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F. Souveränität als Unbeschränkbarkeit der Staatsgewalt

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Wird die staatliche Rechtsordnung als souverän vorausgesetzt, dann kann der Mensch rechtlich nur der staatlichen Ordnung unterworfen sein. Allerdings müssen darum nicht alle Menschen der staatlichen Ordnung unterworfen sein. – Kraft ihrer Kompetenzhoheit kann die staatliche Rechtsordnung, muß sie aber nicht, ihre Geltung bestimmten Menschen gegenüber einschränken, zurückziehen, kann sie aber auch ausdehnen. Und ebenso muß nicht das menschliche Verhalten nach allen Richtungen hin von der staatlichen Ordnung erfaßt werden, kann es aber. Da die staatliche Rechtsordnung, ist sie souverän, jeden beliebigen Inhalt aufnehmen kann, können mehr oder weniger weite Belange menschlichen Ver- _ haltens ‚frei‘ bleiben. Irgendeine absolute Schranke gibt es jedoch für die inhaltliche Gestaltung der souveränen staatlichen Ordnung nicht. Demnach bedeutet Souveränität nicht Unbeschränktheit und Unbeschränkbarkeit der Staatsgewalt. Ist der Staat Ordnung, so ist er seinem innersten Wesen nach Schranke, Beschränkung, in diesem Sinn allerdings nur für Menschen, nicht für Personen und insbesondere nicht für sich selbst. In dem Sinn wie ein Mensch vom Staat beschränkt wird, kann der Staat überhaupt nicht beschränkt werden. Wenn er seine Geltung nach irgendeiner Richtung einschränkt, so bedeutet dies nicht eine „Verpflichtung‘‘ des Staates, sondern lediglich, daß die staatliche Ordnung in ihrer positivrechtlichen Gestaltung bestimmte Inhalte nicht aufgenommen hat. Daraus, dab der Staat in diesem Sinne nicht unbeschränkt und nicht unbeschränkbar ist, irgendwelche politische Konsequenzen, etwa im Sinne des Liberalismus, abzuleiten, ist natürlich ein Trugschluß. Dieser liegt vor, wenn man die positiv-rechtliche Beschränktheit und Beschränkbarkeit des Staates als rechtliche Verpflichtung und Verpflichtbarkeit mißdeutet, solche Schranke als zum Wesen des Staates gehörig ansieht und zuletzt aus diesem Wesen des Staates auf die notwendige Existenz einer Freiheitssphäre des Menschen, und sohin auf dessen vom Staate unabhängige Rechtspersönlichkeit schließt, die ihm zu entziehen gänzlich außerhalb des Machtbereiches des Staates liege. Von allem anderen abgesehen, was gegen solche Auffassung einzuwenden wäre und worauf später zurückzukommen sein wird, muß hier festgestellt werden, daß die restlose Bindung des Menschen ohne Zurücklassung irgendeiner Freiheitssphäre der Idee nach durchaus im rechtlichen Machtbereich des Staates liegt. Ein anderer als der rechtliche Machtbereich kommt aber nicht in Betracht.
Ist der Staat souverän, dann sind alle andern Verbände, überhaupt alle Personen nur Teilordnungen der staatlichen Rechtsordnung, die alle anderen — sie delegierend — umfaßt. Nur die Einheit der Gesamtordnung, die Person des souveränen Staates kann als der Endpunkt der Zurechnung gelten, kraft der irgendein menschliches Verhalten als Verbandsakt anzusehen ist. Die Einheit der Teilordnungen, insbesondere auch jener Teilordnung, als welche die sog. physische Person aufzufassen ist, sind nur vorläufige Zurechnungspunkte, Durchgangspunkte der Zurechnung, die unaufhaltsam zur letzten Einheit strebt. Daß der souveräne Staat letzter Endpunkt der Zurechnung ist, bedeutet, daß sein Wille ‚frei‘, weil durch keinen höheren Willen bestimmt oder bestimmbar. Und so ist die Souveränität des Staates als die Freiheit seines Willens mit der Freiheit des Willens aller anderen ‚Personen‘ — der physischen wie der juristischen — als bloßer Personifikationen von Teilordnungen und daher bloßer Durchgangspunkte der Zurechnung, aber auch mit der Freiheit des Menschen als dessen Frei-Sein vom Staate unvereinbar. (Vgl. S. 71.) In welchem Sinn überhaupt die Freiheit des Menschen im Bereich des Staates möglich sei, wird in anderem Zusammenhange erörtert werden.