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I. Rechtliche Würdigung

Die Belehrung

Dass ein Beschuldigter nach Art. 36 WÜK zu belehren ist, war und ist unstreitig. Zu klären bleiben einige Details dieser Belehrung. Zunächst geht es um die Person des Belehrenden. Art. 36 WÜK spricht von den »zuständigen Behörden«, und der IGH wie auch das deutsche Verfassungsgericht sagen entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofes, dass zu diesen Behörden auch die Polizei zählt (und nicht erst der Haftrichter). Zur Polizei zu rechnen sind auch verdeckte Ermittler (VE) und nicht öffentlich ermittelnde Polizeibeamte (NOEP), denn auch sie sind Angehörige der zuständigen Behörden. Fraglich könnte werden, ob auch sogenannte V-Männer (Vertrauenspersonen) zur Belehrung verpflichtet sind, wenn sie jemanden gemäß § 127 StPO vorläufig festnehmen. Einerseits gehören V-Männer keiner Strafverfolgungsbehörde an.8 Andererseits werden sie von staatlichen Stellen geführt und gezielt bei der Strafverfolgung eingesetzt. Die Rechtsprechung im Fall Sedlmayer9 ist nicht übertragbar, weil es dort um die Belehrung über das Schweigerecht ging und diese Belehrung einen ganz anderen Sinn hat als die Belehrung über das Recht, einen Verteidiger beizuziehen oder das Konsulat zu verständigen. Allerdings ist ein im Schrifttum zu dieser Rechtsprechung geäußerter Gedanke auch hier beachtlich, dass nämlich staatliche Stellen durch den Einsatz von V-Männern ihre rechtsstaatlichen Bindungen nicht gezielt umgehen dürfen.10 Sollte es also je dazu kommen, dass ein V-Mann angewiesen wird, einen Ausländer vorläufig festzunehmen, so muss dieser V-Mann auch verpflichtet werden, den Festgenommenen über seine Rechte aus § 136 StPO und aus Art. 36 WÜK zu belehren.

Zu dem Zeitpunkt, in dem die Belehrungspflicht entsteht, haben der IGH und im Anschluss an ihn das Bundesverfassungsgericht geäußert, es sei entscheidend, wann die zuständigen Behörden einen Anlass haben anzunehmen, dass der Festgenommene Ausländer ist (»once there are grounds to think that the person is probably a foreign national«11). Die Belehrungspflicht ist also nicht an eine Vernehmung gebunden; weder setzt sie eine Vernehmung voraus noch entsteht sie zwingend bei einer ersten Vernehmung. Für die Praxis wird die Frage erheblich werden,

Deutsche Übersetzung der Entscheidung von Oellers-Frahm EuGRZ 2001, 287 ff. Besprechung von Hillgruber JZ 2002, 94; Tams JuS 2002, 324 mit weiteren Nachweisen zu Besprechungen in Fn. 1.

HRRS 2004 Nr. 342 mit Anmerkung Walther HRRS 2004, 126.

BGH StV 2003, 57 (ebd.) mit ablehnender Anmerkung Paulus; BGH vom 29. Januar 2003 - 5 StR 475/02 (red. Leitsatz in NStZ 2004, 5).

BVerfG a. a. O. Absatz-Nr. 60.

BVerfG a. a. O. Absatz-Nr. 61 f.

Siehe nur Beulke Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2006, Rdn. 423.

BGHSt. (GS) 42, 139 (145).

So etwa Beulke (Fn. 8) Rdn. 481 d.

IGH (Fn. 4) unter Ziffer 63.

wann genau von einem hinreichenden Anhalt für eine fremde Staatsbürgerschaft des Festgenommenen auszugehen sei. Reicht schon ein fremdländisches Aussehen? Muss der Polizist den Festgenommenen fragen, ob er Ausländer sei? Darf er sich gegebenenfalls auf die Antwort verlassen? Um diese Fragen gar nicht erst aufkommen zu lassen und um Zweifelsfälle zu vermeiden, empfiehlt es sich, das aufzugreifen, was der IGH bereits in seiner Avena-Entscheidung angeregt hat, und zwar die Belehrung nach Art. 36 WÜK zur Routine bei Festnahmen zu ma- chen.12 Der IGH sagt dort auch, in welcher Art dann zu belehren ist: »Falls Sie Ausländer [kein Deutscher] sind, haben Sie das Recht . . .« Sicherheitshalber sollte der Festnehmende den belehrenden Satz auf Englisch wiederholen; einen solchen einfachen englischen Satz zu lernen wird man unseren Polizisten zutrauen und zumuten können. Dass eine solche Falls-Belehrung zulässig ist, hat der Bundesgerichtshof jüngst ein weiteres Mal ausgesprochen (für die Belehrung gemäß § 52 Abs. 3 StPO).13 Um dem Sinn des Art. 36 WÜK bestmöglich Rechnung zu tragen und um auch das Recht des Konsulates bestmöglich zu wahren, die Angehörigen seines Staates zu unterstützen, ist es außerdem angezeigt, die Belehrung - ebenfalls routinemäßig - um den Hinweis zu ergänzen, dass die konsularische Vertretung den Festgenommenen bei seiner Verteidigung unterstützen kann und dies häufig auch tut. Denn sonst wird der Festgenommene auf die Benachrichtigung des Konsulats schon allein deswegen verzichten, weil er sich von dessen Rolle eine falsche Vorstellung macht (siehe oben I).

Für die Belehrung über das Recht, einen Verteidiger hinzuzuziehen, ist anerkannt, dass der Belehrende auch eine »Erste Hilfe« zu leisten hat, um dem Beschuldigten die Kontaktaufnahme zu einem Strafverteidiger zu ermöglichen (sofern er den Wunsch nach dessen Beiziehung geäußert hat).14 Entsprechendes ist für die Belehrung nach Art. 36 WÜK zu verlangen.