Vorwort
Das Verfassungsschutzrecht der Bundesrepublik ist in der wissenschaftlichen Diskussion nahezu so wenig sichtbar wie sein Gegenstand, der Verfassungsschutz. Dabei hat es in den letzten 30 Jahren eine stürmische Entwicklung genommen.1 Am Anfang standen zwei Grundfragen. Sind die Verfassungsschutzbehörden an Verfassung und Gesetze gebunden ? Diese Frage wird inzwischen einhellig bejaht.2 Und wie lässt sich diese Gesetzesbindung kontrollieren und im Streitfall durchsetzen ? Diese Frage ist nach wie vor wenig geklärt. Ihr ist der vorliegende Band gewidmet. Er geht von der These aus: Nachrichtendienste sind kontrollierbar und müssen es auch sein.3
Rechtsnormen, welche ein Verhalten binden, sind so viel wert wie diejenigen Mechanismen, welche die Einhaltung dieser Rechtsbindung sichern. Zu deren Einhaltung und Durchsetzung kennt das Grundgesetz zahlreiche Kontroll- und Korrekturinstrumente. Sie basieren auf der Einsicht, dass Rechtsbindung sich weder von selbst durchsetzt noch allein von den gebundenen Instanzen selbst gewährleistet werden kann. Daher ist im Grundgesetz die Gewaltenteilung statuiert. Sie begründet Rechtsdurchsetzung durch Kontrolle als Selbst- und Fremdkontrolle. Dabei lassen sich mehrere Arten von Kontrollmechanismen unterscheiden. Zu ihnen zählen interne und externe bürokratische Kontrollen, die Rechnungsprüfung, die gerichtliche und die parlamentarische Kontrolle. Hier stehen im Vordergrund die zuletzt genannten Mechanismen. Sie sind strikt voneinander abzugrenzen. Denn sie prüfen an ganz unterschiedlichen Maßstäben. Parlamentarische Kontrolle fragt zentral danach, ob die aus dem Demokratieprinzip stammenden Bindungen an Gesetze und politische Weisungen der Regierung eingehalten sind. Demgegenüber prüfen Gerichte, ob die Rechte der von staatlicher Tätigkeit betroffenen Bürger gewahrt sind. Abgekürzt lässt sich formulieren: Das Parlament überwacht die Belange der politischen Mehrheit; die Gerichte die Wahrnehmung der Belange der betroffenen Minderheiten. Schon wegen dieser unterschiedlichen
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1 Aus jüngster Zeit: BundesG v. 17.7.2009, BGBl I, S. 1977 (zur Einführung des Art. 45 d GG); BundesG v. 20.7.2003, BGBl I S. 2346 zur Änderung der parlamentarischen Kontrollrechte gegenüber den Nachrichtendiensten; Art. 4 BundesG v. 30.7.2009, BGBl I S. 2437 mit redaktionellen Änderungen von nachrichtendienstbezogenen Gesetzen; BundesG v. 31.7.2009, BGBl I S. 2499, mit Änderungen des G-10-Gesetzes und des BND-Gesetzes. 2 Zum Meinungsstand früher Gusy, Die Stellung des Verfassungsschutzes im Rahmen der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, in: BMI (Hg.), Aufgaben und Kontrolle des Verfassungsschutzes, 1990, S. 25; aus neuerer Zeit Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, 2007. 3 Grundlegend Bull, DÖV 2008, 751 („Sind Nachrichtendienste unkontrollierbar ?").
Kontrollperspektiven und -maßstäbe dürfen beide Mechanismen nicht gegenseitig aufgerechnet werden.
Das allgemeine Thema „Kontrolle der Nachrichtendienste" ist in Deutschland vielfach untersucht und dargestellt. Dabei besteht Konsens in der Diagnose: Im internationalen Vergleich sind Kontrollinstanzen und -instrumente in Deutschland zahlreich und gut ausgebaut. Ihre Zahl und ihre Aufträge reichen weiter als in nahezu allen anderen Verfassungsstaaten.
Hier geht es wesentlich, aber nicht nur um Kontrolle als Grundrechtsschutz. Einerseits hat dazu das Bundesverfassungsgericht stets festgestellt: Die Rechtsweggarantie des Grundgesetzes gilt auch für Maßnahmen des Verfassungsschutzes. Dieser ist weder wegen seiner besonderen Aufgaben noch wegen der besonderen Art ihrer Erfüllung aus dem Anwendungsbereich des Gerichtsschutzes ausgenommen. Ausnahmen gelten vielmehr nur, soweit das Grundgesetz diese ausdrücklich zulässt.4 Andererseits ist das Gefühl verbreitet: Gegen Maßnahmen der Nachrichtendienste ist kein gerichtliches Kraut gewachsen. Die klassische Diagnose lautet so: Den Gerichten fehlen sowohl die hinreichende eigene Kenntnis der zu überprüfenden Sachverhalte als auch die zur Ausübung wirksamen Rechtsschutzes erforderlichen hinreichend klaren rechtlichen Maßstäbe.5 Die hier aufgeworfenen Fragen verdienten und verdienen es, ernst genommen zu werden. Ein wesentliches Hindernis auf dem Rechtsweg gegen Maßnahmen des Verfassungsschutzes ist der seltene, aber immerhin auftretende gesetzliche Ausschluss des Rechtsweges. Explizit ndet sich eine solche Klausel allein in § 13 G-10 für Eingriffe der Nachrichtendienste in das Post- und Fernmeldegeheimnis.6 Die Regelung stellt eine Beschränkung der grundgesetzlichen Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) dar. Sie ist vom Bundesverfassungsgericht nur unter restriktiven Bedingungen für zulässig gehalten worden. Dazu sei erforderlich, dass „das Gesetz eine Nachprüfung (vorsieht), die materiell und verfahrensmäßig der gerichtlichen Kontrolle gleichwertig, insbesondere mindestens ebenso wirkungsvoll ist".7 An diese Gleichwertigkeit stellte es zu Recht hohe Anforderungen. Grundsätzlich erfülle das G-10 jene Anforderungen und sei daher verfassungsgemäß. In der Folgezeit traten allerdings zahlreiche neue Fragen auf. Zunächst zeigten sich kontrollfreie Räume: Einerseits waren die Kommissionen in Bund und Ländern praktisch ausschließlich zur Überprüfung der Informationserhebung, also des Lesens der Post bzw. des Abhörens von Telekommunikation, zuständig. Andererseits war der Rechtsweg gegen sämtliche Grundrechtseingriffe aus dem G-10, welches
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4 Grundlegend BVerfGE 30, 1, 23, zu Art. 10 Abs. 2 S.2 GG iVm Art. 19 Abs. 4 S. 3 GG. 5 Rupp, Rechtsschutz und Verfassungsschutz, in: BMI (Hg.), Verfassungsschutz und Rechtsstaat, 1981, S. 157 ff. 6 Einzelfall einer Überprüfung: VG Berlin, B. v. vom 8.7.2009, VG 1 A 10.08. 7 BVerfGE 30, 1, 23. Zuletzt EGMR, NJW 2007, 1433.
auch Maßnahmen der Speicherung, Verarbeitung, Weitergabe und Löschung umfasste, ausgeschlossen. Hier entstand eine Kontrolllücke, die erst später entdeckt und aufgrund nachträglicher Beanstandung durch das Bundesverfassungsgericht8 geschlossen wurde. Nun aber traten neue Fragen auf: Sind die ganz überwiegend neben- oder ehrenamtlich arbeitenden Kommissionen, welche in regelmäßigem Turnus zu Sitzungen zusammentreten, dort beraten und bei Bedarf durch Beschluss entscheiden, überhaupt in der Lage, die permanent auftretenden Kontrollbedürfnisse ausreichend wahrzunehmen ? Und welche Kontrollrechte stehen ihnen hierzu überhaupt zu ? Diese außerordentlich umstrittenen Fragen wurden erst in jüngerer Zeit thematisiert und zum Gegenstand von Diskussionen, die aber kaum je das Forum der Fachöffentlichkeit bzw. der Gerichte erreichten. Ihnen ist ein wesentlicher Teil des vorliegenden Bandes gewidmet.9 Ist der Rechtsweg gesetzlich nicht ausgeschlossen, so ist er doch für Betroffene vielfach unerreichbar. Dafür maßgeblich sind allein tatsächliche Umstände. Die Arbeit des Verfassungsschutzes vollzieht sich für Betroffene vielfach geheim oder verdeckt. Bei geheimen Maßnahmen bemerken sie gar nicht, dass Informationen über sie erhoben werden; bei verdeckten Eingriffen bemerken sie jedenfalls nicht, dass es staatliche Stellen sind, die ihnen gegenüber tätig werden: Wird das alte, angeblich schadhafte Telefon gegen ein neues ausgetauscht, welches unerkannt mit einer Abhöranlage verwanzt ist, so nimmt der Betroffene die Abhörmaßnahme und damit das behördliche Handeln gar nicht wahr. Seit anerkannt ist, dass auch Informationserhebung und -verarbeitung durch Behörden Grundrechtseingriffe darstellen können,10 läuft die Rechtsweggarantie insoweit faktisch leer. Dies gilt umso mehr, als Beschränkungen den Betroffenen nur selten bekannt gegeben werden müssen11 und ihnen Auskunftsansprüche nur in höchst eingeschränktem Maße zustehen. 12 Geheimdienste sind eben notwendig geheim; ein transparenter Geheimdienst wäre ein Widerspruch in sich. Wer aber von Maßnahmen gegen ihn nichts weiß und auch nichts in Erfahrung bringen kann, kann auch nicht klagen. Im Ergebnis bedeutet dies: Die rechtliche Anerkennung heimlicher Grundrechtseingriffe ist nicht ohne die Konsequenz möglich, dass es faktisch Eingriffsmaßnahmen ohne Rechtsschutzmöglichkeiten gibt. Wenn hier die Instrumente grundgesetzlich angeordneter Fremdkontrolle zur Wahrung des Grundrechtsschutzes leerlaufen, stellt sich im Lichte der zitierten Rechtsprechung die Frage nach möglichen Kontrollsurrogaten. Ihnen ist ein weiterer Abschnitt dieses Bandes gewidmet.1
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8 BVerfGE 100, 313, 361 f.
9 S. u. Kap. 2, 3.
10 Zusammenfassend, aber keineswegs erstmalig BVerfGE 65, 1, 41 ff.
11 Dazu aus jüngerer Zeit BVerwG, NJW 2008, 2135.
12 Zum BND noch BVerwG, NVwZ 2008, 580. 13 S. u. Kap. 4.
In jüngerer Zeit ¿ nden sich mehrere obergerichtliche Entscheidungen zur Kontrolle nachrichtendienstlicher Maßnahmen. Sie beziehen sich etwa auf den Verfassungsschutzbericht,14 auf dienstrechtliche Entscheidungen15 bzw. die Verweigerung von Auskünften gegenüber parlamentarischen Gremien.16 Dagegen ¿ nden sich nur vereinzelt Entscheidungen zur regelmäßig nicht öffentlichen Informationserhebung der Dienste.17 Die Praxis zeigt: Dass auch der Verfassungsschutz gerichtlicher Kontrolle unterliegt, ist allseits anerkannt. Und dennoch ist sie ein seltener Ausnahmefall geblieben. Dies ist Anlass genug, die angedeuteten Zugangsgrenzen und Kontrollde¿ zite in den Blick zu nehmen und alternative Kontrollmechanismen im Hinblick auf ihre Tauglichkeit wie ihre Grenzen zu diskutieren. Dem ist der vorliegende Band gewidmet. Er ist nicht monogra¿ sch angelegt, sondern enthält eine Sammlung von Einzelstudien zu aktuellen und umstrittenen Themen. Sie sind in den letzten Jahren aus unterschiedlichen Anlässen entstanden und hier zusammengeführt. Zwei von ihnen sind erstmals, einer in der hier vorgelegten Form erstmals veröffentlicht. Die beiden anderen waren als Vorträge konzipiert und sind nur in – z. T. vergriffenen – Tagungsprotokollen enthalten.18
Am Anfang (Kapitel 1) steht eine Problembeschreibung zur Legitimation von Grundrechtseingriffen durch Rechtsschutz- und Kontrollmöglichkeiten, ihrer Anwendbarkeit auf Verfassungsschutzbehörden und deren rechtliche und tatsächliche Besonderheiten. Sodann folgen zwei Untersuchungen (Kapitel 2, 3) zu der Spezialmaterie der Abhörgesetze, die alte und neue Rechtsfragen schufen, welche auch der Fachöffentlichkeit kaum bekannt und erst recht in der Vergangenheit nicht diskutiert worden sind. Die weitere Abhandlung (Kapitel 4) nimmt sich der zentralen Rechtsschutzfragen bei Maßnahmen des Verfassungsschutzes an und kommt zu dem Ergebnis, dass hier neben zahlreichen Verbesserungen der letzten Jahre weiterhin einige Lücken klaffen. Die gegenwärtig viel diskutierte parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste dient – wie gesehen – primär anderen Zwecken als dem Grundrechtsschutz. Hier soll zum Schluss (Kapitel 5) der Diskussionsstand kurz aufgezeigt werden, um die verfassungsrechtlichen Grundsätze und Anforderungen sichtbar zu machen. Ob das jüngst verabschiedete Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste19 diesen Anforderun
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14 Dazu BVerfGE 113, 63; dazu Murswiek, NVwZ 2004, 769; Doll, NVwZ 2005, 658; s. weiter etwa BVerwG, DÖV 2008, 916; VGH Kassel, NVwZ 2003, 1000. 15 Etwa BVerfG, Zeitschrift für Beamtenrecht 2008, 164. 16 S. BVerfG, NVwZ 2009, 1353; s. schon früher Beck/Schlikker, NVwZ 2006, 912. 17 Z. B. OVG Münster, B. v. 13.2. 2009, 16 A 845/08 (Bodo Ramelow); schon früher BVerwG, DVBl 2000, 279 (politische Parteien); s. a. OVG Münster, B. v. 12.2.2008, 5 A 130/05 (Scientology). 18 Ein detailliertes Verzeichnis ¿ ndet sich am Schluss des Buches. 19 Gesetz über die Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz) v. 29.7.2009 (BGBl I S. 2346). Dazu näher Huber, NVwZ 2009, 1321.
gen gerecht werden kann, war im Vorbereitungsstadium unter den beteiligten Sachverständigen umstritten.20 Angesichts zahlreicher offener Formulierungen und einzelner Gesetzeslücken wird erst die Anwendung des Gesetzes zeigen, ob es ein Kontrollplacebo darstellt oder aber dazu beitragen kann, die zuständigen Parlamentsorgane sehend zu machen und mit den erforderlichen Instrumenten auszustatten.21 Ein weiteres Mal zeigt sich: Wissenschaftliche Befassung mit selten untersuchten und umstrittenen Fragen kann oft mehr Probleme als Lösungen aufzeigen. Das gilt gewiss auch für diese Publikation. Doch ist nicht zuletzt dies ihr zentrales Anliegen. Die Materie bringt es mit sich, dass nicht nur die Antworten, sondern oft schon die Fragen kaum erkennbar sind. Sie transparenter und damit diskutierbarer zu machen ist deshalb eine unentbehrliche Voraussetzung möglicher Erkenntnisfortschritte. Die Untersuchungen wären nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung zahlreicher Experten, Insider und Mitarbeiter. Ihnen sei an dieser Stelle sehr herzlich gedankt. Dies gilt zunächst für die Zustimmung zur Veröffentlichung der einzelnen Abhandlungen. Deren Entstehung verdanke ich Anfragen und Anregungen aus Politik, Praxis und Rechtsprechung. Manche Ideen entstanden in Diskussionen, bei denen im Nachhinein nicht mehr rekonstruierbar ist, wer sie als Erster ausgesprochen hat. Da in solchen Fällen ein Zitat nicht möglich ist, verdienten die Gesprächspartner, wenigstens hier genannt zu werden. Doch bringt die hier abgehandelte Thematik mit sich, dass die meisten von ihnen den Wunsch äußerten, nicht namentlich genannt zu werden. Doch mindert dieser Umstand Dankesschuld und Dankbarkeit in keiner Weise. Bei der Veröffentlichung haben mich die Mitarbeiter des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte an der Universität Bielefeld tatkräftig unterstützt. Herr wiss. Mit. T. Heidbrede hat die Last von Korrekturen und Aktualisierungen fast allein getragen. Frau A. Röder hat ein weiteres Mal die Last der Herstellung und technischen Betreuung übernommen. Ohne beider Hilfen hätte die Veröffentlichung nicht entstehen können.
Gewidmet ist der Band dem Andenken an meinen langjährigen Gesprächspartner, Weggefährten und Freund Prof. Dr. Joachim Schulz (1945–2006). Ihm verdanken alle Teile wohl das Meiste und das Beste.
Christoph Gusy
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20 Deutscher Bundestag, Innenausschuss, Prot. (Wortprotokoll) Nr. 16/97. 21 Zur alten Rechtslage noch Gusy, in: BMI (Hg.) a. a. O., S. 46: Die parlamentarischen Kontrollorgane „sind nicht nur blinde Wächter, sie sind auch Wächter ohne Schwert.
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