Die Allianz
1. Eine Allianz ist eine Verbindung zweier oder mehrerer Staaten zu gemeinsamem Verhalten als Mächte. Sie hat
ld) Vgl. G. Meyer, Lehrbach S. 118.
also wesentlich politische Zwecke, mögen diese sich nun auf ein feindliches Verhalten gegen Dritte oder auf Erreichung eines friedlichen Zweckes beziehen. Eine solche Verbindung ist nicht orgapisirt, sie erscheint lediglich in den übereinstimmenden Willen der contrahirenden Theile. Für einzelne aus der Allianz entspringende Zwecke können jedoch internationale Organe mit zeitlich und sachlich beschränkter Wirksamkeit eingesetzt werden, z. B. bei einer Collectivgarantie, welche die Organisation eines Staates oder einer Provinz sichert, die die Beschlüsse der Garanten aüsführenden und überwachenden Commissionen, wovon erst kürzlich der Berliner Vertrag Beispiele geboten hat; oder die Einsetzung eines Comit^s von Seiten der verbündeten Staaten, um Wünsche oder Zustände der Macht zu prüfen, gegen oder für welche die Coalition stattgefunden hat. Indessen spielen solche Organe bei Allianzen immer eine untergeordnete und vorübergehende Rolle, so dass deren Charakter als nichtorganisirter Staatenverbindung dadurch wenig alterirt wird.
Die Allianzen werden herkömmlich in kriegerische und friedliche eingetheilt, je nachdem sie auf den Kriegs- oder Friedenszustand berechnet sind. Die kriegerischen Allianzen, welche die weitaus häufigsten sind, zerfallen in Offensivallianzen zu gemeinsamem Angriff und Defensivallianzen zu gemeinsamer Abwehr, sei es eines Feindes, sei es einzelner von Seiten nicht direct mit den alliirten Staaten im Kriegszustand befindlicher Mächte zu fürchtender Unbilligkeiten. Beispiele des zweiten Falles der Defensivallianzen sind die bewaffneten Neutralitätsbünde. Eine dritte Art der kriegerischen Allianz ist die, welche Offensiv- und Defensivallianz in sich vereint, das Schutz-und Trutzbündniss. Die kriegerischen Allianzen können speciell gegen einen bestimmten Feind oder Angriff und generell für alle kriegerischen Zwecke geschlossen werden.
Die Allianz gehört dem Typus der Gesellschaftsverträge an, und die allgemeinsten durch die Natur des Gesellschaftsverhältnisses gegebenen Rechtssätze finden auf sie Anwendung. Aber man muss sich hier, wie überall im öffentlichen Recht, vor zu weit gehenden privatrechtlichen Analogien hüten. Nur der Umstand, dass die Allianz eine auf Vertrag beruhende, zu bestimmten Zwecken geschlossene Gemeinschaft ist, deren Wesen stets nach dem Charakter des zu Grunde liegenden Pactes zu beurtheilen ist, und die mit Erfüllung des gemeinsam angestrebten Zweckes auf hört, dass, wo keine andere Verabredung vorliegt, gleiche Rechte und Pflichten der Gesellschaftsglieder angenommen werden, ist der Gesellschaft des Völkerrechtes mit der des Privatrechtes gemeinsam.
Von dieser ist sie aber vor Allem dadurch geschieden, dass sie ohne Aufkündigung sogleich erlischt, wenn das Festhalten an der Allianz den Staat mit seinen wichtigsten Interessen, mit seinen Existenzbedingungen in Conflict brächte. Nirgends tritt die vertragsauflösende Kraft der Klausel: rebus sic stantibus öfter und deutlicher hervor, als bei den Allianzen, die daher unter allen Formen der politischen Bündnisse die am wenigsten dauerhafte ist. Wenn es auch mit den Allianzen des 19. Jahrhundert nicht mehr ganz so schlecht bestellt ist wie mit denen des vorigen, von denen ein Kenner ihrer Geschichte behauptet: „Nous y verrons des alliances formöes et rompues, sans autres motifs que le caprice des souverains ou lesprojets ambitieux de leurs ministres“1^ so zeigt sich doch auch heute immer und immer wieder der Sieg der Politik über das formelle Recht, d. h. der Sieg der Interessen des Einzelstaates über die der Staatengemeinschaft. Das Gefühl von der Nichtigkeit des Völkerrechtes mag den wohl beschleichen, der in politischen Bündnissen dieser Gattung vornehmlich die Bedeutung von Treu und Glauben und die Regeln des internationalen Verkehres zu erkennen trachtet.
Auch das Mass der Leistung ist ein anderes für die Gesellschaft des Völker- als die des Privatrechts. Jede Leistung, welche die Kräfte eines Gesellschafters übermässig in Anspruch nehmen würde, kann von diesem verweigert werden — wie sich logisch aus dem Fundamental satze der Existenzerhaltung des Staates ergibt. Wann jene Grenze überschritten ist, über welche hinaus eine Leistung nicht gefor
*) Koch-Schoell, Histoire abregde des trails de paix entre les puissances de V Europe t. II, p. 171.
dert werden kann, darüber entscheidet bei dem Abgänge eines internationalen Richters natürlich nur der zur Leistung verpflichtete Staat selbst, und dadurch allein schon muss die Beständigkeit der Allianzen als sehr zweifelhaft erscheinen. Erst wenn die Staatenverbindung materiell auf eine bleibende Gemeinschaft der Zwecke gebaut und formell durch die Errichtung einer gemeinsamen Organisation verstärkt ist, nimmt sie einen strengeren rechtlichen Charakter an.
Manche als Allianzen bezeichnete internationale Vereinbarungen, vornehmlich die Freundschafts- und Anerkennungsverträge, sind Acte, welche mehr als Voraussetzungen eines rechtlich geordneten Verkehres,‘ denn als eigentliche Verträge zu betrachten sind. Sie nähern die Staaten einander, verbinden sie aber noch nicht, sondern ermöglichen Verbindungen, indem durch sie ein ausdrückliches Anerkennen der gegenseitigen Existenz als Rechtspersönlichkeit gesetzt wird. a) Wenn Verträge so vagen Inhaltes sind und so unklare Ziele haben, wie die so lange überschätzte, nun aber in ihrer geringen historischen Bedeutung erkannte heilige Allianz, so ist es mehr als zweifelhaft, ob sie noch in das Gebiet des Völkerrechts gehören.
2. Die Theorie der Allianz- ist von der Wissenschaft bei der Einfachheit dieses Verhältnisses im Grossen und Ganzen endgiltig festgestellt worden, und da alle nichtorganisirten politischen Bündnisse unter den Begriff der Allianz fallen, so wäfe die Betrachtung derselben unter Hinweis auf die betreffenden Partien der Systeme desVölkerrechtes zu schliessen. Unsere Aufmerksamkeit hat sich jedoch noch jenen Arten der Allianz zuzuwenden, durch welche ein Gesellschafter in eine politisch inferiore Stellung zu den anderen versetzt, wo die freie Bewegung eines Staates wesentlich eingeschränkt wird, wo also die Frage zu erörtern ist, ob die Souveränetät des also beschränkten Staates eine Modification erleidet und welcher Art sie ist. Diese Arten der Allianz haben vielfach wegen ihrer oft grösseren materiellen Garantie eine festere Gestaltung und längere Dauer als die mit politisch gleicher Stellung der Contrahenten.
2) S. oben S. 99.
Hier sind zuvörderst zwei nicht mehr dem Ideenkreise der modernen civilisirten Völker angehörige Verhältnisse zu berühren, nämlich das Lehensband, sofern keine staatsrechtliche Gehorsamspflicht durch dasselbe bedingt ist und die Zahlung eines Tributs.
Insofern durch das Lehensband nur die Verpflichtung zur Treue, nicht aber eine Gehorsamspflicht begründet ist3), sind es nur gewisse Ehrenvorzüge vor dem Lehnsträger, die dem Lehnsherrn zustehen; durch solches principiell, aber nicht factisch den Krieg unter den derart vereinigten Staaten ausschliessendes Lehensband waren im Mittelalter viele sonst ganz unabhängige Staaten oder vielmehr deren Fürsten nominell mit einander verbunden. Als ein Ueberrest aus jener Zeit hatte sich bis in unser Jahrhundert Neapel als päpstliches Lehen erhalten. *)
Ebenso bedeutet die Zahlung eines Tributes nichts als die Zugestehung eines gewissen Ehrenvorzuges an den Staat, dem man zinsbar ist, wenn sich das ganze Verhältniss auf Zahlung und Empfang des Tributs beschränkt. Dieser Art war die Zinsbarkeit verschiedener Königreiche an den päpstlichen Stuhl. Zwar nach den Anschauungen der Barbaresken- staaten, nicht aber nach dem-der europäischen Mächte, waren die von diesen an jene bezahlten jährlichen Geldbeträge ein Tribut. Es waren diese Tributverträge nichts als eine Form der Handelsverträge, indem die christlichen Staaten sich Handel und Verkehr durch Zahlung einer Geldsumme sicherten.ß)
Eingehendere Untersuchung als diese, wenigstens für die christlichen souveränen Staaten antiquirten Formen heischen
8) Ueber den Unterschied von Treue und Gehorsam vgl. Ehrenberg, Commendation und Huldigung nach fränkischem Recht, Weimar 1877, S. 112 ff. 4) Günther I, 8. 136; He f ft er §. 22, n. 5. Auch die Verwirkung des Lehens wegen Untreue gehört zu den theoretischen Consequenzen des Lehensbandes (He ff ter 1. c.), hatte aber bei Verhältnissen dieser Art nur wenig praktische Bedeutung und hinderte die Souveränetät des Vasallenbuudes so wenig, als die au* irgend einem anderen Grunde eintretende Verwirkung der Krone für den jeweiligen Träger derselben, wie z. B. für den König von England durch Verheiratung mit einer Katholikin. *) Ueber diese Verhältnisse siehe Wheaton, Elements 1.1, §. 14; Beach La wrence 1.1, p. 227 ff
die Beschränkungen der politischen Actionsfähigkeit eines Staates durch Protectionsverhältniss, Garantieverträge und ewige Neutralisirung.
No Comments