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B. Die passive, aktive und negative Beziehung des Staatsvolks zur – Rechtsordnung. (Pflicht, subjektives Recht und Freiheit.)

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Begreift man das ‚Volk‘ als die im Inhalt der Rechtsordnung verbundenen, als menschliches Verhalten qualifizierten Tatbestände, dann entfaltet sich das Problem des Staatsvolkes in der Frage: In welcher Weise kann menschliches Verhalten Inhalt der Rechtsordnung sein? Und tatsächlich ist das auch der theoretische Kern jener Erörterungen, die bei diesem Kapitel der traditionellen Lehre von den Elementen des Staates vorgetragen werden. Daß Untersuchungen über die Rasse, die Sprache, die ökonomischen Verhältnisse der Menschen usw. nicht in den Bereich einer allgemeinen Staatslehre fallen, so bedeutsam sie selbstverständlich sein mögen, versteht sich nach all dem bisher Gesagten von selbst. Daß unter dem Begriff des Staatsvolks rechtstheoretische Probleme auftreten, erhält den Schein der Paradcxie nur durch die hypostasierende Verschiebung, die diese Probleme in der üblichen Darstellung erfahren haben, und verliert ihn, sobald man diese Probleme — nur der immanenten Tendenz der traditionellen Theorie folgend — wieder zurechtrückt, indem man das „Volk“ aus der Sphäre naturhafter Realität, wo diese spezifische Einheit nieht zu finden ist, in den Bereich normativer Erkenntnis verlegt.
Menschliches Verhalten kann in dreifacher Beziehung zur Rechtsordnung stehen. Der Mensch ist entweder der Norm unterworfen oder er erzeugt die Norm, d.h. er ist an der Normsetzung in irgendeiner Weise beteiligt, oder er ist von der Norm frei, d.h. er steht in keinerlei Beziehung zur Norm. Doch spricht man von „Freiheit“ in einem weiteren Sinne schon, wenn die Beziehung nicht gerade Normunterworfenheit ist. Die Beziehung des Menschen ist im ersten Falle die der Passivität, im zweiten die der Aktivität, im dritten die der Negativität. Unterworfen im engeren und eigentlichen Sinne des Wortes ist der Mensch der Rechtsordnung, soferne sein Verhalten den Inhalt einer Rechtspflicht bildet, d.h. soferne mit dem kontradiktorischen Gegensatz dieses Verhaltens der rechtliche Zwang verknüpft ist. Eben darum ist der Mensch, soferne sein Verhalten nicht in dieser Weise pflichtmäßig gebunden ist, frei. Freiheit in diesem Sinne ist einfach Mangel rechtspflichtmäßiger Gebundenheit. Dies ist auch die engere Bedeutung, in der die Rechtsordnung ‚für‘ den Menschen gilt, bzw. nicht gilt, während in einem anderen, weiteren Sinne die Rechtsordnung auch für jene gilt, die an ihrer Erzeugung beteiligt sind, also für alle, deren Verhalten in irgendeiner Weise Inhalt der Rechtsordnung ist. Da die Rechtsordnung wesentlich Zwangsordnung menschlichen Verhaltens ist, ist der Staatsordnung wesentlich, daß ihr Menschen im Sinne pflichtmäßiger Gebundenheit unterworfen sind. Und durch dieses Moment pflichtmäßiger Unterworfenheit wird auch der Begriff des Staatsvolkes wesentlich bestimmt. Dabei ist zu beachten, daß — da die staatliche Rechtsordnung das menschliche Verhalten nicht nach allen seinen Richtungen bindet — eine Grenze zwischen der rechtliehen Gebundenheit und der Freiheit besteht. Die Bindung reicht genau so weit, als die positivrechtliche Norm das menschliche Verhalten ergreift. Unter der Voraussetzung, daß die staatliche Rechtsordnung überhaupt abänderbar ist, kann die Grenze gegen die Freiheit des Menschen beliebig verschoben werden. Es gibt keine juristisch a priori feststellbare Grenze für den Grad, bis zu welchem die Rechtsordnung das Verhalten der Menschen erfassen kann, keine absolute Schranke, die die Freiheit des Individuums gegen die Eingriffe des Staates schützt. Der Idee nach kann die staatliche Zwangsordnung das gesamte Verhalten der Menschen ergreifen, kann sie den Menschen nach jeder Richtung hin binden. Nur soweit dies nicht geschehen ist, bleibt der Mensch frei. Wobei — was mit Nachdruck betont sei — diese Freiheit von der Rechtsordnung, dieses Freisein vom Staate eine rechtlich durchaus negative Qualität ist, d.h. nur dadurch qualifiziert wird, daß sie rechtlich nicht bestimmt ist.
In einem weiteren Sinne ergreift die Rechtsordnung den Menschen, gilt sie ‚für ihn‘, ist er sohin nicht ‚‚frei“, nicht nur sofern sein Verhalten als Inhalt von Rechtspflichten, sondern sofern sein Verhalten überhaupt in irgendeinem Sinne Inhalt der Rechtsordnung ist; also auch sofern sein Verhalten Normen erzeugt, er an der Normensetzung irgendwie beteiligt ist, oder m.a. W.: sein Verhalten der von der Rechtsordnung selbst als Bedingung für die Geltung neuer Normen qualifizierte Tatbestand ist. Während die passive Relation der Normunterworfenheit sich im Begriff der Pflicht darstellt, sucht die aktive Relation der Normerzeugung im Begriff des — üblicherweise so bezeichneten — subjektiven Rechtes, als der Berechtigung, ihren Ausdruck. Tatsächlich kann man alle wesentlichen Bedeutungen, unter denen der in der herrschenden Lehre so schwankende Begriff des subjektiven Rechtes auftritt, unter diesem Gesichtspunkt der Normerzeugung zusammenfassen. Erst unter diesem Gesichtspunkt enthüllt sich — das subjektive Gewand abstreifend — der eigentliche also objektive Sinn, dem die bisher nur unsicher tastende und daher vielfach danebengreifende Begriffsbildung zustrebt. Erkennt man als diesen Sinn das für eine genetische Betrachtung des Rechts entscheidende Moment der Normenerzeugung überhaupt, dann kann man sich die schon in anderem Zusammenhange als merkwürdig bezeichnete Tatsache einigermaßen erklären, daß man gerade diese Relation mit dem Worte „Recht“ schlechthin kennzeichnet, obgleich ja damit nur eine bestimmte Beziehung des menschlichen Verhaltens zur Rechtsordnung ausgedrückt wird, und obgleich — wie ja schon betont wurde — auch die Rechtspflicht als ‚‚subjektives‘‘ Recht bezeichnet zu werden verdient. So wie man auf die Relation der Rechtserzeugung den Begriff des subjektiven Rechts einzuschränken pflegt, so spricht man dem Menschen nur in dieser Beziehung seiner Aktivität Rechtssubjektivität, Rechtspersönlichkeit zu, obgleich ja auch die passive Relation der Normunterworfenheit die Qualität der Rechtspersönlichkeit — sofern eben mit einer solchen überhaupt operiert wird — rechtfertigen würde. So ist auch in einem tieferen Grunde verständlich, wie der Unterschied zwischen dem sog. privaten und dem öffentlichen Recht — der als Gegensatz innerhalb des subjektiven Rechtes, innerhalb der Rechtsverhältnisse dargestellt wird — nur den Unterschied zweier verschiedener Norn erzeugungsmethoden darstellt, wie in einem anderen Zusammenhange gezeigt wurde.