Der Staatenvertrag
1. Die Anerkennung eines fremden Staates ist Erhebung desselben zur Rechtspersönlichkeit für den anerkennenden. Sie ist Voraussetzung des rechtlichen Verkehres unter den sich anerkennenden Staaten. Der Verkehr selbst besteht jedoch in einem gegenseitigen Geben, Nehmen, Thun, Unterlassen, das den wechselnden, zusammenfallenden oder auch einander widerstreitenden Bedürfnissen und Interessen der Staaten sich enge anschliesst. Die Rechtsform, in welcher die Staaten ihre über sie selbst hinausreichenden Bedürfnisse befriedigen, ist der Vertrag, das Zusammentretfen mehrerer Willen in einem Gewollten, wodurch die getrennten Willen in Beziehung auf ihr Object in einen einzigen zusammenschmelzen. Vertrag ist Willenseinigung. Er ist die einzige Form, durch welche ein Staat sich mit einem anderen verbinden kann, ohne seine Unabhängigkeit aufzugeben, und der nur durch Vertrag gebundene Staat ist und bleibt völlig souverän, was auch der Inhalt der von ihm eingegangenen Verpflichtungen sein möge. 1)
Der Vertrag erzeugt keine Abhängigkeit. Indem ein Staat dem anderen im Vertrage Etwas verspricht oder gewährt, ordnet er seinen Willen nicht dem fremden unter, sondern verbindet seinen Willen zur Gemeinschaft mit dem fremden. Er kann daher bezüglich des Vertragsinhaltes nicht mehr allein disponiren, weil sein Wollen mit einem fremden Wollen verbunden ist. Nicht in Abhängigkeit, sondern in Verbindung setzt der Vertrag. Der aus dem Vertrage Berechtigte kann von dem Verpflichteten nur deshalb fordern, weil der Wille des letzteren mit dem seinigen identisch ist. Der fremde Wille ist daher im Vertrage gleich dem eigenen; diese Gleichheit kann aber keine wie immer geartete Subordination hervorrufen.
Der Vertrag als die einzige Möglichkeit einer Verbindung zwischen souveränen Staaten bildet die Grundlage einer jeden völkerrechtlichen Staatenverbindung. Ob die Verbindung sich auf eine noch so unbedeutende Angelegenheit der Staaten beschränkt oder die höchsten Zwecke der Staaten ihrem ganzen Umfange nach zu fördern trachtet, immer tragen diese Verbindungen den gemeinsamen Typus des Vertrages. Daher regeln die allgemeinen Normen der Staatenverträge auch alle völkerrechtlichen Verbindungen,
l) S. oben S. 54.
es gibt keine, welche sich den völkerrechtlichen Sätzen über Entstehung, Abschluss, Dauer und Endigung der Staatenverträge entziehen könnten. Für die innigste Art der völkerrechtlichen Verbindungen, den Staatenbund, ist zwar von manchen Seiten ein Anderes behauptet worden, jedoch ohne zwingenden Grund, wie später nachgewiesen werden wird.
Da alle völkerrechtlichen Verbindungen auf Vertrag beruhen, und jeder Staatenvertrag eine, wenn auch noch so lose Verbindung der contrahirenden Staaten hervorruft, so gehört die Lehre von den Staatenverträgen eigentlich ihrem ganzen Umfange nach zu unserem Gegenstände. Wir überlassen indess die Darstellung des gesammten internationalen Vertragsrechtes billig den Lehrbüchern des Völkerrechtes und beschäftigen uns im Folgenden blos mit jenen Punkten, in welchen die auf die Verbindung der Staaten Bezug habenden Momente der Staatenverträge am schärfsten zum Ausdrucke kommen.
2. Vor Allem ist hier der Satz wichtig, dass alle Staatenverträge von Rechtswegen lösbar sind. Das gilt nicht nur für die Verträge, die auf Zeit geschlossen sind und bei denen den Parteien ein Aufkündigungsrecht zugestanden ist. Auch wo eine Befristung oder Befugniss zur Aufkündigung nicht ausdrücklich in den Vertrag aufgenommen sind, ist er doch nicht unlösbar. Der Staatswille kann sich nicht derart binden, dass seine Gebundenheit eine absolute ist. Da alle Verträge der Staaten und nicht die Staaten der Verträge wegen da sind, so muss immer, wenn der Staat und seine Entwickelung mit dem Vertrage in Conflict kommen, der Vertrag untergehen zu Gunsten des Staates. Dass alle Verträge mit der allerdings oft missbrauchten Klausel: rebus sic stantibus gelten, folgt aus der Natur des Staates als der höchsten menschheitlichen Organisation, die, wie alles Höchste, erhalten werden muss um jeden Preis. Auch beim Pflichtenconflicte im Individuum muss die niedrigere Pflicht zu Gunsten der höheren aufgeopfert werden. Da es nun die höchste Pflicht des Staates ist, sich selbst zu erhalten und zwar nicht nur, als ruhende Ordnung, sondern auch als bewegende Kraft des Volkslebens, so weicht für ihn im Falle des Conflictes die Pflicht der Vertragserfüllung der Pflicht der Selbsterhaltung. Und da selbst bei Staaten, deren Interessen in noch so grossem Umfange und noch so innig mit einander verbunden sind, der Fall, dass diese einmal ganz unvereinbar werden, nie ganz ausgeschlossen ist, so kann man schon aus diesem Grunde nicht von der Ewigkeit der Verträge sprechen.
Der Wille des Staates ist nur so lange gebunden, als er nicht durch eine seinen höchsten Zwecken entspringende Anforderung an seinen Willen von der selbstgeschlungenen ■ Fessel befreit wird. Das gilt für Verträge ebenso gut als für Verfassungen und Gesetze. Jeder Act des Staatswillens, mag er sich nach. Innen oder nach Aussen wenden, trägt die Klausel: rebus sic stantibus in sich.2) Allerdings kann mit ihr viel Missbrauch getrieben werden, das ist aber unvermeidlich, so lange die Staaten sowohl nach Innen als nach Aussen in letzter Instanz Richter in eigener Sache sind, so lange in ihren Händen die höchste Entscheidung über alle ihre Angelegenheiten liegt. Hier ist ein Punkt, wo Recht und Ethos Zusammenwirken müssen, denn nur die von sittlichen Ideen getragene Staatsgewalt wird in diesen Fällen der höchsten und schärfsten Conflicts das sicher ergreifen und ausführen, was von der Rechtsidee gefordert wird.
Zu diesem eigenthümlichen, aus der Natur des Staates fliessenden Endigungsgrund der Staatenverträge kommt noch hinzu, dass alles, was nur durch übereinstimmenden Willen zusammengefügt worden ist, durch übereinstimmenden Willen wieder gelöst werden kann, dass also durch mutuum dissensum sämmtlicher Theilnehmer eines Staaterivertrages derselbe rechtlich untergehen kann. Das gilt für jeden Handelsvertrag so gut, wie für die Bundesacte, durch welche ein Staate ab und constituirt wird. Wenn also in einem solchen ßundesvertrage von einer „perpetual union“, wie in dem Preambel der nordamerikanischen Conföderationsartikel oder von einem „beständigen Bunde“, wie in der deutschen Bundesacte die Rede ist, so hat das juristisch dieselbe Bedeutung, wie wenn in einem Friedensvertrage festgesetzt wird, dass zwischen den pacis- cirenden Staaten „paix et amitie a perpetuüÖ* herrschen soll.
2) Mein, Die rechtliche Natur der Staatenvertr. S. 40
Nicht einmal gegenseitiger Dissens ist nöthig, um einen Staatenvertrag zu zerstören. Insoferne sämmtliche Punkte eines Vertrages organisch mit einander Zusammenhängen, wird durch Bruch des Vertrages von Seiten einer Partei der ganze Vertrag zerrissen. Da der Staatenvertrag auf gegenseitigem Vertrauen ruht, da die Vertragstreue der stärkste Schutz internationaler Verpflichtungen ist, so stürzt, wenn die Basis der fides gebrochen ist, das ganze darauf aufgefiihrte Gebäude in sich zusammen.
3. Da alle Verträge Staaten Verbindungen erzeugen, so ist die schwierige Frage nach der Eintheilung der Staatenverträge für uns von grossem Interesse. Die einzelnen Gattungen der Verträge wären zugleich Gattungen völkerrechtlicher Staatenverbindungen. Zu einer wissenschaftlichen, nicht auf falschen Analogien beruhenden und nicht an Aeusserlichkeiten haftenden, sondern das Wesen der Sache treffenden Systematik der Verträge hat es das Völkerrecht noch nicht gebracht, schon deshalb nicht, weil ein principieller Standpunkt, von dem aus die Eintheilung vorzunehmen wäre, bisher von Niemandem festgestellt wurde, und daher die aufgestellten Kategorien theils scholastisch unbrauchbar sind, theils nur nebensächliche Dinge betreffen, theils unrichtig oder mindestens verworren sind.
So z. B. schleppt sich in neueren Werken über Völkerrecht noch immer die Eintheilung der Verträge in persönliche und Realverträge fort3)» als der Gegensatz von Verträgen, die blos von und für das Staatsoberhaupt oder die Dynastie und solchen, die für den Staat geschlossen werden — eine Eintheilung, die dem modernen Staatsrechte durchaus widerspricht. Wenn der Souverän nicht für den Staat handelt, so handelt er eben nicht als Souverän, schliesst also keinen Staatenvertrag ab4 *); wenn hingegen die persönlichen, im Vertrage berührten Interessen den Staat tangiren und demgemäss ein Staatenvertrag vorhanden ist, dann ist der Vertrag eben kein persönlicher. Alle
8) Noch Calvo I. §. 644 p. 629, 630, vgl. ferner die daselbst angegebene Literatur. 4) Vgl. Geffcken zu Heffter §. 82; unklar Bluntschli, Mod. Völkerrecht. Art. 43.
Staatenverträge sind Realverträge. Enden sie rechtlich mit dem Ende der Regierung des sie abschliessenden Souveräns oder der Dynastie, dann sind sie eben befristete Realverträge.
Man hat ferner die Verträge eingetheilt in Conventionen oder transitorische und in Tractate oder permanente Verträge, je nachdem sie sich durch einen einzigen Act erfüllen oder mehrere successive Leistungen oder die Herstellung eines bleibenden Zustandes zu ihrem Inhalte haben.6) Aber es wird zugegeben, dass diese transitorischen Verträge insofern permanent sind, als der durch sie geschaffene Zustand fortdauert, während andererseits Verträge, die eine geraume Zeit gedauert haben, nach ihrem Erlöschen von transitorischen in nichts sich unterscheiden. Diese Eintheilung ist daher eine ganz oberflächliche, überdies praktisch werthlose und darum scholastische.
Von ganz untergeordnetem Werthe, weil nur nach äusserlichen Merkmalen vorgenommen, ist die Eintheilung der Staaten- vertrage in Haupt- und accessorische, in unbedingte und bedingte, in mündliche und schriftliche, in Präliminar- und Definitivverträge und wie die zahlreichen dem Privatrechte entnommenen Kategorien heissen mögen, die in bunter Menge in den Lehrbüchern des Völkerrechtes aufgezählt zu werden pflegen.
4. Ein aus dem Wesen der Sache entspringendes Ein- theilungsprincip ergibt sich, wenn man die specifische juristische Function der Staatenverträge im Auge behält. Das ist aber die Verbindung der paciscirenden Staaten. Nach der Art und dem Grad der durch die Staatenverträge hervorgerufenen Verbindungen wird demnach die Classificirung derselben vorzunehmen sein.
Die Ar t e n der Beziehungen der durch Vertrag verbundenen Staaten ergeben sich, wenn man die Gründe prüft, aus denen ein Staat mit dem anderen pactirt. Ein Staat kann aus zwei Gründen mit einem anderen einen Vertrag schliessen.
Erstens, um den inneren Staatszwecken besser zu genügen, also zur Erfüllung seiner ihm durch seine Natur als Verwalter der gemeinsamen Interessen seines Volkes gesetzten Aufgaben. Indem der Staat durch seine freie Thätigkeit innerhalb der ihm von seiner Rechtsordnung gezogenen Schränken
6) Martens, Precis du droit des gens §. 58. Vgl. Calvo I. §. 643.
die Gemeininteressen des Volkes erhält und fordert, vergaltet er. Die Kräfte seiner Unterthanen kann er durch Gesetz, Verordnung und Befehl sich dienstbar machen; den fremden Staat kann er für die Zwecke seiner Verwaltung nur’ durch Vertrag heranziehen. Indem er dies thut, schliesst er einen Verwaltungsvertrag ab. Handels-, Schifffahrts-, Eisenbahn- und Consularverträge, Münz-, Maass-, Zoll-, Post- und Telegraphenconventionen; Auslieferungsverträge, Verträge zum Schutze des literarischen Eigenthumes, Verträge über Execution richterlicher Urtheile im Auslande u. 8. w. sind Acte der Staatsverwaltung, durch welche der Staat über sein Gebiet hinausgreift, indem er seinen Unterthanen Vortheile verschafft, deren Gewährung von einem anderen Willen als dem seinigen abhängig ist. Die Verwaltungsverträge sind die eine grosse Kategorie der internationalen Verträge.
Der Staat kann aber zweitens mit einem anderen sich verbinden, um sich als Macht geltend zu machen, um seiner äusseren Staatszwecke willen, nicht um einzelne Angelegenheiten zu ordnen, sondern um seine Stellung dritten Mächten gegenüber zu behaupten, zu befestigen oder zu erweitern, oder auch um sich zu beschützen, zu bewahren und zu retten; endlich um sich im Innern zu kräftigen, um die Gesammtheit seiner Zwecke besser erfüllen zu können. Während es sich bei der ersten Gattung der Verträge immer um die Ausübung einer einzelnen Staatsfunction, um die Erzielung eines particulären Zweckes handelt, so ist bei der zweiten Gattung der Staat als Ganzes, seine Grösse, seine Kraft, oft selbst seine Existenz im Spiele. Wenn ein Staat durch Vertrag eine Provinz erwirbt oder abtritt, wenn er sich zur Bekämpfung eines Gegners mit einem Dritten verbindet, wenn er in einen Staatenbund eintritt, so ist durch solche Verträge der Staat in seiner Totalität ergriffen, seine politische Stellung, seine Kraft nach Aussen und Innen ist dadurch bedingt. Diese Verträge, zu welchen die Allianz-, Garantie-, Protections-, Neutralitäts-, Conföderationsverträge u. s. w. gehören, sind als politische Verträge zu bezeichnen und bilden die zweite grosse Kategorie der Staatenverträge.
Es gehört nun allerdings jeder Vertrag der ersten Kategorie in gewissem Sinne der zweiten an und umgekehrt, denn bei dem organischen Zusammenhänge aller Thätigkeiten des Staates wird jede That des Staates auf die Gesammtheit seiner Beziehungen von Einfluss sein können. Ein Handelsvertrag, der Eintritt in einen Zollverein kann die politische Stellung eines Staates wesentlich verändern, ein politischer Vertrag intensive Wirkungen auf die wirthschaftlichen und socialen Verhältnisse der Contrahenten haben. Aber in erster Linie handelt es sich dort doch um die Wahrung eines particulären Interesses, während hier, bei der Defensivallianz z.B., die ungestörte Erhaltung der staatlichen Existenz den Grund des Bündnisses bildet, also der Staat in seiner ganzen Sphäre an dem Vertrage betheiligt ist. Es kommt also auf den nächsten Zweck an, den der Staat durch Eingehung des Vertrages verfolgt, wenn es sich um dessen Einreihung in die eine oder die andere Classe handelt.
3. Was nun den zweiten Eintheilungsgrund, den Grad der durch den Staaten vertrag bewirkten Verbindung anbelangt, so hängt dieser in erster Linie davon ab, ob die Interessen der vertragschliessenden Theile, über welche pactirt wird, sich entgegenstehen oder ob sie zusammenfallen. Im ersten Falle werden die beiderseitigen Interessen durch Austausch von Leistung gegen Leistung befriedigt. Um selbst einen Vor- theil zu erlangen, gewährt ein Jeder dem anderen gewisse Vortheile. Solche Verträge sind z. B. Handels- und Zollverträge und die Vereinbarungen, durch welche dem Streit um bisher unvereinbare Interessen ein Ende gesetzt wird, die Friedensverträge. Diese Conventionen, welche eine Einigung entgegengesetzter Interessen, einen Austausch von Gütern und Leistungen zum Inhalte haben, die also wesentlich eine gegenseitige Ergänzung der Staaten bezwecken und recht eigentlich in einem Sich Vertragen bestehen, können füglich als Verträge im engeren Sinne bezeichnet werden. Das ist die eine Classe der nach dem Grade der Verbindung eingetheilten Verträge.
Wenn aber die Interessen, welche durch den Vertrag gewahrt werden sollen, zusammenfallen, wenn ein gemeinschaftliches Interesse vorliegt und demnach nicht Er- gänzungsbedürfniss, sondern Solidarität den Grund des Vertrages bildet, dann erlangt die Vereinbarung einen ganz anderen Charakter. Nicht Austausch, sondern Gemeinsamkeit wird da der Zweck sein, sei es im Handeln, sei es im Bewahren. Solche Verträge, was immer ihr Inhalt sein möge, ob die Feststellung gemeinsamen Maasses und Gewichtes, die Schöpfung eines gemeinsamen Postverwaltungsgebietes oder die Verstärkung der kriegerischen Kraft der Staaten gegen einen gemeinsamen Feind, haben den Zweck, coincidente Interessen zu wahren und zu fördern. Hier ist das Band von Staat zu Staat ein festeres und innigeres als im ersten Falle. Nicht sowohl ein Sich Vertragen, als vielmehr ein Sich Verbünden ist hier der Zweck der Vereinigung. Daher werden diese auf Gemeinsamkeit der Interessen beruhenden Verträge am besten Bündnisse genannt und in ihnen haben wir die zweite Classe der dem Grad der Verbindung nach eingetheilten Verträge.
Unter den Bündnissen sind wieder zwei Gattungen zu unterscheiden. Entweder ist die Ausführung des Bündnisses ausschliesslich den inhaltlich zwar übereinstimmenden, aber äusserlich völlig getrennt erscheinenden Willen der contra- hirenden Staaten überlassen, oder es wird durch den Vertrag zugleich ein Organ eingesetzt, in welchem der gemeinsame Wille als ein geeinigter zum Ausdrucke kommen soll. Die Schifffahrtscommissionen, die durch Jurisdictions-, Maass- und Postverträge eingesetzten internationalen Organe, die Organe ferner, durch welche sich im Staatenbunde die Willenseinigung der verbündeten Staaten in Beziehung auf die Ausführung der Bundeszwecke vollzieht, und denen die Ausübung der für gemeinsam erklärten Hoheitsrechte übertragen ist, weisen auf eine höhere, dauerndere, gesichertere Vereinigung hin, als die ohne ein entsprechendes internationales Organ. Die Bündnisse sind demnach in nichtorganisirte und organisirte zu scheiden.
6. Dass der Gegensatz zwischen den dem Grade der Verbindung nach bestimmten Classen der Verträge nicht blos ein systematischer, sondern auch von praktischer Bedeutung ist, leuchtet von selbst ein, denn was könnte die Stellung der Staaten zu einander schärfer scheiden, als Gegensatz oder Coincident der Interessen ? Aber auch der Gegensatz zwischen politischen und Verwaltungsvertragen zeigt -praktisch einen höchst wichtigen Unterschied. Es sind nämlich die politischen Interessen der Staaten, ihre Stellung als Mächte, dem steten Wechsel des historischen Geschehens unterworfen. Daher tragen politische Bündnisse und wären sie noch so eng, selten die Garantie langer Dauer in sich. Bei der steten Gefahr, dass selbst coincidirende politische Interessen der Staaten sich in collidirende verwandeln können, ist die Existenz eines politischen Bündnisses immer eine sehr prekäre. Die Geschichte hat gelehrt, dass selbst die Staatenbünde nicht im Stande waren, die bleibende Form für die historische oder nationale Zusammengehörigkeit von Staaten abzugeben. Kein politisches Bündniss ist vor dem Bruche oder der Auflösung sicher.
Ganz anders steht es mit den Interessen des ökonomischen, literarischen, des Rechtslebens, der Verkehrs Verbindungen, kurz des ganzen modernen materiellen und geistigen Verkehrslebens. Gewiss können auch hier scharfe Gegensätze in den Interessen der Staaten vorwalten, welche bestimmend auf ihre ganze Politik einwirken und sogar zum Kriege zu treiben vermögen. Da, wie bereits erwähnt, auch jeder Verwaltungsvertrag in Beziehung zu dem Gesammtleben des Staates steht, so ist nicht ausgeschlossen, dass er sich durch Verkettung von Umständen in einen rein politischen, d. h. auf die Machtstellung des Staates in hervorragender Weise Bezug habenden verwandelt und damit dem Schicksale der politischen Verträge verfällt. Aber die moderne Weltcultur hat gemeinsame Interessen aller civilisirten Völker sowohl, als auch einer grösseren oder geringeren Anzahl unter ihnen geschaffen, und diese gemeinsamen Interessen, welche auf der gemeinsamen Cultur beruhen und daher bleibend sind, gewähren eine sichere und dauernde Basis sowohl für Verträge, welche die ganze .Zeit ihres stipulirten Bestandes hindurch eingehalten werden, als auch für bleibende internationale Institutionen. Durch solche, nicht sowohl des einzelnen Volkes als vielmehr der civilisirten Menschheit Interessen wahrende Verträge wird das geschaffen, was L. v. Stein die internationale Verwaltung genannt hat6), eine Erscheinung, die wohl geeignet ist, die Aufmerksamkeit der Wissenschaft in hohem Grade, zu erregen. Insbesondere ist hier für die Lehre des Völkerrechtes, welche nur aus einer tief dringenden Auffassung des Staatslebens fruchtbare Anregung zu neuer Thätigkeit erlangen kann, ein genügender Anlass geboten, die alten Schablonen und ausgetretenen Pfade zu verlassen, um bisher wenig beachtete Gebiete zu bearbeiten 7), deren Bedeutung heute noch kaum zu ermessen ist.
Es ist nicht unwahrscheinlich, was v. Stein von dieser internationalen Verwaltung, welche „die Idee der Menschheit in der an sich selbstherrlichen Idee des Staates zur Geltung bringt“8), behauptet, dass man nach einem Jahrhundert kaum begreifen wird, wie die Träger der Cultur ohne eine internationale Verwaltungsorganisation haben leben können. Hier auf dem Gebiete der Verwaltung entwickelt sich in Folge der immer steigenden Solidarität der Staaten mit zwingender Kraft eine Organisation, welche nicht mehr auf dem Willen und der Kraft des Einzelstaates, sondern auf dem der Gemeinschaft beruht. Die internationalen Organe der Schifffahrts- , Post-, Telegraphen-, Meter Conventionen bezeichnen den Anfang eines neuen zwischenstaatlichen Lebens. Die immer zahlreicher werdenden internationalen Congresse, sei es staatlicher Delegirter, sei es Privater zum Zwecke der Berathung oder Anregung internationaler Massregeln, die internationalen Ausstellungen zeugen von der steigenden Bedeutung des weit über den Einzelstaat hinausragenden Cultur- lebens, welches, wie alles Leben, mit unwiderstehlicher, wenn auch langsam wirkender Gewalt, eine Organisation aus sich hervortreibt.
Dieser Process ist erst in den ersten Anfängen begriffen, und es lässt sich noch gar nicht bestimmen, welche Momente
6) Handbuch der Verwaltungslehre 2. Aufl.,. S. 55, 91—97, 723 ff. Vgl. auch v. Mohl, Die Pflege der int. Gemeinschaftbes. 8. 599 ff. ’) Nicht blos statistisch darzustellen, wie es Calvo, t. II. in immerhin danken swerther Weise gethan hat.
*) v. Stein 1. c. S. 55.
des Staatslebens in die neue Bewegung hineingezogen werden. Auf jeden Fall stehen wir am Beginne einer Epoche internationaler Verwaltungsbündnisse, welche dem Verkehrsleben der civilisirten Welt ein neues Gepräge aufdrückt. Wenn v. Stein auch darin zu weit geht, dass er für die Zukunft das Völkerrecht in das internationale Verwaltungsrecht aufgehen lässt9), so steht es doch äusser Zweifel, dass durch die Verwaltungsbündnisse die Bedeutung des Völkerrechtes als eines geltenden Rechtes unermesslich gehoben wird. Denn der ganze, nie gestillte Zweifel über den praktischen Werth des Völkerrechtes rührte immer von der Erwägung her, dass die Staaten in einem ewigen Gegensätze sich befinden und keine höhere Macht über ihnen vorhanden ist, um den Gegensatz gemäss der Rechtsnormen zu schlichten. In dem Ausspruche des athenischen Fremdlings in den platonischen Gesetzen, dass alle Staaten von Natur aus in einem ewigen Kriegszustände leben10), sind alle Argumente gegen die Existenz des Völkerrechtes vereinigt. Nun zeugen gerade die grossen Verwaltungsbündnisse von der Solidarität der Staaten, davon, dass sie auch in ihren gegenseitigen Beziehungen nicht nur Mächte, d. h. physisch wirkende Kräfte, sondern auch Ordnungen sind, durch welche sich die Entwickelung eines höheren, als des, wie alles Individuelle, einseitigen und beschränkten Einzelvolkes vollzieht, nämlich der Civilisation, deren Subject und Object nicht Staat und Volk, sondern die Menschheit ist.
Den unorganisirten Beziehungen von Staat zu Staat gegenüber hat die Leugnung des Völkerrechtes verhältniss- * mässig leichtes Spiel, weil sie hier auf zahllose Fälle ungesühnten Unrechtes hinweisen kann. Bei den organisirten Staatenverbindungen liegt aber die Sache ganz anders. Selbst der entschiedenste Gegner der juristischen Natur des Völkerrechtes hat es noch nicht gewagt, den Rechtscharakter eines Staatenbundes, z. B. des alten deutschen Bundes zu negiren.
•) 1. c. 8. 97. 10) Leges I, 2: „V yap xaXoüatv ot kÄsiotoi twv avO’ptLzwv tout’ elvat |x6vov ovopia, tö S’epytp zaaoa; 7up’o$ zaaa? ra; TtdXet? ael axiJpuxTov xara ^pdatv ftvai.“
Jene gemeinschaftlichen Organe der verbündeten Staaten sind, wie von allen Seiten zugegeben wird, auf rechtlichem Wege entstanden und haben genau umschriebene rechtliche Functionen. Wenn nun die Leugnung des Völkerrechtes vor dem Staatenbunde wegen dessen sichtbarer Organisation Halt machen muss, so ist es mit jeder organisirten Verbindung derselbe Fall. Die europäische Donaucommission, der Weltpostvertrag u. s. w. sind Erscheinungen, bei denen man mit der engherzigen Behauptung, dass flecht nur die von einem Staate an seine Unterthanen erlassenen, durch Zwang geschützten Imperative seien, einfach nicht mehr auskommt. Denn consequent müsste man das leugnen, was vorhanden ist, was sich täglich durch sein Dasein bewährt, da mit jenem engen Rechtsbegriffe solche Institute gar nicht denkbar sind. Oder will man derartige Organe etwa als Phänomene einer „Völkermoral“ hinstellen? So eröffnet sich uns denn von den organisirten Verwaltungsbündnissen aus eine grossartige Perspective in die Zukunft des Völkerrechtes, sowohl in Theorie als Praxis. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, sie näher zu verfolgen, und so mögen diese kurzen Andeutungen genügen.
7. Obwohl, wie erwähnt, jeder Staatenvertrag eine mehr oder minder breite, eine engere oder losere Verbindung der contrahirenden Staaten hervorruft, so sind nicht alle Classen von Verträgen hier eingehender zu untersuchen. Es sind vielmehr hauptsächlich diepolitischenßündnisse, welche den Gegenstand der Lehre von den Sfaatenverbindungen bilden, indem in erster Linie jene Verbindungen darunter verstanden werden, in denen die Staaten als Mächte sich vereinigen. Von den Verwaltungsvertrügen sind es nur jene, welche die ganze Stellung der paciscirenden Staaten unmittelbar ergreifen und daher zugleich eminent politischer Natur sind, ferner die organisirten Verwaltungsbündnisse, die internationalen Verwaltungsvereine, mit denen wir uns eingehender beschäftigen werden, mit den letzteren sowohl wegen des innigeren Grades der Verbindung, den sie hervorrufen, als auch zum Zwecke der klaren Erkenntniss der rechtlichen Stellung internationaler Organe, die von grosser Bedeutung für die richtige Einsicht in das Wesen der organisirten politischen Bündnisse ist.
Von den Verwaltungsvertragen sind daher im Folgenden speciell jene hervorzuheben, welche meistens nur die Etiquette für einen politischen Vertrag bilden, also jene der neuesten Geschichtsepoche angehörenden Verträge, durch welche ein Staat die Verwaltung eines anderen Staates oder einer fremden Provinz ganz oder doch zum grössten Theil übernimmt, wodurch ein factischer Uebergang der Herrschaft über letztere, sei es für immer, sei es auf gewisse Zeit, bedingt ist. Unter den politischen Bündnissen sind zuvörderst alle nichtorganisirten Vereinigungen zu gemeinsamem Handeln zu besprechen, die Allianzen, die Protections- und Garantieverträge, ferner diejenigen, in welchen ein Staat den anderen ein dauerndes passives Verhalten bei jedem Conflicte zwischen Dritten verspricht, die Neutralisirung auf ewige Zeit. In der Lehre von den organisirten Staatenverbindungen wird späterhin zuerst den internationalen Verwaltungsvereinen und der rechtlichen Natur ihrer gemeinsamen Organe und sodann den Formen der organisirten politischen Verbindungen unsere Aufmerksamkeit zu widmen sein.
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