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2.5 Die Ewigkeit personaler Herrschaft

Was ist aber ungeachtet dessen von Schmitts Kritik der humanitären Bestrebungen zu halten, die den Krieg abschaffen wollen oder zumindest universalistische normative Begründungen für kriegerische Akte verlangen? Er kleidet damit seine Verherrlichung des Kampfes in ein davon ablenkendes kryptonormatives Gewand. 218 Der dreifache Gewinn einer solchen Strategie ist evident: Schmitt kann das Ideal des Krieges gegen humanistische Kritik verteidigen, seine moralische Option für den Krieg hinter der scheinbar nüchternen Diagnose der Unentrinnbarkeit des Politischen verbergen und zugleich den Humanismus/Pazifismus als die schlimmere Variante politischen Verhaltens entlarven. Schmitt bedient sich dabei aller Kniffe einer „Rhetorik der Reaktion“219:
a) Der Sinnverkehrungsthese: Er behauptet, die Kriegsfeindschaft oder die Idee eines gerechten Krieges im Namen der Menschheit führe zur Entmenschlichung des Feindes (BP, 55) und zu einem totalen Vernichtungskrieg220 bis zur „äußersten Unmenschlichkeit“ (55, vgl. auch RK, 44; G, 145f.). Kriege im Namen der Menschheit hätten daher einen „besonders intensiven politischen Sinn“ (55). Aber nimmt Schmitt damit nicht gerade einen universalistischen Begriff von Menschheit in Anspruch? Welchen Sinn soll sonst der Begriff der Unmenschlich
beschreibt. Großheim betont zur Auseinandersetzung mit Jünger, dass bei Schmitt „ei aller Beteuerung, daß eine ‚Ordnung‘ oder eine ‚normale Situation‘ sein Ziel sei, […] doch immer wieder die Vorbehalte gegenüber dem Komfort und Behagen eines sekuritätsfixierten status quo und dem reibungslosen Funktionieren des Betriebes durch[brechen]“ (327).
217 Vgl. auch Heinrich Meier (2012, 68ff.), der freilich sogleich auf eine vermeintlich theologische Feindbestimmung rekurriert. Dem widerspricht Schmitt aber bereits im Begriff (vgl. BP, 48). Zur Kritik an der theologisierenden Deutung vgl. Teil 3.4.
218 Auch das hat Strauss erkannt: „Nun hindert die Polemik gegen die Moral […] Schmitt nicht, ein moralisches Urteil über die humanitäre Moral, über das Ideal des Pazifismus zu sprechen.“ (2001b, 235). 219 Hirschman 1995. Zu den im Folgenden genannten Thesen (Sinnverkehrungs-, Gefährdungs-, Vergeblichkeitsthese) vgl. ebd., v.a. 141ff.
220 Schmitt phantasiert in diesem Zusammenhang – ganz im Stile einer verfolgenden Unschuld, die sich gegen Vernichtungsdrohungen zur Wehr setzen muss – gar eine mögliche Ausrottung des deutschen Volkes durch die Alliierten des ersten Weltkriegs: Die amerikanischen Indianer seien „wirklich ausgerottet worden“, „weil sie Menschenfleisch fressen […] vielleicht genügt es eines Tages sogar, daß ein Volk seine Schulden nicht bezahlen kann,“ (BP, 55Fn.) um geächtet und vernichtet zu werden. Nach 1945 praktiziert Schmitt eine Täter-Opfer-Verkehrung bezogen auf Auschwitz und imaginiert die Nazi-Täter als Opfer einer Vernichtungspolitik: „Genozide, Völkermorde, rührender Begriff; ich habe ein Beispiel am eigenen Leibe erlebt: Ausrottung des preußisch-deutschen Beamtentums im Jahre 1945.“ (G, 265) „Zwischen Euch und uns liegen auf beiden Seiten zuviele entweihte Leichname, zuviele geschändete Leichen. Die Verbrennung der Nürnberger Gehenkten hat diesen Zustand noch verschlimmert.“ (316)
keit haben?221 Und schließlich stellt sich die Frage, was „besonders“ intensiv heißen soll, wenn das Politische schon den „äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung“ (BP, 27) von Menschengruppen darstellen soll;
b) der Gefährdungsthese: Die Kriegsfeindschaft und das bellum iustum- Prinzip gefährde damit zugleich eine Praxis, die sich im „Kriegsrecht des gehegten kontinentalen Landkrieges“ (TP, 16) seit 1648 entwickelt habe;
c) der Vergeblichkeitsthese: Die Kriegsfeindschaft entrinne so keineswegs dem Schicksal des Politischen, erliege vielmehr einer Dialektik des Politischen: „So hebt auch die feierliche ‚Ächtung des Krieges’ die Freund- Feindunterscheidung nicht auf.“ (BP, 52);
d) der Partikularismusthese: Kriege im Namen der Menschheit seien daher im strengen Sinne gar nicht möglich, denn ‚die Menschheit‘ könne keinen Krieg führen, weil ihr dann der Feind (auf Erden) fehle (54f.) – es sei denn, die menschlichen Eigenschaften des Feindes würden einfach geleugnet, womit man wieder bei der Sinnverkehrungsthese angelangt wäre. Wie alle universalistischen Normen, seien solche humanitären Rechtfertigungen prinzipiell betrügerisch und verschleierten lediglich partikulare Bestrebungen bestimmter Interessengruppen oder Staaten: „Wer Menschheit sagt“, schreibt Schmitt, „will betrügen“ (55).
Nun ist es kaum zu leugnen, und Schmitts ‚Ideologiekritik‘ universeller Normen bezieht daraus ihre suggestive Kraft, dass partikulare Machtpolitik sich häufig universalistischer Legitimationsmuster als „ideologisches Instrument imperialistischer Expansionen“ (55) bedient. Auch seine Völkerbundkritik entbehrt nicht einer gewissen Plausibilität: Der Völkerbund gilt Schmitt in seiner damaligen Gestalt als ideologisches Mittel und Forum, um partikulare Interessen starker Staaten durchzusetzen. Nähme der Völkerbund die Idee einer „die gesamte Menschheit umfassenden“ Gemeinschaft beim Wort, so sei dies nichts anderes als ein Versuch, einen unpolitischen Idealzustand der Menschheitsgesellschaft zu verwirklichen. Dann müsse er aber „mindestens konsequente Staatenlosigkeit“ (56) anstreben. Wenn universelle Normen und Ansprüche im antagonistischen Pluriversum der Staaten aber ideologische Mittel sind, muss dann daraus der Schluss gezogen werden, auf solche Normen zugunsten eines selbstbewussten Partikularismus zu verzichten? Dem ‚umso schlimmer für die Normen‘ könnte ja auch ein ‚umso schlimmer für die Wirklichkeit‘ entgegengehalten und die partikulare Praxis anhand universaler Normen kritisiert werden. Das führt zu Schmitts grotesker Behauptung, es seien gerade universalistisch legitimierte Kriege, die besonders grausam und unmenschlich seien. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Behauptung unkommentiert noch in der Ausgabe von 1963 zu finden ist, um den totalen Realitätsverlust bzw. die aggressive Schuldabwehr dieses angeblich so nüchternen und sachlichen Theoretikers zu ermessen. Die Realität der Kriegsführung insbesondere der Westalliierten zeigt, dass universalistische Kriegslegitimationen auch eine „gewaltlimitierende Funktion“222 aufwei-
221 Vgl. auch Kaufmann 1988, 45: Letztlich weise Schmitt „nur einigen Universalisten Heuchelei nach. Das Kriterium der Moralität hat er infolgedessen anerkannt und bestätigt, nicht etwa widerlegt“.
222 Münkler 2002, 208.
sen können. Die Totaldenunziation und abstrakte Negation universeller Normen führt dagegen zwangsläufig zu einer Gewaltenthemmung,223 wie sie im Zweiten Weltkrieg seitens der Deutschen vollzogen wurde.224 Schließlich war es eine Ideologie des selbstbewussten Partikularismus, für den Schmitt plädiert,225 mit dem die deutsche Seite den Krieg als Vernichtungskrieg geplant und durchgeführt hatte.226 Raymond Aron stellt denn auch zu Recht gegen Schmitts Behauptung, absolute, vernichtende Feindschaft sei Konsequenz des Universalismus, fest:
„Ludendorff-Hitler […] allein geben dem eine genaue Bedeutung, was Carl Schmitt ‚absolute Feindseligkeit‘ nennt – was weder die Verfasser des Versailler Vertrags gemacht haben noch die Marxisten-Leninisten oder die Sieger des Zweiten Weltkriegs im Westen. Ludendorff und Hitler erheben die Rassengemeinschaft zum Gegenstand der Geschichte und sehen die Feinde dieser Rassengemeinschaft als überhistorische Feinde des deutschen Volkes, ja sogar aller Völker. Ich sage, daß diese Feindschaft und nur sie allein das Wort absolut verdient, weil sie logischerweise zum Massaker oder Völkermord führt.“227
Es fällt auf, dass Schmitt suggestiv zweierlei Menschheitsbegriffe konfundiert – einen empirischen und einen intelligiblen oder normativen. Tatsächlich ist es im
223 Diese Enthemmung ist auch eine Konsequenz eines nietzscheanischen Typus von Antiideologie, wie Schmitt sie praktiziert. Nietzsche „zerstörte […] die Formen der ideologischen ‚Verhimmelung‘ nicht als Formen der Herrschaftsreproduktion, sondern im Gegenteil als Hindernisse einer Herrschaftsradikalisierung, d.h. in ihrer Schutzfunktion für die Schwachen und Benachteiligten.“ (Haug 1994, Sp. 343). Vgl. u.v.a. Nietzsche 1988, 770; 1993, 279ff. Zu Nietzsches Herrschaftsontologie vgl. Wallat 2009a. Allerdings haben für Nietzsche Sklaverei und Krieg noch den Sinn, die Kulturproduktion seitens der Wenigen zu ermöglichen, vgl. Nietzsche 1988, 767, 774. Diese externe Sinngebung des Krieges entfällt bei Schmitt.
224 Harald Welzer zeigt anhand der rassistischen Haltung vieler US-Soldaten und Funktionäre im Vietnamkrieg, dass auch bei einer eigentlich universalistisch ausgerichteten Macht deren insgeheimer Partikularismus eine Quelle annähernd genozidaler Praktiken und Kriegsverbrechen ist, also keineswegs der Universalismus; vgl. Welzer 2007, 220-227.
225 Schmitts Behauptung, Nationalgefühl bestehe in einer „Empfindlichkeit für das Verschiedensein an sich“ (LP, 88) ist hochinteressant, zumal sie in Kombination mit der bei ihm ebenfalls vertretenen These, das soziale Band im deutschen Volk sein eher das der Ehre als das des formalen Rechts (DA, 43), einen Einblick in nationalsozialistisches Gedankengut gibt, das Christian Strub am Beispiel von Alfred Rosenbergs Mythus erläutert: Ausgegangen werde von partikularen, rational nicht begründbaren (Gefühl!), nur für bestimmte Völker geltenden „Höchstwerte[n]“: Ehre bei den Deutschen, Demut bei den Römern, Nutzen bei den Angelsachsen (Strub 2009, 186). Da Ehre nun der Deutschen moralischer Höchstwert sei (gute=ehrenhafte Handlungen und Gesinnungen) und Ehre in der Treue zum eigenen (deutschen) Volk in seiner bejahten Partikularität bestehe, die Eigenheit des deutschen Volkes aber vornehmlich in seiner Ehrhaftigkeit, so entstehe ein Zirkel. Ein „wahrhafter Deutscher“, so zitiert Strub J.G. Fichte, könne „nur […] leben wollen, um eben Deutscher zu sein und zu bleiben.“ (zitiert nach ebd., 194). Auch Günter Meuter weist auf das „zutiefst banale Arcanum des Schmittschen politischen Existenzialismus“ hin, das in dem „Axiom: Wir sind wir, d.h. anders als die Anderen“ bestehe (Meuter 1994, 284). Was Wir sind, sei dabei das, „was der jeweilige Machthaber uns zu sein bestimmt.“ (285) 226 Vgl. Joas/Knöbl 2008, 226, 234.
227 Aron 1980, 525f.
Schmittschen Sinne nicht möglich, dass die empirische Menschheit ‚auf Erden‘ Krieg führt. Nichtsdestotrotz können aber ‚Feinde der Menschheit‘ (oder ‚Verbrechen gegen die Menschheit‘) bekämpft werden, die den normativ universellen Charakter der Gattungseinheit (verstanden als allen Menschen gleichermaßen zukommende Ansprüche auf Achtung ihrer Würde) durch partikulare, z.B. rassistische, Ideologien aufsprengen wollen. Solche Bekämpfung leugnet gerade nicht den Anspruch auch der in dieser Weise als Feinde der Menschheit Definierten auf menschliche Würde. Sie fordert vielmehr die Aufgabe der exklusiven Beanspruchung bestimmter Rechte von solchen Akteuren. Das ist also das genaue Gegenteil der unsinnigen Behauptungen Schmitts von der besonderen Unmenschlichkeit humanitärer Kriegseinsätze.228
Der Nationalsozialismus hingegen vertrat nicht nur wie Schmitt eine partikularistische ‚Moral‘,229 er rechtfertigte vor allem die Ermordung der Juden auch mit einem ganz im Sinne des Schmittschen Feindbegriffs liegenden defensiven Scheinargument der verfolgenden Unschuld230 und vertrat, ebenfalls wie Schmitt, die Ansicht, hinter universalistischen Normen könnten sich nur verschleierte partikulare Absichten – und zwar vor allem Absichten der Juden – verbergen. Zugleich ist für den NS die Entgegensetzung zum ‚Juden‘ konstitutiv für die volksgemeinschaftliche Identitätsbildung. Auch dieses Motiv kann unschwer in Schmitts Denken wiedergefunden werden. Politische Identitätsbildung kann sich ihm zufolge nur durch den Kampf mit dem „wirklichen Feind“ (TP, 87) vollziehen. Man muss sich mit ihm „kämpfend auseinandersetzen, um das eigene Maß, die eigene Grenze, die eigene Gestalt zu gewinnen“ (87f.). Wie die aktuelle Antisemitismusforschung feststellt, ist hier indes der Mechanismus der Projektion am
228 Schmitts These einer Dialektik des Universalismus folgen ohne jede kritische Distanz auch Chantal Mouffe (2013, 66, 101) und Andreas Hetzel (2009, 177, 182; 2010, 240f., 243). Beide vertreten einen selbstbewussten ethisch-partikularistischen Standpunkt, der sich freilich ‚radikaldemokratisch‘ gibt. Hetzel bringt es sogar fertig, Habermas‘ Idee eines rational motivierten Konsensus als „Vorschein des Faschismus“ (Hetzel 2009, 177) zu bezeichnen. Und weiter ebd.: Die „Idee einer universellen Vernunft, so hat bereits Carl Schmitt gezeigt, ist die postpolitische Vision schlechthin. Sie […] exkludiert die politischen Gegner nicht nur aus dem Bereich des Politischen, sondern auch aus dem Bereich des Menschlichen.“ Gegen solch krude Denunziationen des Universalismus und historisch leicht falsifizierbare Behauptungen argumentiert treffend Schweppenhäuser 2005, 158-163, 178-183.
229 „Indem der Nazismus dem jüdischen Volk die Existenzberechtigung abspricht und seine Vernichtung betreibt, wird die Leitidee von der moralischen Gattungseinheit der Menschheit verworfen und im Namen einer anderen Werteordnung ein moralischer Gattungsbruch begangen.“ (Zimmermann 2008, 18). Vgl. dazu (durchaus kritisch) Tugendhat 2009, Konitzer 2009, Gross 2010, Elbe 2011.
230 Am 4. Oktober 1943 hält Heinrich Himmler vor den Gruppenführern der SS in Posen eine berüchtigte Rede. In dieser lobt er seine Mannschaften dafür, bei der „Ausrottung des jüdischen Volkes […] anständig geblieben zu sein“. „Wir hatten“, so Himmler weiter, „das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen. Wir haben aber nicht das Recht, uns auch nur mit einem Pelz, mit einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder mit sonst etwas zu bereichern.“ (Himmler zitiert nach Gross 2010, 144). Gross zeigt, dass Schmitts defensive Feindbestimmung ganz auf der Linie dieses projektiven Notwehr- und Selbsterhaltungsmotivs liegt vgl. Gross 2005, 66.
Werk: Das Bedürfnis der Identifikation mit einem harmonischen, konfliktfreien Kollektiv inmitten einer systematisch konfliktuösen Gesellschaft verlangt die Abspaltung der die Einheit gefährdenden Selbstanteile (des Ichs oder der Gemeinschaft) und ihre wahnhafte Bekämpfung am anderen.231 Hans Boldt weist nun darauf hin, dass auch in Theodor Däublers, bei Schmitt zustimmend zitiertem Satz „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt“ (87), „[n]icht der Fremde, der Andersartige […] bekämpft [wird], sondern das eigene Selbst in Gestalt des Anderen“, was an den „Mechanismus der Projektion“ erinnere.232 An dieser Stelle löst sich auch das Problem, dass sich der Charakter eines Kollektivs mit dem des Feindes beständig ändern muss, wenn sich das Kollektiv durch das Entgegenstehen zum Feind bestimmt: „Ist es nicht ein Zeichen innerer Gespaltenheit“, fragt Schmitt, „mehr als einen einzigen wirklichen Feind zu haben?“ (87) Daher sei es „richtig und sinnvoll […], eine vorher bestehende, unabänderliche, echte und totale Feindschaft“ (TF, 273) zu hegen. Im ‚Juden‘ findet Schmitt nun diesen Fixpunkt: „Gerade der assimilierte Jude“, schreibt er 1947, „ist der wahre Feind“, der immer derselbe bleibe: „Denn Juden bleiben immer Juden. Während der Kommunist sich bessern und ändern kann“ (G, 18) oder der französische oder englische Feind durchaus zum Verbündeten werden kann (BP, 35).233 ‚Der Jude‘ steht zudem hinter den anderen, kontingenten Feinden als wahrer Feind.234 So seien die USA nach 1945 nur scheinbar die neuen
Herren der Welt“: „Ein sonderbarer Herr der Welt, dieser arme Yankee, neumodisch mit seinen uralten Juden. […] Globale Ordnungskräfte à la Truman bzw. Roosevelt. Morgenthau-Löwenstein-Ebenstein.“ (G, 264). „Sie reden zwar viel von Eliten,/doch ahnen die meisten es kaum:/es gibt nur noch Isra-Eliten/im großplanetarischen Raum“ (255).
„Der Jude“, konstatiert Dan Diner, steht hier „für das Andere […] als das kontrapunktisch Konstitutive des eigenen Selbst“.235 Der ‚Jude‘ stabilisiert damit hier offenbar nicht nur die deutsche Identität, sondern die Existenz des Politischen schlechthin. Er ist der Andere, nicht nur der Fremde236 – der innere Andere, der vor allem als assimilierter Jude kein Staatsfremder ist, sondern die Figur des Dritten darstellt, der nicht einen internationalen Gegensatz bezeichnet (Feind i.S.
231 Vgl. Haury 2002, 61-64; Pohl 2011, 46. 232 Boldt 2005, 101. Vgl. auch die Bemerkungen von Arno Gruen zu Carl Schmitt in Gruen 2001, 140ff.
233 Vgl. Machunsky 2008, 92.
234 Dieses klassische Motiv des modernen Antisemitismus, demzufolge das die politische Einheit zersetzende Element in Liberalismus und Bolschewismus letztlich auf ‚den Juden‘ zurückzuführen ist, findet sich auch im Leviathan-Buch von 1938. Dort ist es „der rastlose Geist des Juden“, der die angeblich liberalen Loyalitätsvorbehalte des Hobbesschen Leviathan entfaltet und damit nicht nur die „Unterminierung und Aushöhlung der staatlichen Macht zur Lähmung des fremden […] Volkes“ bewirkt (Lev, 92f.), sondern in Gestalt der „jüdischen Front“ von „Rothschilds, Karl Marx“ und anderen (108) das Scheitern der europäischen Nationen und das ‚Verschneiden‘ ihrer einst „lebenskräftigen Leviathan[e]“ (110) verursacht.
235 Diner zitiert nach Gross 2005, 306.
236 Gross 2005, 306.
einer anderen Nation bei Beibehaltung der Logik der Nationform), sondern das Andere der Nationform selbst,237 das Antipolitische schlechthin:
„Der äußere Feind steht […] doch immer noch […] prinzipiell auf der gleichen Ebene wie man selbst. […] Der ‚Andere‘ im Innern jedoch wird als ein zu beseitigendes Problem begriffen. […] Denn der innere Feind dient nicht allein der Kaschierung der Unmöglichkeit von Gemeinschaft […], er wird auch zum Schuldigen dafür deklariert, daß die moderne Gesellschaft die ersehnte ‚nationale Gemeinschaft‘ prinzipiell verhindert.“238
Es ist daher kein Zufall, dass der ‚Jude‘ im antisemitischen Denken als ‚Feind der Völker‘ bezeichnet wird. Auch dieser Topos findet sich bei Schmitt. Diesem zufolge stellen jüdische Mythen den Leviathan als Summe der sich bekriegenden heidnischen Völker dar (vgl. Lev, 17):
„Die Juden aber stehen daneben und sehen zu, wie die Völker der Erde sich gegenseitig töten; für sie ist dieses gegenseitige ‚Schächten und Schlachten‘ gesetzmäßig und ‚koscher‘. Daher essen sie das Fleisch der Völker und leben davon.“ (18)
Obwohl Schmitts Universalismuskritik schließlich einen tatsächlichen Aspekt staatlich-rechtlicher Herrschaft trifft – die Untilgbarkeit der Gewalt im Recht –, verfehlt er doch die Tatsache, dass moderne bürgerliche Herrschaft rechtlich vermittelt, anonym strukturiert ist. Er konstatiert,
„daß die Souveränität des Rechts nur die Souveränität der Menschen bedeutet, welche die Rechtsnormen setzen und handhaben“ (BP, 66), „[d]a […] in der konkreten Wirklichkeit des politischen Seins keine abstrakten Ordnungen und Normenreihen regieren, sondern immer nur konkrete Menschen oder Verbände über andere konkrete Menschen und Verbände herrschen“ (72).
Der Gedanke einer unaufhebbaren personalen Herrschaft und Konflikthaftigkeit239 von durch ein irrationales Band zusammengehaltenen Gruppen kann als Kern der Schmittschen politischen Ontologie identifiziert werden.240 Schmitt
237 Vgl. Holz 2000, 280; Haury 2002, 100; Salzborn 2010, 184, 337.
238 Haury 2002, 64f. Schmitt ist auch hier unmissverständlich: „Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen“ (LP, 14).
239 Selbst für die Eventualität des unpolitischen Zustands einer zur „Konsum- und Produktivgenossenschaft“ gewordenen Menschheit fragt Schmitt noch, „welchen Menschen“ hier die weltumspannende wirtschaftliche und technische Macht zukäme (BP, 58). Übrigens nicht anders als bei dem im Banne Nietzsches stehenden Kelsen, ist Herrschaft hier ontologisiert.
240 Beide Grundannahmen sind im postmodernen Linksschmittianismus anzutreffen, so z.B. bei Chantal Mouffe. Sie begreift den Antagonismus (oder Agonismus) der „Wir-Sie- Unterscheidung“ als „ontologische[…] Verfassung“ (Mouffe 2007, 25) des Sozialen schlechthin, hebt gegen zweckrationale Interessenkalküle oder moralische Prinzipien das irrationale, affektive Band sozialer Einheiten hervor und anthropologisiert es zugleich. Den autoritär-masochistischen „Wunsch der Menschen […], mit der Masse zu verschmelzen und sich damit selbst in ihr zu verlieren“, begreift sie als „Teil der psychologischen
versteht nicht, dass die Normen formaler Freiheit und Gleichheit oder die Idee subjektloser Gewalt im Namen des Gesetzes notwendige Implikationen des im ökonomischen Wert real verselbständigten und versachlichten gesellschaftlichen Zusammenhangs sind, dass hier also tatsächlich unpersönliche Zwänge vorliegen, die keineswegs bloßes Resultat der Anonymisierung von hinter ihnen steckenden konkreten Normautoren sind.241 Dass unter kapitalistischen Bedingungen abstrakt- allgemeine Normen mit Herrschaft verbunden sind, ist nicht nach dem Modell des sich maskierenden Manipulators zu denken,242 sondern verweist auf einen systemischen Zusammenhang, den zu begreifen Schmitt unfähig ist.243 Er muss daher das „real Abstrakte“ als „irreal Konkrete“244 imaginieren und bekämpfen.