I. Vertrag
Der Vertrag ist eine allgemeine, durch die Willenstibereinstimmung Mehrer bedingte Form der Entstehung, der Abänderung und der Aufhebung von Rechtsverhältnissen. Seine Funktion als Entstehungsgrund von Rechtsverhältnissen ist es, die wir hier vorerst in das Auge fassen.
die wir hier vorerst in das Auge fassen. Im Gebiet des Privatrechtes war es ein lange und weit verbreiteter Irrthum, dass der Gattungsbegriff des Vertrages mit einer einzelnen Anwendung desselben, mit dem obligatorischen Vertrage identisch sei und dass mithin aus dem vertragsmässigen Gntstehungsgrunde auf die obligatorische Natur des entstandenen Rechtsverhältnisses geschlossen werden dürfe. Der Irrthum schloss sich an die Wahrnehmung an, dass die durch den Vertrag begründeten verschiedenartigen. Rechtsverhältnisse vielfach durch einen obligatorischen Vertrag vorbereitet oder von einem solchen begleitet werden oder dass der Vertrag zunächst allerdings ein lediglich obligatorisches Rechtsverhältniss begründet, dessen Erfüllung erst das durch den Vertrag beabsichtigte verschiedenartige Rechtsverhältniss erzeugt. Es ist jetzt allgemein für das Privatrecht anerkannt, dass durch den Vertrag wie obligatorische Rechtsverhältnisse, ebenso dingliche Rechte, dass durch ihn die Ehe -und Verhältnisse des Familienrechtes entstehn können. Er ist nicht minder der Entstehungsgrund für privatrechtliche Korporationen dann, wenn es der freie, übereinstimmende Wille der Betheiligten ist, welcher die Organe für eine von der Willensübereinstimmung der Einzelnen verschiedene Willensbildung und die Bedingungen der Rechtsverbindlichkeit derselben für die Mitglieder feststellt. Es ist eine weitere Frage, ob der durch den Vertrag geschaffenen Korporation unter den vom Gesetze vorgezeichneten Voraussetzungen ohne Weiteres auch Wirksamkeit gegen Dritte beigemessen wird oder ob diese einen Spezialakt des Staates zur Voraussetzung hat.
Der Vertrag greift über das Gebiet des Privatrechtes hinaus.
Er kann den juristischen Entstehungsgrund für die dem Staate nachgeordneten, öffentlich-rechtlichen Korporationen und für den Staat selbst abgeben. Er bildet nicht den Rechtfertigungsgrund und nicht den einzig möglichen Entstehungsgrund derselben; ja die sittliche und natürliche Nothwendigkeif des Staates und der meisten Korporationen des öffentlichen Rechtes lässt nur unter besondern Voraussetzungen einen juristischen Entstehungsgrund überhaupt und speziell den des Vertrages wirksam werden. Aber dass er es sein kann, beweist die Gründung des ersten Neu-England-Staates am Bord der Mayflower, die deutsche Kolonisation weiter Landstriche durch gewillkürte Gemeinden, die Bildung inanig- facher kirchlicher Korporationen; das ist zweifellos für alle Diejenigen, welche die Staatsnatur des Bundesstaates anerkennen. Aber allerdings die innern Rechtsverhältnisse des Staates selbst sind regelmässig und ihrer Natur nach dem Bereiche des Vertrages entzogen. Denn der Begriff des Vertrages selber sagt es aus, dass es die Uebereinstimmung mehrer, an sich selbständiger Willen ist, der die Kraft beigelegt wird, das obwaltende Verhältniss rechtlich zu bestimmen. Die Gleichberechtigung der Vertragschliessenden gegen einander ist damit vorausgesetzt. Der Staat aber als das umfassendste Herrschaftsverhältniss ist berufen einseitig durch seinen Willen die dem Bereiche seiner Herrschaft anheimfallenden Verhältnisse zu ordnen und zu bestimmen. Er steht als solcher und abgesebn von seiner privatrechtlichen Seite als Fiskus niemals als ein Gleichberechtigter Gleichberechtigten gegenüber. Im Verhältniss des Staates zu den Unterthanen werden und können der Vertrag, als Entstehungsgrund, und vertragsmässige, den obligatorischen des Privatrechtes analoge Rechtsverhältnisse nur da hervortreten, wo der Staat die rechtliche Stellung, das subjektivTÖffentliche Recht des Unterthanen als ein seiner Herrschaft überhaupt oder doch seinen einseitigen Beliebungen entzogenes Recht kraft einer besondern und anomalen Rechtsbildung anerkannt hat33
33 Z. B. Verträge des Staates mit öffentlichen Korporationen und Stan- desherrn über ihre Stellung und Wirksamkeit im Staate. Paktirte Verfassungen erzeugten vertragsmässiges Recht zur Zeit des Feudalstaates, dessen anomale Struktur es war, die verschiedenartigsten öffentlichen Rechte den wohlerworbenen Rechten des Privatrechtes gleichzustellen. Im modernen A. Haenel. Studien. I.
Der Vertrag gewinnt die nämliche umfassende Bedeutung,, wie im Privatrechte, in der allgemeinen Ordnung des Völkerrechtes , in welcher sich die einzelnen Staaten als gleichberechtigte Suveränetäten gegenüberstehn. Aber es ist der nämliche Irrthum, wie im Privatrechte, wenn man die durch völkerrechtliche Verträge begründeten Rechtsverhältnisse lediglich betrachtet als vertragsmässige d. h. als den obligatorischen des Privatrechtes analoge Rechtsverhältnisse, welche sich nur dadurch unterscheiden, dass hier ein vermögensrecht- lichös dort ein politisches Interesse obwaltet. Der äusserste Punkt wird gebildet durch die rechtliche Möglichkeit, dass durch den völkerrechtlichen Vertrag der eine Staat dem andern einverleibt und damit ein lediglich staatsrechtliches Herr- schaftsverhältniss begründet wird. Auf der entgegengesetzten Seite, aber noch ausserhalb eines nur vertragsmässigen Verhältnisses steht es, wenn ein einzelnes Hoheitsrecht von Seiten des einen Staates nicht nur zur Ausübung, sondern zu eigenem Rechte an den andern Staat vertragsmässig abgetreten wird, wie dies bei sog. Staatsservituten der Fall sein kann. Dazwischen liegen durch Vertrag begründete Herrschaftsver- hältnisse, welche seit J. J. Moser für den verpflichteten Staat als Halbsuveränetät bezeichnet werden. Dazwischen liegt endlich die rechtliche Möglichkeit, dass sich mehre Staaten durch Vertrag zu einem korporativen Verbände vereinigen, der ein Verhältniss derUeber- und Unterordnung zwischen der Gesammtheit und den einzelnen Gliederstaaten begründet. — An der Funktion des Vertrages, Entstehungsgrund verschiedenartiger Rechtsverhältnisse zu sein, kann man noch eine andere und besondere Seite unterscheiden unter dem Gesichtspunkte, dass er zugleich für das zu begründende Rechtsverhältniss die Normen schafft, nach welchen sich die
Staate, wo die Rechtsverbindlichkeit auch der paktirten Verfassung der Sanktion des Monarchen entstammt, bedeutet die Paktirung nicht mehr als die rechtlich anerkannte Mitwirkung der zur Vertretung öffentlicher Interessen und Rechte Berufenen an der Willensbildung des Staates, in der Form der Zustimmung zu einer Gesetzes Vorlage.
Rechte und Pflichten der daran Betheiligten auseinandersetzen.
Diese Seite tritt da zurück, wo das durch den Vertrag begründete Rechtsverhältniss seine Normirung ausschliesslich empfängt durch das objektive Recht, wie im Privatrecht das Eigenthum, die Ehe, die väterliche Gewalt. Sie tritt selbst zurück in solchen obligatorischen Rechtsverhältnissen, welche sich Zug um Zug oder in einzelnen konkreten Handlungen erfüllen. Sie tritt hervor, wenn das obligatorische Rechtsverhältniss, wie in den verschiedenen Formen der Vergesellschaftung, auf ein dauerndes Verhalten der Betheiligten ange- * legt ist, dergestalt, dass sich dasselbe nicht in einer bestimmten, übersehbaren Reihe von Handlungen erschöpft, sondern Bestimmungen bedarf, welche die, Regelung einer unbestimmten Reihe von Handlungen und der nur möglichen Einwirkung verschiedenartiger Thatumstände zum Gegenstände haben. Hier liegt die Parallele zwischen Vertragsbestimmungen einerseits und Statuten und Gesetzen andererseits nahe. Hier setzt die Meinung ein, dass beide sich nicht ihrer innern Natur naöh, sondern durch ihren äussern Entstehungsgrund unterscheiden, kurz dass Vertragsbestimmungen überall die durch Vertrag entstandenen, statutarische und gesetzliche Bestimmungen die durch Statut und Gesetz entstandenen Normen sind. Auch diese Meinung beruht auf einem Irrthum.
Man mag unter einem gewissen Gesichtspunkte behaupten, dass selbst Vertragsbestimmungen durch Gesetz entstehen. Wir unterscheiden auf dem Gebiete des Privatrechtes absolute und dispositive Gesetze. Wir bezeichnen mit den letztem diejenigen gesetzlichen Vorschriften, die das der Regelung durch Privatwillkttr überlassene und /lurch die erstem abgegrenzte Gebiet der Lebensverhältnisse betreffen. Die Absicht des dispositiven Gesetzes ist es lediglich, die Privatdisposi- tionen da, wo sie fehlen, zu ergänzen, wo sie unzureichend und dunkel sind, zu erläutern und zwaribeides nicht al£ eine , diePrivatwillkttr beherrschende Norm, vielmehr im Sinne und im Interesse der Privatdispositionen. Fussend auf der Thatsache, dass die überall gleiche Natur des Menschen und seiner Beziehungen zur Aussenwelt gewisse Grundrichtungen in seinen rechtlichen Willensbestimmungen erzeugt, stellt das dispositive Gesetz — wenn wir von den einseitigen Rechtsgeschäften hier absehen — typische Vertragsbestimmungen auf, deren Aneignung durch die Privatwillkür der Vertragschliessenden im Zweifel vorausgesetzt wird. Wir würden daher die Bestimmungen der dispositiven Gesetze in jedem konkreten Anwendungsfalle als durch Gesetz entstandene Vertragsbestimmungen bezeichnen können, wenn nicht bei denselben gleichzeitig ein Moment der Ordnung im öffentlichen Interesse obwaltete, welches in der vorausgesetzten Absicht der Privatwillkür nicht vollkommen aufgeht und die vermittelnde Bezeichnung der dispositiven gesetzlichen Bestimmungen rechtfertigt.
Auf der andern Seite steht es, wenn durch den Vertrag der Betheiligten eine juristische Person entsteht36. Geschieht dies, alsdann gewinnen die vertragsmässigen Bestimmungen, welche als solche nur für die einzelnen Vertragschliessenden Bindekraft besitzen, Bedeutung für eine von ihnen verschiedene Rechtspersönlichkeit. Diese Rechtspersönlichkeit gewinnt rechtliche Wirksamkeit gegenüber ihren Mitgliedern und gegenüber Dritten nur dadurch, dass sie die Vertragsbestimmungen als ihre eigenen und von ihr selbst gewollten Willensbestimmungen anerkennt und dieselben zur Richtschnur ihres selbständigen Wollens und Handelns nach Innen und Aussen nimmt. Die *sogenannten Grundverträge gelangen damit zu einer von den vertragsmässigen Beliebungen verschiedenen und deren rechtliche Wirkungskraft überragenden Geltung. Die „Grundverträge“ sind mit dem in das Leben Treten der juristischen Person Statuten oder Gesetze; Statuten — seien es einfache oder Verfassungsstatuten —, wenn die
Juristische Person ist hier überall genommen als Gattungsbegriff für die privatrechtlichen, für die dem Staate nachgeordneten öffentlich – rechtlichen Korporationen, für den Staat selbst und für die auf dem Boden des Völkerrechtes erwachsenden Korporationen — im Gegensatz zu den Stiftungen.
Rechteverbindlichkeit derselben auf der Ermächtigung oder Anerkennung einer der juristischen Person übergeordneten Rechtsordnung beruht, Gesetze — einfache oder Verfassungsgesetze—, wenn die Rechteverbindlichkeit derselben ihre Gewähr in den eigenen Rechts- und Machtmitteln der juristischen Person gewinnt37
Das tritt am Klarsten dann hervor, wenn die vertragsmässig festgestellten Bestimmungen als Statuten oder Gesetze sich vollkommen loslösen von den Willensbestimmungen der Kontrahenten, dergestalt dass die juristische Person nicht nur das Recht der Beschlüsse innerhalb dieser Normen, sondern auch das Recht gewinnt, die Grundstatuten und Verfassungsgesetze durch ihre eigenen Organe und in einer von der vertragsmässigen Einigung ihrer Mitglieder unabhängigen Willensbildung fortzuentwickeln, zu ändern und aufzuheben. Aber es bleibt die Natur der Statuten und Gesetze auch dann unverändert, wenn dieselben als unwandelbare Abgrenzung gegen die jura singulorym der Mitglieder gewollt sind, deren Schutz und Einhaltung sich die Einzelnen als solche vielleicht über
37 Hiermit ist die Frage keineswegs entschieden, ob die Statuten der dem Staate nachgeordneten juristischen Personen nur die Ordnung eines einzelnen, wenn auch komplizirten und aus einer Reihe untergeordneter Rechtsverhältnisse zusammengesetzten, Rechtsverhältnisses enthalten oder ob sie auch Rechtssätze erzeugen können, — kurz ob die Autonomie im Staate neben Gewohnheitsrecht und Gesetzgebung eine Rechtsquelle ist. Unter allen Umständen kann eine wahre Autonomie für die dem Staate nachgeordneten juristischen Personen nur auf staatsseitiger Ermächtigung oder Anerkennung beruhen. Ob sie ertheilt sei oder nicht, ist eine durchaus konkrete Frage, bei der es freilich zweifellos ist, dass da, wo öffentlichen Korporationen das Recht zusteht, ihr Steuersystem oder die Angelegenheiten der örtlichen Polizei statutarisch zu ordnen, von einer blossen Ordnung einzelner Rechtsverhältnisse keine Rede sein kann, sondern nur von der Aufstellung von Rechtssätzen, uuter denen sich einzelne Rechtsverhältnisse entwickeln. Unter allen Umständen ferner kommt den rechtlichen Bestimmungen der reichsständischen Familien über ihre Familien- und Vermögensverhältnisse der Charakter der Statuten nur dann zu, wenn sie als juristische Personen auerkannt sind. Auch die s. g. Statuten der Stiftungen tragen einen ganz andern rechtlichen Charakter an sich.
dies vertragsmässig zugesichert haben, dergestalt dass in dieser Gestaltung eine Veränderung jener Normen nur im Wege des Vertrages der Betheiligten erfolgen kann.
Die rechtliche Entstehungsform deckt hiernach nicht den Unterschied zwischen Vertragsbestimmungen einerseits und Statuten und Gesetzen andererseits. Beide sind ihrer innern Natur nach verschieden und die Verschiedenheit der Entstehungsform ist auf diese ohne Einfluss.
Statut und Gesetz sind die von einer Gesammtheit als solcher gewollten Normen, sie sind Gemein willen. Ihre Rechtsverbindlichkeit ist bedingt durch die Existenz und durch den Umfang eines Herrschaftsverhältnisses, welches rechtliche Anerkennung gefunden hat — Herrschaftsverhältniss genommen in dem Sinne jedes Verhältnisses der Ueber- und Unterordnung, der organischen Gliederung zu einer Gesammtheit. Vertragsbestimmungen dagegen sind Normen, welche von mehreren einzelnen Personen als solchen, zwar übereinstimmend aber in ihrer rechtlichen Gleichstellung gegen einander gewollt sind. Ihre Rechtsverbindlichkeit kann sich nur auf solche Lebensverhältnisse erstrecken, in welchen dem individuellen Wollen der einzelnen Personen als solcher rechtliche Wirksamkeit beigemessen wird™.
Nach dem Allen ist ein Schluss von dem vertragsmässigen Entstehungsgrund auf die vertragsmässige (obligatorische) Natur des begründeten Rechtsverhältnisses selbst und der dasselbe bestimmenden Normen nicht statthaft. Die innere Natur derselben wird hiervon unabhängig und selbständig durch die hervortretenden begrifflichen Merkmale bestimmt. Eine Vertragsfreiheit der Parteien, welche die wesentlichen Merkmale eines von einem vertragsmässigen verschiedenartigen Rechtsverhältnisses und einer von der Vertragsbestimmung verschiedenartigen Norm wollen und dieselbe doch als vertragsmässige
38 Das sind unorganische Lebensverhältnisse oder einzelne durch das positive Recht individualisirte Beziehungen in einem organischen Lebensverhältnisse.
betrachten lassen könnte, ist in jeder Rechtsordnung sei es des Privatrechtes oder des Völkerrechtes ein Unding.
Die Frage nach der vertragsmässigen Natur der Reichsverfassung und des dadurch begründeten rechtlichen Gesammt- verhältnisses kann daher nicht durch die Vorfrage gelöst werden, ob ihr rechtlicher* Entstehungsgrund Vertrag sei oder ein Anderes, sondern nur durch die Erkennung der wesentlichen Merkmale, welche dem begründeten politischen Gemeinwesen zukommen» Und hieran denn knüpft sich die weitere Vorfrage nach dem Wesen des Bundesstaates.
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