seinen Sinn hat“ (33), die Feindunterscheidung wiederum ist das Kriterium des Politischen (26) und Kriege dürfen zudem Schmitt zufolge nicht „für Ideale oder Rechtsnormen“ (50f.) geführt werden, dies wäre ja „grauenhaft und verrückt“ (49), sondern nur „politisch sinnvoll“ (50) sein, haben ihren Sinn also darin, dass sie „gegen einen wirklichen Feind“ (51) geführt werden.
auftaucht“, trifft auch auf Schmitt zu: „die grundsätzliche und prinzipielle Bejahung des Krieges. Damit richten sie sich nicht nur gegen pazifistische Positionen, sondern gegen alle Positionen, für die Krieg überhaupt einer besonderen Begründung bedarf“.126
Es ist daher kein Zufall, dass Schmitt sich schon früh für „irrationalistische Theorien unmittelbarer Gewaltanwendung“ (LP, 77) interessiert und auf Georges Sorel rekurriert. Was ihn fasziniert, ist folgende Haltung:
„[D]ie diskutierende, transigierende, parlamentierende Verhandlung erscheint als ein Verrat am Mythus und an der großen Begeisterung, auf die alles ankommt. Dem merkantilen Bild von der Balance tritt ein anderes entgegen, die kriegerische Vorstellung einer blutigen, definitiven, vernichtenden Entscheidungsschlacht“ (81). „Die kriegerischen und heroischen Vorstellungen, die sich mit Kampf und Schlacht verbinden, werden von Sorel wieder ernst genommen als die wahren Impulse intensiven Lebens […]. Was das menschliche Leben an Wert hat, kommt nicht aus einem Räsonnement; es entsteht im Kriegszustande bei Menschen, die, von großen mythischen Bildern beseelt, am Kampfe teilnehmen“ (83).127
Wie bereits in Schmitts Frühwerk verselbständigt sich hier ein Merkmal von Moral128 – die Verpflichtung des Einzelnen, also die Möglichkeit eines Konfliktes mit dem Prinzip der unmittelbaren Selbstliebe – zu einer entleerten „Erhabenheit“129 als Verherrlichung des Absehens von sich selbst und allen Nutzenerwägungen.130 Wie in Schmitts Begriff des Politischen wird der Krieg dabei von Sorel zum Selbstzweck erkoren und es kommt keineswegs auf eine rational begründbare Richtigkeit oder Wahrheit des zur Gewalt motivierenden Mythos131 an. So verur-
126 Konitzer 2009, 102. Vgl. auch Sternhell u.a. 1999, 90f.: Hier ist „die Gewalt […] nicht nur Mittel zum Zweck, sondern ein Wert an sich“.
127 Ein fast wörtlicher Bezug auf Sorel 1981, 252: Die „hohen moralischen Überzeugungen“ „hängen keineswegs von Vernunfterwägungen oder von einer Erziehung des individuellen Willens ab; vielmehr stehen sie in Abhängigkeit von einem Kriegszustande, an dem die Menschen willig teilnehmen und der sich in scharf umrissenen Mythen ausdrückt“. Sorel bewegt sich dabei in dem (beabsichtigten) Zirkel, die Selbstüberwindung im Krieg/Kampf als Quelle der Erhabenheit zu betrachten, die wiederum nichts anderes als eine kriegerische Tugend ist; vgl. Sternhell u.a. 1999, 90.
128 Schmitt spricht in diesem Zusammenhang auch immer wieder von ‚Moral‘ und ‚moralischer Entscheidung‘ (vgl. z.B. PT, 68f.).
129 Sorel 1981, 248.
130 Vgl. ebd., 249. Vgl. Sternhell u.a. (1999, 93), der Sorels Intention wie folgt zusammenfasst: „man muß alle Ideologien und politischen Tendenzen zerschlagen, die sich auf die Idee gründen, das Wohlergehen des einzelnen sei der Zweck jeder gesellschaftlichen Organisation.“ Vgl. auch Meuter 1994, 285: „Ernste Moral ist demnach totale Mobilmachung zu beliebigen fremden Zwecken“.
131 Mythen sind Sorel zufolge zum Kampf motivierende „Schlachtbilder[…]“ (Sorel 1981, 30), die nicht rational analysiert oder mit dem Handlungserfolg verglichen werden dürfen (31), weil dies ihren spezifischen Gehalt intellektualistisch verkürzen und sie als bloße Illusionen dastehen lassen würde. Aber, so zitiert er Renan, „[d]ie Zukunft gehört denjenigen, denen die Illusionen nicht genommen sind.“ (35) Ernst Cassirer teilt zwar den Vorbehalt gegen die Reduktion von Mythen auf ‚falsche‘ Versuche intellektueller Weltaneignung (vgl. Cassirer 1994, 34, 41), aber er lässt sich dennoch nicht von Sorels irrationalistischem
teilt Sorel beispielsweise den ökonomisch motivierten Eroberungskrieg. Hier habe „[d]er Krieg […] seine Ziele nicht mehr in sich selbst“ (habe also keinen ‚politischen Sinn‘), gehe es doch einfach darum, sich „materielle Vorteile zu schaffen“. 132 Dem wird der Ruhmeskrieg gegenübergestellt, der „jegliche soziale Rücksicht der Rücksicht auf den Kampf unterordnet“133 (höchste Intensität) und „den Menschen, der sich ihm hingibt, an eine Stelle erhebt, die den gewöhnlichen Bedingungen des Lebens überlegen ist“134 (Ernst vs. Spiel; Ausnahme vs. Normalität). Ebenfalls aufzunehmen scheint Schmitt Sorels „Bild[…] vom Bourgeois“ (87), einen rechten ‚Mythos‘, der den Bürger als feigen, unkriegerischen Weichling beschreibt, als Gegenbild zu allen Werten des faschistischen Irrationalismus.135 Schmitt kritisiert lediglich die vermeintliche Halbherzigkeit, mit der Sorel seinen Angriff auf den Rationalismus durchführt. Er beziehe sich inkonsequenterweise noch auf die ökonomisch-technische Begrifflichkeit der Klassentheorie von Marx, mit der dieser „seinem Gegner, dem Bourgeois, auf das ökonomische Gebiet gefolgt ist“ (86): „Amerikanische Finanzleute und russische Bolschewisten“, so Schmitts Variation eines klassisch antisemitischen Topos, „finden sich zusammen im Kampf für das ökonomische Denken […]. In dieser Bundesgenossenschaft steht auch Georges Sorel.“ (RK, 19) Dagegen könne nur die „Energie des Nationalen“ (LP, 88) vor der Konsequenz einer nicht mehr zum bedingungslosen Kampf
Denkverbot beeindrucken. Mythen, so erklärt er deren Genese und Funktion, seien objektivierte und verdichtete Ausdrücke von Affekten, seien „Gefühl[e] in Bild[er] gewandelt“ (60). Das symbolisch ausgedrückte (aber in diesem Ausdruckscharakter nicht begriffene (vgl. 66)) Gefühl sei das imaginäre und rituelle Erleben der Einheit von Individuum, Gemeinschaft und Natur. Dieses Erleben wiederum befriedige in illusionärer Form ein aus der gemeinsamen Ohnmachtserfahrung aller Einzelnen entstehendes Bedürfnis nach Überwindung der eigenen Individualität. Mythos ist demnach zwar furchtgeboren, aber zugleich „Metamorphose der Furcht“ (66), deren irrationale (vgl. 68) Bewältigung durch Erzählung von Identität: „Es ist eine tiefe und brennende Sehnsucht der Individuen, sich selbst mit dem Leben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Natur zu identifizieren“ (53), ja „seine Identität zu verlieren“ (58). „Diese Sehnsucht“, so Cassirer weiter, „wird durch die religiösen Riten befriedigt“ und in Mythen sprachlich ausgedrückt. „Hier sind die Individuen in eine einzige Form geschmolzen“ (53). Auch wenn dieser Ansatz nicht deckungsgleich zu Fromms Theorie des autoritär-masochistischen Charakters ist, mit dem er die irrationale Bindung an ‚Nation‘ und ‚Rasse‘ erklären will (vgl. weiter unten), scheinen mir doch einige Übereinstimmungen vorzuliegen. Sorel spricht also mit dem Mythos- Konzept mehr über den affektiven Ursprung seines Denkens aus, als ihm lieb sein kann.
132 Sorel 1981, 196.
133 Ebd., 197.
134 Ebd., 195.
135 Schmitt schließt sich diesen Werten vollauf an, bewahrt aber meist den für ihn charakteristischen pseudosachlichen Stil. Zu den Idealen des Faschismus vgl. v.a. Sternhell u.a. 1999, 17-22, 24-27. Eine Begeisterung für das In-der-Welt-Sein im Kriegsfall, für das Konkrete im Gegensatz zum punktuellen Selbst, das einer zur leeren Abstraktion mutierten Umwelt gegenübersteht, findet sich auch im linksschmittianischen anarchistischen Manifest Der kommende Aufstand (Unsichtbares Komitee 2010, 54): „Diejenigen, die […] einen Krieg […] bewohnen, haben keine ‚Umwelt‘, sie entwickeln sich in einer Welt, die von Gegenständen und Gefahren, von Freunden und Feinden, von Lebenspunkten und Todespunkten […] bevölkert wird“.
motivierenden „rationalistische[n] und mechanistische[n] Mythenlosigkeit“ (86) bewahren.136
Im Begriff des Politischen wird Hegel zum Kronzeugen einer solchen Kritik des bürgerlichen Individualismus, die Schmitt zugleich als Liberalismuskritik artikuliert. Hegel sei „überall im größten Sinne politisch“ (BP, 62). Dieses Lob bezieht Schmitt einmal auf den politischen Sinn des Satzes vom Umschlagen von Quantität in Qualität: Er sei „Ausdruck der Erkenntnis, daß von jedem ‚Sachgebiet’ aus der Punkt des Politischen und damit eine qualitativ neue Intensität menschlicher Gruppierung erreicht ist“ (62). Außerdem erkenne Hegel die Notwendigkeit des öffentlichen Feindes „als ein zu negierendes Fremdes“ (62).137 Vor allem aber Hegels „polemisch-politische Definition des Bourgeois […], der die Sphäre des risikolos-Privaten nicht verlassen will“, die Sicherheit des Genusses seiner privaten Güter anstrebt und sich darin „als einzelner gegen das Ganze verhält“, wird gewürdigt.138 Der Bourgeois sei ein Mensch, der den Staat für seine egoistischen Geschäfte instrumentalisiert, aber „der Gefahr eines gewaltsamen Todes entnommen bleiben will“ (62).139 Dieser Bürger diene dem Liberalismus als Vorbild seiner „individualistischen Prinzipien einer liberalen Wirtschaftsordnung“, die, so Schmitt, in keiner Weise ein Opfer für den Staat begründen kön-
136 Sternhell u.a. zeigen allerdings, dass dieser Marx-Bezug Sorels von Anfang an mit einer idealistisch-irrationalistischen Fundamentalrevision verbunden war, die am Klassenkampf nur einen mythisch stilisierten Kampf schätzte, am Kapitalismus nur einen Mythos vom transigenten Bürger kritisierte, was letztlich konsequenterweise in den Nationalismus und Antisemitismus gemündet sei (Sternhell u.a. 1999, 103ff., 107). Damit folgen Sorel und seine Schüler dem Schmittschen Wink, weil sie bemerken: „Dieses Proletariat […] erwies sich als ebenso dem Utilitarismus verfallen wie die Bourgeoisie.“ (103) 137 Schmitt bezieht sich auf Hegel 1999a, 449f. Die Notwendigkeit des Feindes im zwischenstaatlichen Naturzustand erwähnt Hegel auch in den Grundlinien: „der Staat ist Individuum und in der Individualität ist die Negation wesentlich enthalten. Wenn also auch eine Anzahl von Staaten sich zu einer Familie macht, so muß sich dieser Verein als Individualität einen Gegensatz kreieren und einen Feind erzeugen“ (494, §324 Zusatz).
138 Es gibt bei Hegel allerdings auch unpolemische Charakterisierungen des Bürgers als „Meister“ und „Ehrenmann“, die Schmitt offenbar nicht interessieren, vgl. Hegel 1974, 627, § 254. 139 Vgl. auch die Grundlinien § 324, (Hegel 1989, 491), wo Hegel die „Pflicht“ der Bürger proklamiert, „durch Gefahr und Aufopferung ihres Eigentums und Lebens, ohnehin ihres Meinens und alles dessen, was von selbst in dem Umfange des Lebens begriffen ist, diese substantielle Individualität, die Unabhängigkeit und Souveränität des Staates zu erhalten“ (vgl. auch §§323, 325, 327, 328). Hegel geht von der Unmöglichkeit eines zwischenstaatlichen dauerhaften Friedenszustands aus. Er betrachtet den Krieg als vernünftige Institution, die die einzelnen ganz praktisch an ihre „Nichtigkeit“ (491 (§323)) im Vergleich zur ‚substantiellen Sittlichkeit‘ des Staates erinnert: „Der Krieg […] hat die höhere Bedeutung, daß durch ihn […] die sittliche Gesundheit der Völker […] erhalten wird, wie die Bewegung der Winde die See vor der Fäulnis bewahrt, in welche sie eine dauernde Ruhe, wie die Völker ein dauernder oder gar ewiger Friede, versetzen würde […] Im Frieden dehnt sich das bürgerliche Leben aus, alle Sphären hausen sich ein, und es ist auf die Länge ein Versumpfen der Menschen“ (492f. (§324); vgl. auch Hegel 1999a, 450). Der Krieg ist für Hegel nicht deshalb vernünftig, weil er im Konfliktfall die Sekurität der Bürger garantiert – dies sei eine „sehr schiefe Berechnung“ des Bürgers (Hegel 1989, 492).
nen (49).140 Der Liberalismus denke den Staat nämlich als Instrument der Freiheit, sein Ziel sei, „Staat und Politik […] ihres spezifischen Sinnes zu berauben“ (71). Er habe mit der Idee der Gewaltenteilung nur ein das Politische begrenzendes Prinzip, tendiere zur Bindung des Politischen „vom Ethischen her“ und zu dessen Unterwerfung unter das Ökonomische, weise aber kein originäres „politisches Konstruktionsprinzip“ (61) auf.141 Das Politische, der mögliche existenzielle Kampf, werde hier ideologisch durch marktförmige Konkurrenz und parlamentarische Debatte ersetzt oder vielmehr verdeckt und verdrängt.
140 Der Liberalismus wird mit einem „konsequenten Individualismus“ identifiziert, der nur auf eine „Negation des Politischen“ hinauslaufen könne (BP, 69). Denn die „politische Einheit muß gegebenenfalls das Opfer des Lebens verlangen“, was für den liberalistischen Individualismus „auf keine Weise zu erreichen und zu begründen“ ist (70, 49). Nur dem Individuum selbst sei hier die Verfügung über sein Leben anvertraut, es muss, wenn es „persönlich nicht will“, nicht „auf Leben und Tod kämpfen“ (70). Auch hier ist allerdings die Widersprüchlichkeit der Diagnosen einer möglichen Entpolitisierung der Welt und einer Schicksalhaftigkeit des Politischen zu vernehmen: Denn Schmitt zufolge entgeht der Liberalismus nicht „der Konsequenz des Politischen“ (78): „Essentiell unkriegerisch […] ist nur die Terminologie“ (77). D.h. der Liberalismus führt Kriege unter dem Deckmantel eines „essentiell pazifistische[n] Vokabularium“ (77). Aber er führt Kriege – wo, so könnte man Schmitt fragen, liegt dann das Problem? Auch der Sozialismus wird von Schmitt, wie in der faschistischen Ideologie üblich, als „Zwillingsbruder“ (RK, 18) des Liberalismus denunziert, soweit er als ‚gemeinschaftszersetzender‘, auf Bedürfnisbefriedigung abzielender Individualismus und Demokratismus (Herrschaft des ‚Mittelmaßes‘) verstanden wird (vgl. zu Schmitt: Meuter 1994, 261f., zu diesem Topos allgemein: Marcuse 1968, Sieferle 1995, 22f., Sternhell u.a. 1999). Allerdings können sich faschistische Ideologen von Beginn an auch für syndikalistische und bolschewistische Konzepte eines unversöhnlichen Klassenkampfes begeistern, wobei die Feinderklärung und der Kampf mit offenem Visier, nicht aber die eventuell vorhandenen universalistischen Inhalte desselben, bejaht werden. Der „atheistisch-anarchistische Sozialismus“ wird, wie Schmitt konstatiert, als „Todfeind respektiert“ (PT, 67, vgl. ebenso LP, 82: der „radikale Sozialismus“ wird hier mit Cortes als „etwas Großartigeres als die liberale Transingenz“ gepriesen. Bezeichnenderweise wird hier Proudhon gegen den ‚Intellektualisten‘ Marx in Stellung gebracht (83)). In diese Richtung geht auch Schmitts Bewunderung für die lebendige Feindbestimmung im Marxismus- Leninismus, wenn er diagnostiziert, dass „Hegel über Karl Marx zu Lenin und nach Moskau wanderte. Dort bewährte seine dialektische Methode seine konkrete Kraft in einem neuen konkreten Feindbegriff, dem des Klassenfeindes“ (BP, 62f.). Ähnlich argumentiert Arnold Gehlen in Moral und Hypermoral, seiner schmittianisch inspirierten Hasstirade gegen die 68er, vgl. Gehlen 1986, 85, 155.
141 Mit dieser Kritik des Fehlens eines politischen Konstruktionsprinzips ist zwar auch eine Kritik der kontraktualistischen Idee der Staatskonstitution aus individuellen Nutzenerwägungen gemeint (vgl. DA, 35) (ebenso Hegel 1989, 157-159 (§75); 191 (§100)), im Vordergrund steht aber ein ethischer Holismus, d.h. eine Abweisung individueller Ansprüche gegen den Staat.
Die entpolitisierende Ideologie des Liberalismus, wie Schmitt sie sieht, lässt sich schematisch wie folgt darstellen:
Unbenannt.png
Diese Kritik beinhaltet beide Tendenzen der politischen Theorie Schmitts: Einerseits die Verherrlichung des kriegerischen Typus an sich. Der Liberalismus ist dann deshalb abzulehnen, weil er Schmitts einziges Sinngebungsprinzip in einer sinnlos gewordenen Welt, den möglichen Tod des Einzelnen fürs Kollektiv, ablehnt. Andererseits impliziert sie die bonapartistische Programmatik, der sozialistischen Arbeiterbewegung nur noch mit einer autoritären Lösung gewachsen sein zu können. Der Liberalismus ist dann abzulehnen, weil er nicht willens ist, mit einer entsprechenden extralegalen Gewalt und Entschlossenheit den Kampf mit den gefährlichen Bewegungen der Linken aufzunehmen.142 Dieser Aspekt wird bereits in der Politischen Theologie (1922) erkennbar, wenn Schmitt – in nun schon bekannter Manier – den gegenrevolutionären spanischen Kulturkritiker Donoso Cortes dafür lobt,
„[d]ie Bourgeoisie […] geradezu als eine ‚diskutierende Klasse‘ [zu definieren]. Damit ist sie gerichtet, denn darin liegt, daß sie der Entscheidung [zur „blutige[n] Entscheidungsschlacht“ (ebd.) zwischen Sozialismus und Katholizismus] ausweichen will. Eine Klasse, die alle politische Aktivität ins Reden verlegt, in Presse und Parlament, ist einer Zeit sozialer Kämpfe nicht gewachsen.“ (PT, 63f.)
Schmitts Kritik richtet sich also auf die individualistisch-aufklärerischen Minimalgehalte des Liberalismus und auf dessen, wie er meint, Unzeitgemäßheit in einer Epoche entscheidender politischer Konflikte. Allerdings ist Schmitts Liberalismusbild verzerrt.143 Wie bereits anhand der Lockeschen politischen Philosophie gezeigt werden konnte – für Schmitt Inbegriff eines Naturrechts, das „die konkrete und substantielle Individualität mit allen ihren vorstaatlichen Rechten, Freiheit und Eigentum, über jeden Zweifel“ staatlicher Vorbehalte erhebe (D, 116) – , liegt dem Liberalismus ein doppelter Ausgangspunkt der Staats- und Herrschaftskonstruktion zugrunde: Neben das Individuum und seine bereits marktkonform zurechtgeschnittenen Bedürfnisse und Rechte (individuelle Glücksver-
142 Vgl. Paxton 2006, 35: „Mit ihrer ökonomischen laisser-faire-Politik, ihrem Vertrauen auf offene Diskussion, ihrem schwachen Einfluss auf die Massenmeinung und ihrer Weigerung, Gewalt einzusetzen, waren die Liberalen in den Augen der Faschisten schuldhaft unfähige Wächter der Nation gegen den von den Sozialisten geführten Klassenkampf.“
143 Nebenbei sei bemerkt, dass auch Schmitts Behauptung, liberale Theorien gingen von der „Güte des Menschen“ (BP, 60) aus, mehr als fragwürdig ist. Eine solche Unterstellung findet sich weder bei Hobbes, noch bei Locke oder Kant. Auch Hume und Smith sehen die Begrenztheit der natürlichen Sympathie des Menschen.
mehrung, Streben nach Macht und Erwerb wie Vererbung von Eigentum, Verteidigung privatautonomer Freiheit, Abwesenheit ursprünglicher positiver Unterstützungspflichten gegenüber Dritten, Ausblendung struktureller Zwänge),144 wird die Eigentumsordnung als solche, die Perspektive der Kapitalakkumulation, das automatische Subjekt des Kapitals als höchstes und letztes Ziel staatlicher Tätigkeit gestellt. Diesem hat sich das Individuum im Zweifelsfall bedingungslos unterzuordnen. Gerade gegen den Standpunkt des automatischen Subjekts, das sich von allen individuellen Bedürfnissen emanzipiert, hat Schmitt aber nicht das Geringste einzuwenden. Im Gegenteil dient ihm dieser, wie gezeigt, bereits im Wert des Staates als Paradigma „maßlose[r] Hingabe“ (WS, 90) und asketischer „Selbstvergessenheit“ (90) des Einzelnen.
Schließlich sind die Bourgeoisbegriffe von Hegel-Sorel-Schmitt nicht zufällig bloß ‚polemisch-politische‘, nicht aber ökonomische: Der Bürger steht für eine bestimmte, nämlich hedonistische, individualistische, den ‚Gemeinnutz‘ des nationalen Kollektivs und das Selbstopfer negierende Verhaltensweise, für einen Lebensstil, nicht für den Produktionsmitteleigentümer.145 Diese ökonomische Bestimmung wird denn auch von keinem der drei genannten Theoretiker kritisiert, worauf Herbert Marcuse in kritischer Auseinandersetzung mit dem Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung bereits 1934 hinweist: Der „heroisch-völkische Realismus“ betreibe eine „Abdrängung des wirklichen Gehalts des Liberalismus auf eine Weltanschauung“, die ein Ausweichen vor „der ökonomischen und sozialen Struktur des Liberalismus“146 darstelle. Mit dieser, dem Privateigentum an Produktionsmitteln, sei der Faschismus nämlich ebenso weitgehend einverstanden wie mit seiner liberalistischen Deutung als Ausdruck einer ‚natürlichen Wirtschaftsordnung‘.147 Tatsächlich richteten sich die „Ausfälle gegen den kapitalistischen Ungeist“,148 die sich im Faschismus finden, nie gegen die grundlegenden „Funktionen des Bürgers in der kapitalistischen Produktionsordnung“, sondern stets selektiv gegen „bestimmte Gestalt[en] des Bürgers“ und des Kapitalismus, z.B. ‚ gegen das ‚raffende‘ Kapital, dem das ‚schaffende‘ entgegengestellt wurde: „Die neue Weltanschauung“, so Marcuse, „schmäht den
144 Zum kapitalismuskonformen Bild des Menschen im Liberalismus vgl. Tugendhat 2010, 334.
145 Trotz aller Kritik an der „antibürgerliche[n] Bürgerlichkeit“ der Weimarer Rechten geht Krockow deren völlig diffusem Bürgerbegriff auf den Leim, wenn auch er die Differenz zwischen Schonung des ökonomischen und Kritik des kulturellen ‚Bourgeois‘ in der These eines Angriffs auf „die Bürgerlichkeit schlechthin“ verkennt (vgl. Krockow 1990, 28, 34).
146 Marcuse 1968, 21f.
147 Vgl. ebd., 24f. Die neuere Faschismusforschung bestätigt diese Einschätzung Marcuses, vgl. Barkai 1998, 94, 96f., 230, Sternhell u.a. 1999, 18, 41, 131-134, 185f., 285f., Paxton 2006, 21f., 86. Auch die Bezeichnung „Sozialismus“ im italienischen Faschismus oder Nationalsozialismus hat keinerlei antikapitalistische Gehalte. Wie Barkai feststellt, werden „alle staatlichen Planungs- und Wirtschaftseingriffe kurzerhand mit ‚Sozialismus‘ gleichgesetzt, wobei meist die Besitzverhältnisse völlig außer acht gelassen werden. […] Alle diese Richtungen vertraten konsequent das Privateigentum der Produktionsmittel und den privaten Profitanreiz in der Wirtschaft.“ (Barkai 1998, 96f.) Zur gänzlich kapitalismuskonformen Ideologie und Realität des faschistischen Korporatismus vgl. auch Agnoli 1997.
148 Marcuse 1968, 24.
‚Händler‘ und feiert den ‚genialen Wirtschaftsführer‘“.149 Auch Schmitts Polemik gegen eine beinahe schon anarcholiberalistische Ideologie, die eine auf Tausch und freiwilligen Verträgen beruhende Gesellschaft gegen die Anwendung außerökonomischer, staatlicher Gewalt in Stellung bringt, bleibt doppelbödig. Was hier auf den ersten Blick als zutreffend erscheint – dass es nicht ausgeschlossen ist, dass der Tausch eine der tauschenden Parteien benachteiligt, dass ein „System von gegenseitigen Verträgen“ sich in „ein System der schlimmsten Ausbeutung und Unterdrückung verwandelt“ (BP, 76), dass der Widerstand gegen ökonomische, vertraglich vermittelte Herrschaft nicht mit ökonomischen Mitteln geschehen kann und daher den ökonomisch Mächtigen per se als illegitime Gewalt erscheint –, das wird kryptoantisemitisch artikuliert, indem wohl nicht ganz zufällig der jüdische Theoretiker Franz Oppenheimer zum Ziel dieser Attacke gewählt wird und dessen Liberalismus mit den Motiven der unsichtbaren, unverantwortlichen und parasitären indirekten Gewalten verbunden sowie in einem Akt projektiver Aggression als Versuch einer „‘Ausrottung des Staates‘“ (75) bezeichnet wird.150 Gerade die Wendung „Tauschen und Täuschen“ oder Begriffe wie „List“, „Betrug“, „Wucherer“, „Erpresser“ (76) zeigen, dass es Schmitt hier nicht um die Kritik kapitalistischer Tauschideologie geht, sondern nur bestimmte, hier bereits als illegitim oder verbrecherisch konnotierte Praktiken angeprangert werden, die einen deutlichen Bezug zum kulturellen Code des modernen Antisemitismus als fetischistischem Pseudo-Antikapitalismus aufweisen.151
Wie Leo Strauss bereits 1932 festgestellt hat, zeichnet sich Schmitts Darstellung ‚entpolitisierender‘ Tendenzen durch eine eigentümliche Inkonsistenz aus. Einerseits räume er wenigstens die Möglichkeit ein, dass „die Unterscheidung von Freund und Feind auch der bloßen Eventualität nach auf[hören]“, es eine „politikreine“ Welt geben könne (BP 54, auch 35f., 56; ebenso RK, 34, 47). „Ob und wann dieser Zustand der Erde und der Menschheit eintreten wird“, schreibt Schmitt, „weiß ich nicht. Vorläufig ist er nicht da.“ (BP, 54) Andererseits werfe er der liberalen Idee einer Herrschaft des Gesetzes ebenso wie einer „humanitäre[n] Moral“152 vor, mit ihrer Idee einer geeinten Menschheit, mit universalistischen Normen und der Idee des gerechten oder des alle Kriege abschaffenden Krieges, dem Politischen nicht entkommen, ja es lediglich ins Barbarische steigern zu können (vgl. BP, 55; RK, 24, 44, 48). „Nun könnte“, wie Strauss konstatiert, „das Politische nicht bedroht sein, wenn es, wie Schmitt an einer Reihe von Stellen behauptet, schlechterdings unentrinnbar wäre.“153 Schmitt diagnostiziere also
149 Ebd., 25. Vgl. zu dieser Unterscheidung in raffendes und schaffendes Kapital auch Sternhell u.a. 1999, 138.
150 Raphael Gross (2005, 313) bemerkt, dass diese von Schmitt als Zitat gebrachte Wendung in Oppenheimers Werk nicht auftaucht.
151 Vgl. Postone 2005, Raphael 1999. Dass dieser fetischistische Antikapitalismus, eben weil er fetischistisch ist, keineswegs den wirklichen Kapitalismus trifft, betont v.a. Postone 2005, 11: Die im Geld und Zins dinglich erscheinende abstrakte Reichtumsform des Kapitalismus werde als handgreifliches und zerstörbares Abstraktes missverstanden und zugleich in den Juden personifiziert.
152 Strauss 2001b, 235.
153 Ebd., 229.
nicht bloß die Schicksalhaftigkeit des Politischen, seine Furcht vor der Möglichkeit einer entpolitisierten Welt offenbare sein Denken als „Eintreten für das bedrohte Politische, eine Bejahung des Politischen.“154 „Die Bejahung des Politischen“ aber sei „die Bejahung des Naturstandes.“155 Schmitt hält Strauss zufolge die entpolitisierte Welt nicht für unmöglich, er „verabscheut“156 sie, habe einen „Ekel“157 vor ihr. Schwerlich zu übersehen ist in der Tat Schmitts Affekt gegen bürgerliche Sekurität (BP, 62; TD, 62), gegen „vielleicht interessante […] Konkurrenzen und Intrigen aller Art“ (BP, 35f.), gegen „Unterhaltung“ (54), „Konsum“ (83), „Spiel“ (120) und „gemütliche[n] Bildungsgenuß“ (HH, 49), gegen ein „paradiesische[ s] Diesseits unmittelbaren, natürlichen Lebens und problemloser ‚Leib’haftigkeit“ (PT, 68), gegen „Komfort“ (TD, 62), „ästhetische[…] Schlaraffen“ (G, 165) und den „Zustand eines hochzivilisierten, hochgebildeten aber rein physischen Behagens“ (218), gegen die „nichtssagende Gleichheit“, ja „schlimmste[…] Formlosigkeit[…]“ des Kosmopolitismus (LP, 17) und „Verhandeln, abwartende Halbheit“, die „die blutige Entscheidungsschlacht“ „in parlamentarische Debatte verwandelt“, „durch eine ewige Diskussion ewig suspendieren“ will (PT, 67). Dagegen wolle er den „Ernst des menschlichen Lebens“158 bewahren, der mit der „spezifisch politische[n] Spannung“ (BP, 35), dem „Ernstfall“ (35) verbunden ist. Die einzige „Garantie dagegen, daß die Welt nicht eine Welt der Unterhaltung wird“, resümiert Strauss, „sind Politik und Staat“159 und damit die Möglichkeit des Krieges.160 In der Ausgabe des Begriffs von 1963 bestätigt Schmitt Strauss‘ Diagnose eines Hasses aufs Behagen, auf den Hedonismus und das individuelle Glück:
Strauss „legt […] den Finger auf das Wort Unterhaltung. Mit Recht. […] Heute würde ich Spiel sagen, um den Gegenbegriff zu Ernst (den Leo Strauß richtig erkannt hat) mit mehr Prägnanz zum Ausdruck zu bringen. […] In meinem Verlegenheitswort ‚Unterhaltung‘ sind aber auch Bezugnahmen auf Sport, Freizeitgestaltung und die neuen Phänomene einer ‚Überflußgesellschaft‘ verborgen“ (120).161
„Es ist“, wie Schmitt noch 1948 schreibt, „nicht gut, daß der Mensch ohne Feind sei.“ (G, 146) Der normative Kern des Begriffs des Politischen ist damit freigelegt:
154 Ebd.
155 Ebd., 235. So auch Karl Löwith 1984 42f.Fn. 37.
156 Strauss 2001b, 232.
157 Ebd., 233. Schmitt verwendet das Wort Ekel in diesem Kontext auch selbst, vgl. u.a. G, 264.
158 Strauss 2001b, 233.
159 Ebd.
160 „Politisch-sein“, so Strauss, „heißt ausgerichtet-sein auf den ‚Ernstfall’. Daher ist die Bejahung des Politischen als solchen die Bejahung des Kampfes als solchen, ganz gleichgültig wofür gekämpft wird“ (2001b, 236). Es gehe Schmitt um die „Gespanntheit zu gleichgültig welcher Entscheidung“ (236), solange sie eine auf die Möglichkeit von Kampf und Krieg bezogene ist. Strauss nennt dies irritierender Weise einen „Liberalismus mit umgekehrtem Vorzeichen“ (237), weil hier seiner Ansicht nach jede ‚ernsthafte‘, auf den Krieg ausgerichtete Entscheidung „toleriert“ (237) werde.
161 Bereits am 10.6.1932 lobt Schmitt in einem Brief an Ludwig Feuchtwanger Strauss‘ Anmerkungen zum Begriff des Politischen als einzig erwähnenswerte Rezension seines Buches, vgl. Meier 1988, 16Fn.
das faschistische „’l’art pour l’art auf politischem Gebiete’“ (WW, 125). Das erinnert auf den ersten Blick stark an die von Walter Benjamin in seinem Kunstwerk- Aufsatz aus dem Jahr 1936 als Kennzeichen des Faschismus identifizierte „Ästhetisierung der Politik“. Auch er spricht dort von einer „Vollendung des l‘art pour l’art.“ Die Menschheit habe jenen Grad an „Selbstentfremdung […] erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt.“162 Allerdings betreibt Schmitt keine ästhetische Beurteilung des Politischen – diese lehnt er sogar explizit ab (vgl. BP, 27). Vielmehr finden sich bei ihm bestimmte Analogien zu ästhetischen Phänomenen,163 die in der Schmittforschung in unterschiedlicher Weise bestimmt werden.
So erkennt Peter Bürger vor allem in der Politischen Theologie zwei wesentliche „Strukturmerkmale einer ästhetischen Weltauffassung“164 – einen modernen ästhetischen Form- und Geniebegriff, der Produktion von Kunst als nichtnormierten Normgebungsakt thematisiert, und eine „ästhetizistische Lebensphilosophie“ 165, die mit der Bevorzugung der Ausnahme vor der Regel und „erstarrten Mechanik“ (PT, 21) des Alltags,166 „ein Schema ästhetischer Opposition gegen die bürgerliche Gesellschaft“ reproduziere, das seit der Romantik bekannt sei.167 Im Gegensatz zu dieser beanspruche Schmitt aber einen „Ästhetizismus der Tat und
162 Benjamin 1992, 44. Diese Sätze können natürlich unmittelbar auf Ernst Jünger oder den Futurismus Anwendung finden (vgl. Krockow 1990, 44ff., Sternhell u.a. 1999, 294), die mit Schmitt darin übereinstimmen, dass hier Krieg und Opfer zum intrinsisch Guten in einem noch anzugebenden Sinn mutieren. Schon sechs Jahre vor Benjamin hat übrigens Hermann Heller Schmitt als „romantische[n] Ästhet[en] der Politik“ bezeichnet (Heller 1971b, 621). Aber nicht nur Intellektuelle, auch einfache Soldaten konnten den Krieg vor dem Hintergrund einer prinzipiellen Affirmation ‚soldatischer‘ Tugenden und nach einer Gewöhnungsphase durchaus als ästhetischen Genuss erleben, selbst wenn die Gewalt bedrohlich für das Leben der eigenen Truppe wurde, vgl. am Beispiel der Wehrmacht: Römer 2012, 341-344. Wer diese Haltung einnahm, der „bejahte auch den Krieg als solchen“ (344).
163 In Anlehnung an Martin Jay (1993, 121ff.) lassen sich verschiedene Ästhetikbegriffe in der Debatte um die Diagnose einer Ästhetisierung der Politik unterscheiden: 1) Die rein ästhetische Beurteilung politischer Phänomene, z.B. einer Bombenexplosion als ‚schön‘. In diesem Sinne ist Schmitt gewiss keine Ästhetisierung vorzuwerfen. 2) Die Analogisierung des kreativen, formschaffenden Künstlers mit dem Politiker, der Massen formt und ihnen seinen Willen aufzwingt. Hier ist Schmitts Rede vom Souverän zu nennen. 3) Die Manipulation der Massen durch sinnliche Erfahrung und Bilder, der Vorrang des Irrationalen, die Idee des totalen Ergriffenseins. Auch hier findet sich bei Schmitt einiges.
164 Bürger 1986, 171.
165 Ebd., 174.
166 „Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles; […]. In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik.“ (PT, 21)
167 Dass Schmitt Romantiker sei, behauptet in Anlehnung an Karl Löwith (vgl. Fn 80) auch Christian v. Krockow (1990, 84ff.). Er stellt insbesondere auf die Verabsolutierung der Form gegenüber allem Inhalt sowie auf das Offenhalten aller Möglichkeiten gegenüber jeder Verwirklichung ab, die sowohl in der Romantik als auch im Dezisionismus auftauche – trotz seines gegenteiligen Pathos der Entschlossenheit, das letztlich aber eine leere Entschlossenheit zur Entschließung sei. Für Krockow enthüllt sich im Versuch der Vermeidung jeder moralischen Entscheidung der Sinn der Verabsolutierung des Ästhetischen (vgl. 114).
des Ernstfalls“.168 Friedrich Balke moniert an den Diagnosen einer „ästhetischen Imprägnierung“169 des Begriffs des Politischen, dass das dabei waltende Ästhetikverständnis zu wenig expliziert worden sei. Schmitts „Ästhetik des politischen Ernstfalls“170 habe neben einer „aisthesiologischen Zusatzqualifikation“,171 die auf das deutliche Erblicken des Feindes und die Sichtbarkeit der Politik rekurriere, vor allem den Anspruch der totalen Erfassung des Menschen „unter den Bedingungen einer hochgradig arbeitsteilig organsierten Gesellschaft“ durch zeitweilige „Suspension aller alltäglichen (‚bürgerlichen‘) Lebensvollzüge“ mittels einer „Orientierung des Menschen an der Möglichkeit des eigenen Untergangs“.172 Tatsächlich soll ja der Mensch Schmitt zufolge durch das Politische „total“, d.h. „ganz und existenziell erfaßt“ werden (BP3, 21). Im Gegensatz zum Spiel in Schillers Sinne, das den Menschen ebenfalls total erfasse,173 aber, wie Schmitt meint, dabei existenziell „entproblematisier[e]“ (HH, 50), womit es „die grundsätzliche Negation des Ernstfalles“ darstelle (42), könne Schmitt nur eine ‚Ästhetik des Ernstes‘ tolerieren, die eine ‚tragische Existenz‘ anstrebe, die nur noch die Möglichkeit des ohne jeden weiteren Sachgehalt bleibenden Krieges und Opfers darstelle:
„Schmitt kann den Wunsch ‚gespaltener‘ Subjekte nach imaginärer Retotalisierung nur dann akzeptieren, wenn er eine Intensität entfaltet, die auch noch das zentrale Axiom neuzeitlicher Anthropologie seit Hobbes außer
168 Bürger 1986, 174.
169 Balke 1990, 48.
170 Ebd., 49
171 Ebd., 48.
172 Ebd., 49.
173 Schiller diagnostiziert „das Opfer ihrer [der Menschen] Totalität“ im Zuge der modernen klassengespaltenen, arbeitsteiligen Gesellschaft und konstatiert, es müsse „bey uns stehen, diese Totalität in unsrer Natur, welche die Kunst zerstört hat, durch eine höhere Kunst wieder herzustellen.“ (Schiller 2006b, 28) Es sei „nur das Spiel“, das den Menschen wieder „vollständig macht“ (61), d.h. theoretische und praktische Vernunft sowie Sinnlichkeit in Harmonie vereint: „der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ (62f.). Am Spiel hebt Schiller hervor, dass es „weder subjektiv noch objektiv zufällig ist, und doch weder äußerlich noch innerlich nöthigt“ (60). Es ist demnach dem materiellen oder moralischen Zwang genauso enthoben, wie der „nichtige[n] Lust“ (63); es neutralisiert die groben sinnlichen Notwendigkeiten und Bedürfnisse, ohne einer logischen oder moralischen Nötigung zu unterliegen (zu Schillers Begriff des Spiels vgl. Matuschek 2009, 180-186, 193ff., 202, 211f.). Schmitt wendet sich explizit gegen diese Idee: „Erst im Spiel wird der Mensch zum Menschen; hier findet er sich aus der Selbstentfremdung zu seiner eigenen Würde. An der Hand einer solchen Philosophie muß das Spiel dem Ernst überlegen werden.“ Der Ernst werde so „zum tierischen Ernst“, „‘dreckichte Wirklichkeit‘“ (HH, 49), während er doch für Schmitt gerade den Menschen ausmachender Zweck ist. Es wäre interessant, der Frage nachzuspüren, inwiefern Schmitt hier partiell in der Tradition der Ablehnung des Spiels als eitles Blendwerk steht, die von Platon über Aristoteles bis hin zu Rousseau reicht. Allerdings sind deren Konzepte des Ernstes allesamt substanzieller als das Schmittsche, das unnötiges Leid per se in den Rang des Ernstes erhebt.
Kraft setzt, das den Menschen ein schlechterdings nicht zu relativierendes Interesse an ihrer conservatio unterstellt.“174
Diese Ästhetik des Ernstfalls fuße damit auf einer „Ästhetik des Erhabenen“,175 die den bereits bei Kant damit verbundenen Gedanken des selbstzweckhaften Gefallens an einem „Widerstand gegen das Interesse der Sinne“176 ausübenden, unermessliche „Größe und Macht“177 beigelegten Gegenstand radikalisiere.178 Günter Meuter knüpft an dieses Motiv an, indem er hervorhebt, Schmitt tausche das geniale Künstlerindividuum gegen den Souverän aus und beharre auf der die Individuen, um es mit Schiller zu sagen, äußerlich nötigenden Verbindlichkeit seiner Entscheidungen.179 Wichtig sei Schmitt die Idee einer die Individuen transzendierenden Größe, die zugleich – dem modernen Kunstbegriff entsprechend – Wahrheits-, Nützlichkeits- und Moralfragen enthoben sei.180