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4 c 2 Sozialkontakte absenken

Unterstützend zu massivem Testen und vor allem bei relativ grossen Fallzahlen (mehr als ein paar Du-
zend pro Tag) oder wenn die Testkapazität nicht schnell genug hochgefahren werden kann, werden
Massnahmen zur „sozialen Distanzierung“ benötigt: Heimarbeit, Verbieten von Massenanlässen in
Sport und Kultur, Schliessung der Schulen und Universitäten, Schliessung von selbst kleinen sozialen
Anlässen wie Sportclubs, Schliessung von Restaurants und Bars, Schliessung von allen nicht lebens-
wichtigen Läden, bis hin zur Schliessung von allen nicht lebenswichtigen Betrieben.
Die Auswirkungen jeder Massnahme kann jeder selber abschätzen: es geht darum, die Ansteckungs-
möglichkeiten zu reduzieren. Wenn es in einer Grossstadt ab und zu Fussballspiele mit 50.000 Teil-
nehmern gibt, aber in den öffentlichen Verkehrsmitteln täglich Millionen sich begegnen, ist die
Schliessung von Fussballspielen kaum mehr als symbolisch, vor allem bei einem Virus, das kaum wei-
ter als über eine Distanz von 2 Metern ansteckend ist.
In der jetzigen Phase der Epidemie können wir (hoffentlich) davon ausgehen, dass die Testkapazität
sehr schnell hochgefahren werden kann. Davon ausgehend ist es besser, eine sehr scharfe, aber
kurze Periode der Ausgangsbeschränkungen zu haben, nur bis die Massnahmen zu Testen und Isolie-
ren greifen. Eine längere Periode der Ausgangsbeschränkungen ist weder wirtschaftlich noch sozial
aufrecht zu erhalten.
Ein wahrscheinlich plausibler, aber optimistischer Zeitplan für Deutschland in den nächsten Wochen
könnte so aussehen: bestehend aus einer Kombination von Testen und Isolieren mit begleitendem
scharfer, aber kurzer Ausgangsbeschränkung. Der Reproduktionsfaktor bei generation=4 gibt an, wie
schnell sich das Virus ausbreitet: R=2.2: ungebremstes exponentielles Ausbreiten (*2.2. alle vier
Tage); R=1: lineare Ausbreitung. R<1: Rückgang der Epidemie.
Erste vorsichtige Schätzung des Verlaufs der Eindämmungsstrategie gegen Covid-19

grafik.png

*Die Angaben zu R in dieser Tabelle sind geschätzte Werte basierend auf Beobachtungsdaten von al-
len Ländern, über die verlässliche Daten vorliegen, sowie aus Fachpublikationen. Bei einer Modellie-
rung des Verlaufs der Epidemie sind diese Werte Input-Parameter. Simulationen können den Wert R
und seine Veränderung während der Epidemie nicht genauer bestimmen, sie bleiben immer Aus-
gangsannahmen.
Bezüglich der Zahl täglich neu gefundenen Fälle erwarten wir, dass sie erst ab 13. April oder vielleicht
sogar ab 20. April sinken wird (anscheinender Inflexionspunkt), da wir ein grosses Backlog an noch
nicht gefundenen Fällen haben, dass bei Hochfahren der Testkapazität erst langsam aufgearbeitet
werden muss. Den tatsächlichen Inflexionspunkt der Infektionen erwarten wir am 6. April.
4 c 3 Betten und Sauerstoffkapazität hochfahren
Selbst bei einem erfolgreichen Eindämmen der Epidemie kann die vorhandene Kapazität für die nö-
tige Krankenhauspflege leicht überfordert werden. Dabei sollten sich die Anstrengungen nicht auf
das abstrakte Konzept der "Betten auf der Intensivstation" konzentrieren, sondern auf die spezifisch
nötige Infrastruktur, insbesondere auf die Sauerstoffversorgung und die Anzahl der Beatmungsgeräte
sowie die entsprechende Personalausstattung. Der Höhepunkt des entsprechenden Bedarfs wird erst
ca. drei Wochen nach Erreichen des Höhepunkts der Neuinfektionen erreicht.
4 c 4 Gemeinsam distanziert: Gesellschaftliche Trägerschaft der Covid-19 Eindämmung durch
deutschlandweite und transparente Aufklärungs- und Mobilisierungskampagne
Die gegenwärtige Krise durch COVID-19 hat das Potential das Vertrauen in die demokratischen Insti-
tutionen in Deutschland nachhaltig zu erschüttern. Dem kann und muss entgegengewirkt werden.
Dies gelingt am besten, wenn der Staat – Bund, Länder und Kommunen – proaktiv und koordiniert
auftritt und somit nicht als „lähmender“, sondern als mobilisierender Faktor tätig und sichtbar wird.
Wichtigste Botschaft der Kommunikation staatlicher Akteure: Das Virus ist ein Risiko für alle. Es wird
unser Leben kurz-, mittel- und langfristig verändern. Wir haben das Risiko erkannt, arbeiten auf allen
Ebenen zusammen, orientieren uns an der wissenschaftlichen und praktischen Evidenz und handeln
entschieden aber nicht panisch. Nur mit einem Zusammenkommen und Wirken von allen Kräften in
der Gesellschaft können wir die Verlangsamung der Neuinfizierungen und schließlich Eindämmung
des Virus schaffen. Der Staat braucht dazu die Mithilfe aller Bürgerinnen und Bürger, nur dann kön-
nen wir das Virus schnellstmöglich eindämmen und ein demokratisches Zusammenleben (sowohl po-
litisch, sozial als auch wirtschaftlich) garantieren.
Dies erfordert von allen staatlichen Behörden eine umfassende und abgestimmte Information und
Aufklärung sowie konkrete Handlungsanweisungen. Wir müssen davon ausgehen, dass ein beträchtli-
cher Teil der sich informierenden Bevölkerung durch Medienberichte und soziale Medien vermutet,

dass im Moment die Anzahl der Fälle und die Anzahl der Toten weit unterschätzt werden. Die Bot-
schaft, dass jetzt die Testkapazität massiv hochgefahren wird, wird vermutlich mit Erleichterung auf-
genommen. Auch die Ankündigung, dass es dadurch kurzfristig zu einem steilen Ansteigen der Fall-
und Todeszahlen kommen kann, wird wahrscheinlich schon erwartet. Es ist wichtig, gleich von An-
fang an klarzustellen und offensiv zu kommunizieren, dass erfolgreiche Massnahmen sich erst mit
erheblicher Verzögerung auf die Anzahl gefundener Neuinfektionen und die Anzahl der Todesfälle
auswirken werden.
Neben umfassender Information und Aufklärung von Seiten staatlicher Behörden, ist der Staat in be-
sonderer Weise auf die zivilgesellschaftliche Solidarität angewiesen. Dieses „Zusammen“ muss mit-
gedacht und mitkommuniziert werden. Dazu braucht es ein gemeinsames Narrativ (#wirbleibenzu-
hause, oder «gemeinsam distanziert» - «physische Distanz – gesellschaftliche Solidarität») und im
besten Fall viele Gesichter (Prominente, Politikerinnen und Politiker, Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler), die sich mit der Kampagne identifizieren.
Die Mobilisierungskampagne für eine (noch) stärkere zivilgesellschaftliche Solidarität richtet sich an
zwei verschiedene Gemeinschaften: an die physische Nachbarschaftsgemeinschaft und an die On-
line-Gemeinschaft. Die Nachbarsgemeinschaft wird mobilisiert, um mit der Versorgung der Personen
in Heimquarantäne mitzuhelfen und um Risikogruppen abzuschirmen. Hier gilt es die Vielzahl von zi-
vilgesellschaftlichen Einrichtungen miteinzubeziehen, bspw. die kirchlichen Vereinigungen, sowie po-
litische Stiftungen (Lokalbüros) und das Vereinswesen (z.B. Sportvereine, Schützenvereine, Nachbar-
schaftshilfen etc.). Der direkte Kontakt zu dieser Gemeinschaft kann durch mobile Teststationen her-
gestellt werden, so dass die Gemeinschaft praktisch vor der Haustür in ständigem Kontakt zu den mit
der Eindämmung der Epidemie beauftragten lokalen Gesundheitsbehörden ist. Gleichzeitig können
für sie Unterstützungsangebote geschaffen werden (Apps zur Kommunikation, Koordination). Diesen
Helferinnen und Helfern gilt schon jetzt politisch zu danken und sie zur Verstärkung ihrer Aktivitäten
aufzufordern und gleichzeitig für die Eigeninitiative zu loben. Wichtig ist dabei aber eine Vernetzung
und Koordination, damit die Hilfeleistung effizient koordiniert werden kann.
Die Online-Gemeinschaft hat ebenfalls eine sehr wichtige Rolle. Ohne Mobilisierung und Solidarisie-
rung verstärkt sie die Verbreitung von Falschinformationen und kann zur Radikalisierung führen. Ein
Teil der Gemeinschaft kann jedoch sicher in das Abfedern der sozialen Auswirkungen der Ausgangs-
beschränkungen, des Schutzes von Risikogruppen und der Quarantäne eingebunden werden. Es gibt
schon wichtige Angebote in dieser Hinsicht, diese sollen und müssen ausgebaut werden (medizini-
sche Betreuung, psychologische Angebote oder einfach gemeinsame Freizeitbeschäftigung online).
Auch hier können zivilgesellschaftliche Einrichtungen helfen (s.o.) ebenso Prominente (z.B. We Kick
Corona-Initiative von Joshua Kimmich und Leon Goretzka, #wirbleibenzuhause). Denkbar wäre auch
ein Aufruf zum gemeinsamen «Fakten-Check» von Informationen und weiteren Hackathons um die
Herausforderungen mittels digitaler Ansätze zu bewältigen. Auch hier gilt es ein Gefühl des «gemein-
sam distanziert» zu fördern.
Auch ältere Personen können sich relativ leicht mit Smartphones und sozialen Medien zurechtfinden,
brauchen aber oft technische Hilfe und vor allem persönliche Ratschläge, wie man sich erfolgreich
auf den verschiedenen Plattformen bewegt. Um einem Generationenkonflikt (Millennials stecken Äl-
tere an) entgegenzuwirken, könnten und sollten Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aktiv in
die Aufklärungs- und Informationskampagne eingebunden werden.
Nur mit gesellschaftlichem Zusammenhalt und gemeinsam distanziert voneinander kann diese Krise
nicht nur mit nicht allzu grossem Schaden überstanden werden, sondern auch zukunftsweisend sein
für eine neue Beziehung zwischen Gesellschaft und Staat.

bmi-corona-strategiepapier[1].pdf