B. Die Personifikation von Rechtsgemeinschaften
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/eil die Personifikation ein Hilfsmittel der Rechtserkenntnis ist, von dem sie nach Belieben jedem Normenkomplex, jeder Teil- oder Gesamtrechtsordnung gegenüber Gebrauch machen kann, ist es aussichtslos, Gemeinschaften, d. h. Gemeinschaften konstituierende Ordnungen oder Normenkomplexe in solche zu unterscheiden, die juristische Personen sind, und in solche, die es nicht sind, die juristische Persönlichkeit haben oder nicht haben. Rechtsgemeinschaften sind an sich überhaupt nicht juristische Personen, haben juristische Persönlichkeit von vornherein überhaupt nicht, sondern können nur als solche dargestellt werden. Das ganze Problem scheint aus einer unzulässigen Analogie zu entstehen, in die man die Gemeinschaften — hinsichtlich ihres Verhältnisses zur Rechtsordnung — zum Einzelmenschen stellt. So wie den Menschen von der Rechtsordnung Rechtspersönlichkeit verliehen werden kann oder nicht — gewisse Menschen werden ebenso wie die Tiere nicht mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet — so kann die Rechtsordnung auch den ihr gegenüber stehenden Gemeinschaften Rechtspersönlichkeit verleihen oder nicht. Das etwa ist die Voraussetzung, die zu dem ungebührlich bedeutsam gewordenen Problem führt, welches das Kriterium dafür sei, daß eine Gemeinschaft juristische Persönlichkeit habe. Ein Scheinproblem, das durch die bereits früher angedeutete Doppelbedeutung des Begriffs der Person (vgl. S. 64) noch kompliziert wird. Daß die Rechtsordnung dem Menschen oder nur gewissen Menschen Rechtspersönlichkeit „verleihe‘‘, bedeutet nur, daß das Verhalten der Menschen oder nur bestimmter Menschen in spezifischer Weise zum Inhalt von Rechtsnormen wird. In diesem Sinne kann die Rechtsordnung nur Menschen, nicht aber Gemeinschaften Persönlichkeit ‚„‚verleihen‘‘. Denn nur konkreter Menschen Verhalten kann Inhalt von Rechtsnormen sein. Und wenn etwa ein Gesetz die Bestimmung enthält, daß eine Gemeinschaft, ein Verein, klagen könne, so ist das nur der abbreviierende Ausdruck dafür, daß das Gesetz eine spezielle Teilordnung, die Vereinsordnung, zur Bestimmung jenes Menschen delegiert, der die Klage zu erheben hat. Denn schließlich ist es ja doch nur ein konkreter Mensch, der vor Gericht erscheint, wenn seine Willensäußerungen auch als Akte des Vereins gedeutet, dem Verein auf Grund dieser Teilordnung zugerechnet werden. Diese Persönlichkeit aber, die nur der Ausdruck der Einheit einer Ordnung, der Zurechnung ist, wird nicht von der Rechtsordnung verliehen, sondern ist ein Denkbehelf der Rechtserkenntnis. Die Rechtsordnung kann einer Rechtsgemeinschaft den Charakter dieser Rechtspersönlichktit schon darum nicht verleihen, weil die Gemeinschaft der Rechtsordnung nicht in dem Sinne gegenübersteht wie derMensch. Sie steht ihr überhaupt nicht „gegenüber“, sondern steht — wie die physische Person: als Teilordnung — in ihr. Die Rechtsordnung erzeugt sozusagen die Gemeinschaften, Menschen jedoch kann sie nicht erzeugen. Die Analogie zwischen beiden ist zumindest schief. Es ist auch nicht so, wie man sich das wohl für gewöhnlich vorstellt, daß auf der einen Seite die Rechtsordnung, auf der anderen die verschiedenen Gemeinschaften stehen, und daß die Rechtsordnung dann diese Gemeinschaften regelt. Es ist vielmehr so, daß diese Gemeinschaften allerst durch die Rechtsordnung, in und mit der Rechtsordnung konstituiert sind, daß sie eine Existenz außerhalb der Rechtsordnung gar nicht haben, bzw. daß eine außerhalb der Rechtsordnung stehende Realität — sofern man eine Beziehung der Gemeinschaften zu solcher Realität im Auge hat — von einer auf die Rechtsordnung und sohin von einer auf die Rechtsgemeinschaften gerichteten Erkenntnis gar’ nicht-erfaßt, d. h. rechtlich nicht als existent begriffen werden kann. Hier wiederholt sich gegenüber den Teilrechtsordnungen nur das gleiche Problem, das schon der Gesamtrechtsordnung gegenüber als das Problem des Verhältnisses von Recht und Staat gekennzeichnet wurde. Die Funktion der Rechtsordnung besteht also nicht darin, daß sie den ihr gegenüberstehenden Gemeinschaften Rechtspersönlichkeit verleiht oder nicht, sondern nur darin, daß sie die Gemeinschaften konstituiert ; die Rechtserkenntnis — und nicht zuletzt die abbrevierende, substantivische, anthropomorphe Rechtssprache — personifiziert sie dann.
Diese Personenqualität ist — wenn man den Begriff der Person in seiner ursprünglichen und geläufigsten, speziell für die Staatsrechtslehre entscheidenden Bedeutung nimmt — keinerlei rechtsinhaltliche Qualifikation. In der Regel erklärt man — Wille und Persönlichkeit in üblicher Weise personifizierend — eine besondere, von den physischen Persönlichkeiten der Gemeinschaftsglieder verschiedene juristische Persönlichkeit läge dann vor, wenn ein von den Willen der die Gemeinschaft bildenden Menschen verschiedener Verbands- oder Gesamtwille bestehe. Das sei vor allem daraus zu erkennen, daß der Wille der einzelnen Gemeinschaftsglieder zu diesem Verbandswillen in Gegensatz geraten könne. Allein schon die Vertragsordnung eines konkreten, nur einmaliges gegenseitiges Verhalten der Paziszenten statuierenden Rechtsgeschäftes weist solchen ‚über‘ den — psychischen — Willen der die Vertragsgemeinschaft bildenden Menschen stehenden, „Gesamtwillen‘‘ auf. Dieser „Wille“ ist eben nur der Ausdruck für die Teilordnung des Vertrages. Seine objektive Geltung — die in dem anthropomorphen Bilde eines fremden Willens bezeichnet wird — zeigt sich darin, daß das Subjekt, für das diese Teilordnung Geltung beansprucht, der ‘Vertragspartner, an diese Ordnung gebunden bleibt, auch wenn er seinen Willen, mit dem er zwar nicht den Geltungsgrund, aber die unmittelbare Geltungsbedingung der Norm gesetzt hat, ändert. Erkennt man den Geltungsgrund auch der vertraglichen Bindung als einen objektiven, m. a. W. sieht man auch im Vertrag den von den Willen der Parteien verschiedenen, ‚über‘ diesen Willen stehenden, ‚‚fremden‘“ Willen der Rechtsordnung, dann zeigt sich, daß für die Existenz solchen überindividuellen „Willens“ auch die Tatsache gleichgültig ist, ob die Bedingung, unter der die Verpflichtung der Gemeinschaftsglieder von der Rechtsordnung gesetzt ist, ein einstimmig oder mehrstimmig zustande gekommener Beschluß der Glieder ist. Die Möglichkeit einer Differenz zwischen dem Inhalt der Teilordnung, dem sogenannten Gesamtwillen, und dem Willen der einzelnen Gemeinschaftsglieder scheint größer zu sein, wenn der Inhalt der Ordnung durch Mehrheitsbeschluß bestimmt wird — kraft objektiven Rechtsgesetzes so bestimmt wird. Allein das trifft nur zu, wenn die Besründungder Gemeinschaft auf Mehrheitsbeschluß beruht. Für die Fortbildungdes Gemeinschaftswillens stellt gerade das Majoritätsprinzip die relativ geringste Möglichkeit einer Diskrepanz zwischen Individual- und Gemeinschaftswillen dar. Wäre Einstimmigkeit gefordert, dann müßte der einzelne, der seinen, bei der Abstmimung geäußerten Willen später ändert, für seine Änderung die Stimmen aller anderen gewinnen, damit es zu einer konformen Änderung des Gesamtwillens komme. Im Falle des Majoritätsprinzips aber genügt schon die Hälfte aller anderen. (Vgl. des näheren S. 322ff.) Zwischen diesem Fallund dem einer Bestimmung der Teilordnung durch übereinstimmende Willensäußerung aller Glieder ist somit hinsichtlich des Bestandes eines über den Gliedern stehenden, von ihren Individualwillen verschiedenen, überindividuellen, fremden ‚‚Willens‘‘, einer objektiven, den Geltungsgrund der rechtlichen Bindung aller einzelnen darstellenden Ordnung überhaupt keine Differenz. Und daran ändert sich auch dann, nichts, wenn dieser überindividuelle ‚Wille‘, dieser Gesamtwille durch besondere Organe zu realisieren ist, wenn aus der Gemeinschaft eine ‚„organi- ‚ sierte““, d.h. durch arbeitsteilig funktionierende Organe sich betätigende Gemein- . schaft wird. Solche Organe mögen die Existenz des überindividuellen Gesamtwillens sinnfälliger demonstrieren; allein sie sind nur sichtbare Symptome, nicht aber Gründe oder Ursachen für solchen Gesamtwillen. Dieser ist nur ein Stück der Gesamtrechtsordnung, ist nur der — für einen bestimmten Tatbestand-Komplex bestimmende — Wille des Rechts überhaupt.
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