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Geschichte des Strafrechts Epochen des Strafrechts 2

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1 . Abschnitt – Epoche germanischen Rechtsdenkens
A . materielle Verbrechensbekämpfung
I. Quellen, Grundzüge und Staatswesen des germanischen Rechts
II. Mannheiligkeit und Racherecht
III. Sühne und Bußen
IV . Sakralrecht – Menschenopfer – peinliche Strafen
V . Kirchliche Einflüsse – Asylrecht
V I. Verehrung der Germanen
V II. Dogmatische Fragen
B. Prozeßrecht
1. Abschnitt – Epoche germanischen Rechts-denkens
A. materielle Verbrechensbekämpfung
I. Quellen, Grundzüge und Staatswesen des germanischen Rechts

Zwei Quellen gibt es: den „De bello gallico“ von Cäsar (58-50 v .Chr.) – er beschreibt die nördlichen Völkerstämme der Germanen. Und die „Germania“ von Tacitus (98 n. Chr.). Gerade an Tacitus ist viel Kritik geübt worden. Zweifel an seiner Zuv erlässigkeit gibt es aus zwei Punkten: Er hatte ein bestimmtes Ziel vor Augen – die Gefährlichkeit der Germanen aufzeigen und auf die Erschlaffung und Korruption im eigenen Volk hinzuweisen. Zudem gab es für viele germanische Verhältnisse keine passenden römischen Ausdrücke („princeps“, „comites“,etc.).
Der germanische Staat bestand aus mehreren selbständigen Gemeinwesen (civitates). Innerhalb der civitates gab es Sippenverbände, verbunden durch eine gemeinsame Genealogie. Alle civitates hatten einen principes („Fürst“, oder besser „Häuptling“). Oft war dieser identisch mit dem Heerführer (dux ). [1 ] Dieser hatte eine Reihe von Gefolgsleuten (comites), die ihm treu ergeben waren. Oft hatten mehrere civitates zusammen einen König (rex ) an ihrer Spitze. Geringfügige Angelegenheiten entschied der Häuptling alleine. Größere wurden vor das „Thing“ gebracht. [2]
Das Recht der Germanen beruht auf dem Denken und Fühlen der damaligen Gesellschaft. Die Epoche germanischen Rechtsdenkens kannte keine bewusste Rechtsetzung oder Gesetzgebung. Das Recht war nicht planmäßig gemacht oder angeordnet. Es war einfach da als allgemein anerkannte Rechtsanschauung, trat in den gelebten Ordnungen zutage und entwickelte sich als ungeschriebenes Gewohnheitsrecht. Dieses Recht war nicht aufgeschrieben, sondern wurde erst im gerichtlichen Urteil kundgetan.
In der gesellschaftlichen Ordnung der Germanen war der einzelne Mensch in einen Verband aus Haus, Sippe und Völkerschaft eingebunden. Der Mensch bestand nur als homosocii. Den Bezug auf das Individuum, den wir in unserer heutigen Gesellschaftsform kennen, gab es nicht. Ziel der Gemeinschaft war Ordnung, Rechtssicherheit und Friede.
II. Mannheiligkeit und Racherecht
Der Friede wurde nicht in unserem heutigen Sinn als allgemeiner Volksfriede verstanden. Unter Friede verstanden die Germanen die Einheit mit den Göttern. Ihre Beziehung zu den dämonischen[3] Gottheiten. Dieser Friede wurde von den Gottheiten gewährt, war aber von dem Wohlverhalten der Menschen abhängig. Der Mensch und die mit ihm verbundene Sippe konnten Einfluss auf die Friedens-Handlungen der Götter nehmen.
Alle Rechtshandlungen der germanischen Zeit haben solchen kultischen Charakter. Das einzelne Mitglied der Gesellschaft war „Mannheilig“. Die Germanen verwendeten dafür den Begriff „heilagr“. Damit charakterisierten sie die Beziehung des einzelnen freien Germanen zu allen anderen Volksgenossen.[4] Es bestand die Pflicht für jeden, die Mannheiligkeit eines anderen zu achten. Wer dies nicht tat, einen anderen also durch eine Missetat verletzte, wurde „uheilagr“, denn er zerriss die Friedensbeziehung zwischen ihm, dem Verletzten und dem Verhältnis zur Gottheit. Durch die Missetat verlor der Täter seine Mannheiligkeit und der Verletzte brauchte diese nicht mehr zu beachten. Er war schutzlos gestellt. Eine Bestrafung v on Seiten des Verletzten stellte keine Missetat da. Der Verletzte durfte Rache üben. Neben der Verletzung der Mannheiligkeit wurde auch die Ehre der ganzen Sippe durch die Missetat verletzt. Auch diese sollte im Wege der Selbsthilfe wieder hergestellt werden.[5] Für diese Form der Selbsthilfe hat sich der Begriff „Fehde“ durchgesetzt.[6]
III. Sühne und Bußen
Ein staatliches Gewaltmonopol, wie wir es heute kennen, gab es nicht. Nicht eine übergeordnete Instanz war für die Wiedergutmachung zuständig, sondern der Verletzte und seine Sippe selbst
Nur die Beziehung zwischen dem Missetäter und dem Verletzten wurde durch die Verletzung der Mannheiligkeit gestört, nicht aber die Beziehung des Missetäters zur Volksgemeinschaft, zum „Staat“.
Durch den sich anschließenden Fehdegang wurde auch die Ehre der Sippe wieder hergestellt. Die Fehde sollte eine Demütigung des Gegners und seiner Sippe zur Folge haben. Eine „spiegelnde Strafe“, wie sie aus den Gesetzen des Mittelalters bekannt ist, war bei den Germanen nicht zwingend vorgesehen. Als Demütigung konnten auch Sühneleistungen, die auf Grund von Sühneverträgen geleistet wurden, genügen. Diese Sühneleistungen bestanden in Vermögenswerten wie Waffen, Pferden oder Vieh. [7 ]
Das Kompositionensystem legt Bußsätze für alle Arten der Rechtsverletzungen fest. Die Höhe der Buße war von dem Wert des verletzten Rechtsguts abhängig, wenig Beachtung fand dagegen die Art der Begehensweise. Von der Bußzahlung erhält der Verletzte oder im Fall der Tötung [8] seine Sippe 2/3. Während 1 /3 als Friedensgeld (Fredus) an den Richter oder die Gemeinschaft oder den König ging. Diese Buße hat einen gemischt straf- und privatrechtlichen Charakter – sie war Bestrafung und Schadensersatz zugleich und bestand zumeist aus Vieh.
IV. Sakralrecht – Menschenopfer – peinliche Strafen
– Das Sakralstrafrecht kennt als Strafe nur das Menschenopfer.
– In fränkischer Zeit wird aus dem Menschenopfer die Todesstrafe.
– Erstes Erscheinen der peinlichen Strafen. Dies sind Strafen, die an Leib und Leben vollzogen wurden. Ihrem Ursprung nach sind sie knechtischer Art – mit dieser Strafart wurden Knechte bestraft.
V. Kirchliche Einflüsse – Asylrecht
– Unter kirchlichem Einfluss kam es zu einer Milderung der Strafen: keine Todesstrafe mehr bzw. nur noch eingeschränkt.
– Vorschub für den staatlichen Sühnezwang: Kirche und Volksrechte versuchten beide, die Fehde zugunsten eines geordneten Prozesses einzudämmen.
– Asylrecht kommt noch aus römischer Zeit. Er bedeutet den Schutz des Missetäters an bestimmten Orten – hier: in Räumen der Kirche.
VI. Verehrung der Germanen
Besonders zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam es zu einer großen Bewunderung des germanischen Rechts. Für Montesquieu war es das Idealbild aus monarchischen, aristokratischen und demokratischen Komponenten. Aus denselben Gründen faszinierte es auch die Rechtshistoriker des 19. Jahrhunderts. Die Nationalsozialistischen verehrten die strenge Gefolgschaft, den Treuegedanken und das Führerprinzip. Während Karl Marx den Agrarkommunismus schätzte.
VII. Dogmatische Fragen
– Erfolgshaftung: Das germanische Denken sah vom Standpunkt des Rächers aus. Rache bedeutet Schaden und Kränkung. Gegenüber dem Täter ist das germanische Recht blind: „Die Tat tötet den Mann“. Allein ausschlaggebend war der eingetretene Erfolg, bemessen an der zugefügten Kränkung. Der Täter haftete für den äußeren Erfolg seiner Handlungen.
Aber: Willentliche Schädigungen und versehentliche Verletzungen wurden schon erkannt. Entscheidend waren dabei die äußeren Merkmale der Tat. Die Einteilung erfolgte durch Verbrechenstypen – ein bestimmter Verbrechenstypus bestimmt, ob eine Tat aus böser Absicht oder ein Ungefährwerk (Bsp.: Verstecken der Leiche = „Mord“; Tot beim Baumfällen = „Ungefährwerk“). Heimliche Begehungen gelten als schandbarer als offenkundige. Darum wurde der Diebstahl härter bestraft als der Raub. Keine Bedeutung fanden die subjektiven Merkmale beim Täter.
– Versuch: Allein der schädliche Erfolg bestimmt die strafrechtliche Haftung – Folge: Stadium des Versuchs war nicht strafbar.
Ausnahmen: typische Handlungen, Bsp.: „handhafte Tat“ – Antreffen eines Brandstifters mit Fackel in der Hand; Eindringen in fremden Hof; Unzüchtiges Anfassen oder Zerren am Kleid einer Frau.
– Mitwirkung mehrerer an einem schädlichen Erfolg: Verletzter erhält nur einmal Wergeld, egal ob er gegen alle oder nur einen v orgeht – manchmal erscheint auch die Solidarhaftung (= alle haften gemeinsam).
– Rechtfertigung und Entschuldigung: sehr wenige Fälle – z.B. bußloses Töten des die Mannheiligkeit antastenden Täters; Kinder oder Geisteskranke.
B. Prozeßrecht
„ Der Begriff des Rechtsganges ist weiter als der des Gerichtsverfahrens.“ Der Rechtsgang braucht sich nicht vor Gericht abzuspielen. Die Sühneverträge beruhen auf Verhandlungen der Sippen untereinander – oft ohne Mithilfe der Obrigkeit. Ziel des Gerichtsverfahrens war der Sühnevertrag zwischen den Parteien.
Die Initiative ging vom Verletzten aus – der Staat hielt sich zurück:
• Klage erheben
• Ladung dem Gegner zustellen
• Beweis führen: die Mittel dazu waren Eid, Gottesurteil und Zweikampf. Sie haben sakrale Funktion, denn die Gottheit steht dahinter.
• bei handhafter Tat: den „Ertappten“ vor Gericht schleppen mit, Schreimannen als Eideshelfer
Das Gericht bestand aus einem Verhandlungsleiter und dem „Umstand“, der männlichen Bevölkerung (= „echtes Thing“). Verhandlungsleiter war zumeist der Häuptling. Diese machten Urteilsvorschläge die gebilligt wurden (durch Schlagen der Waffen) oder nicht (durch Murren).
[1] Ta ci tu s Germ a n i ca ca p. 7 : „R eges ex n obi l i ta te, du ces ex v i rtu te su m u n t. N ec
regi bu s i n fi n i ta a u t l i bera potesta s, et du ces ex em pl o poti u s qu am im peri o, si
prom pti , si con spi cu i , si a n te a ci em a ga n t, a dm i ra ti on e pra esu n t.“
[2] Frei ü bersetzt: A u s dem A del wä h l en si e di e Kön i ge, n a ch i h rer Ta pferkei t di e
Heerfü h rer. Jedoch h a ben di e Kön i ge kei n e u n ei n gesch rä n kte u n d frei e
Herrsch a ftsgewa l t u n d di e Heerfü h rer h a n del n m eh r du rch gu tes Bei spi el a l s
du rch Befeh l e, den n si e steh en im Kam pf a n v orderster Li n i e, si n d En tsch l ossen
u n d Um si ch ti g u n d werden da fü r bewu n dert.
[3] Ta ci tu s Germ a n i ca ca p. 7 : „De m i n ori bu s rebu s pri n ci pes con su l ta n t; de
m a i ori bu s om n es, i ta tam en , u t ea qu oqu e, qu oru m pen es pl ebem a rbi tri u m est,
a pu d pri n ci pes pertra cten tu r.“
Frei ü bersetzt: Über geri n ge A n gel egen h ei ten en tsch ei den di e Hä u ptl i n ge a l l ei n e,
ü ber di e wi ch ti gen di e Gesam th ei t i n der A rt, da ss zwa r da s V ol k en tsch ei det,
jedoch di e A n gel egen h ei t v om Hä u ptl i n g v orv erh a n del t wi rd.
[4] Mi ttei s-Li eberi ch : „germ a n i sch e V ol ksrel i gi on i st Däm on en gl a u be“
N a ch a n derer A n si ch t wi rd da ru n ter a u ch di e „Ei gen sch a ft des Germ a n en a n u n d
fü r si ch “ v ersta n den .
[5] Bru n n er: „Di e Feh de i st ei n R ech t des V erl etzten u n d sei n er Si ppe, si e i st da s
R ech t, di e Gen u gtu u n g im Wege der Sel bsth i l fe zu su ch en .“
[6] „Feh de, da s i st Fei n dsch a ft“.
[7 ] Da s l a tei n i sch e Wort fü r Gel d wa r pecu n i a , a bgel ei tet v on pecu s (= V i eh ).
[8] Im Fa l l der Tötu n g wa r da s v i rgel d (= Wergel d) zu za h l en . A bgel ei tet v on „v i r“
= [l a t. Ma n n ] – a l so da ss Ma n n gel d fü r di e V erl etzu n g der Ma n n h ei l i gkei t.
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