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IV. Zusammenfassung

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist in der Hauptsache richtig und klar: Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b WÜK verlangt im deutschen Strafverfahren Beachtung, ein Verstoß muss Folgen haben. Weniger klar sind die Einzelheiten jener Folgen - und schon die Einzelheiten der Belehrung nach Art. 36 WÜK. Dabei geht es weniger um zwingende als um angemessene und praktikable Lösungen. Für die Belehrung wäre es das Beste, sie gleich den Belehrungen nach § 136 Abs. 1 StPO obligatorisch zu erteilen, und zwar schon bei der Festnahme; der Ungewissheit, ob der Festgenommene Ausländer sei, kann die Formulierung Rechnung tragen (»falls . . .«). Versteht sie der Festgenommene nicht - oder gibt er dies vor -, ist zusätzlich auf Englisch zu belehren. Hilft auch das nicht, genügt es, im Rahmen des Machund Zumutbaren einen Dolmetscher beizuziehen, der den Festgenommenen später belehrt. In allen Fällen sollte die Belehrung den Hinweis enthalten, dass die Benachrichtigung des Konsulats dazu dienen soll, ihm eine Unterstützung des Festgenommen zu ermöglichen. Ferner hat der Belehrende dem Festgenommenen den Kontakt mit seinem Konsulat auch faktisch zu ermöglichen und bei seiner Anbahnung, so erforderlich, zu helfen.

Unterbleibt die Belehrung nach Art. 36 WÜK oder wird sie zu spät erteilt, so sollten Angaben unverwertbar sein, die der Festgenommene vor der Belehrung macht. Voraussetzung ist, dass er der Verwertung widerspricht. Auf das Recht zum Widerspruch und auf dessen Folgen muss der Richter hinweisen, und zwar ungeachtet dessen, ob der Angeklagte einen Verteidiger hat. Hatte der Angeklagte keine Angaben gemacht, zumindest nicht vor der Belehrung, so ist der Verstoß gegen Art. 36 WÜK mit einer Strafmilderung auszugleichen (Kompensation). Gleiches gilt für laufende Verfahren, in denen der Verstoß vor der Verkündung der hier besprochenen Entscheidung gelegen hat. Für sie wäre ein Verwertungsverbot zwar ebenfalls möglich, aber vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung und den Nöten der Praxis kaum angemessen. Für rechtskräftig abgeschlossene Verfahren bietet § 79 BVerfGG die Chance einer Wiederaufnahme.

Fernwirkungen hat ein Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b WÜK auf dem Boden der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht. Soweit es um das Ausgangsverfahren und folglich den Fall geht, dass aufgrund von Angaben des Beschuldigten weitere Beweise gegen ihn gefunden werden, stehen dem alle Argumente entgegen, die das Schrifttum zu der entsprechenden Frage bei § 136 StPO vorbringt. - Wo Deutschland völkerrechtlich verpflichtet ist, ein Konsulat auch ohne oder gegen den Willen des Festgenommenen zu verständigen, reicht bei einer Vernachlässigung dieser Pflicht in der Regel eine Entschuldigung bei dem betroffenen Staat.

Abschließend bleibt zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch zum Anlass nimmt, grundsätzlich darüber nachzudenken, wie Verstöße gegen völkerrechtlich (mit-)begründete Verfahrenspflichten zu behandeln seien. Vor allem seine Kompensations-Rechtsprechung zu Verstößen gegen die EMRK ist unbefriedigend.

Der deutsche Strafprozess und das Völkerrecht.odt

Der deutsche Strafprozess und das Völkerrecht.pdf