Skip to main content

G. Die Lehre von der Rechtssouveränität

View attachment 1740Der traditionellen Vorstellung, daß der Staat als Rechtspersönlichkeit der Rechtsordnung unterworfen sei, hat man neuerdings entgegen gehalten, daß er dann — wenn es auch seine eigene Rechtsordnung sei, der er sich unterwirft — nicht eigentlich mehr souverän sein könne, daß es vielmehr das Recht sei, dem allein Souveränität zukomme. (KRABBE.) Mit dem Dualismus von Staat und Recht verschwindet auch diese Frage. Ist der Staat als Person nur eine von der Rechtserkenntnis vollzogene Personifikation des Rechts, dann kann von einer Unterwerfung des Staates unter die Rechtsordnung niemals in dem Sinn die Rede sein, der für die Unterwerfung eines Menschen unter die Rechtsordnung gilt: Pflichtmäßige Gebundenheit durch die Rechtsordnung. Daß der Staat Pflichten „hat“, bedeutet — wie immer wieder betont werden muß — etwas anderes als daß ein Mensch verpflichtet ist. Diese rechtliche Bindung durch eine gleichsam von außen, von oben herantretende Rechtsordnung: das ist aber offenbar der Sinn, in dem man auch die Selbstverpflichtung des Staates vorstellt und daher darin eine Beeinträchtigung der Souveränität — als Unbeschränktheit — des nunmehr rechtlich beschränkten Staates erblickt. Die Lehre, die unter Hinweis auf die Unterwerfung des Staates unter das Recht die Souveränität für das Recht in Anspruch nimmt und dem Staate abspricht, tritt in Verbindung mit der schon in anderem Zusammenhange charakterisierten Anschauung auf, daß ursprünglich, in den Anfängen der historischen Entwicklung zwar der Staat — als Obrigkeitsstaat der absoluten Monarchie — souverän gewesen sei, daß aber später — als der Volksstaat den Obrigkeitsstaat verdrängte — allmählich sich das Recht über den Staat gestellt habe; und daß somit nur dem modernen Staat gegenüber das Recht — und nicht der Staat — souverän, weil nur der moderne Staat Rechtsstaat sei. Diese Anschauung übersieht, daß auch der autokratische Staat, der in seiner gemilderten Form und im Gegensatz zum demokratischen gerne als „‚Obrigkeits“- Staat bezeichnet wird, nur Rechtsordnung ist, nur als Ordnung begriffen werden. weil anders die Einheit in der Vielheit von Herrschaftsakten nicht vorgestellt werden kann, daß aber auch diese Ordnung als Rechtsordnung angesehen werden muß, selbst wenn sie ohne jede Beteiligung der Normunterworfenen erzeugt wird. Das ist die einfache Konsequenz des Positivismus; andernfalls liegt nur eine naturrechtliche Verengung des Rechtsbegriffes vor, wenn man nämlich als Recht nur das „Volks“ -Recht, das vom Volke oder doch im Interesse des Volkes gesatzte Recht, kurz das demokratisch erzeugte Recht gelten lassen will. Ob die auf demokratischem oder auf autokratischem Wege erzeugten Rechtsnormen die Ausübung der Herrschaft bestimmen: stets ist der Staat Obrigkeits-Staat, stets ist Obrigkeit vorhanden; und stets ist der Staat Rechtsstaat in dem Sinn, daß es eine Rechtsordnung ist, die bestimmt, daß und wie Obrigkeit ausgeübt, daß und wer befehlen und gehorchen solle. Und stets ist — weil und sofern die Rechtsordnung als souverän vorausgesetzt wird — der Staat souverän. Und wiederum ist es nicht ein historischer, ein irgendwie in der Außenwelt des Geschehens ablaufender Prozeß, in dem der Staat seine Souveränität an die Rechtsordnung abgibt, indem er sich ihr unterwirft; sondern es ist ein Fortschritt innerhalb der Erkenntnis, indem man von der ursprünglich isolierten Betrachtung des Herrschaftsgehaltes zu der Einsicht aufsteigt, daß dieser Inhalt nur in der Wesens-Form des Rechtes, nur in unlöslicher Verbindung mit ihr seinen spezifischen Sinn gibt.