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Die älteste und einzig natürliche Form aller Gesellschaften ist die 
Familie; obgleich die Kinder nur solange mit dem Vater verbunden bleiben, 
wie sie seiner zu ihrer Erhaltung bedürfen. Sobald dieses Bedürfnis aufhört, 
löst sich das natürliche Band. Von dem Gehorsam befreit, den die Kinder 
dem Vater schuldig sind, und der Sorgfalt überhoben, zu der der Vater den 
Kindern gegenüber verpflichtet ist, kehren alle in gleicher Weise zur 
Unabhängigkeit zurück. Bleiben sie weiter in Verbindung, so ist das kein 
natürlicher Zustand mehr, sondern ein freiwilliges Übereinkommen; die 
Familie an sich hat nur durch Übereinkunft Bestand. 
Diese gemeinsame Freiheit ist eine Folge der Natur des Menschen. Sein 
erstes Gesetz muß es sein, über seine eigene Erhaltung zu wachen; seine 
Hauptsorgen sind die, die er sich selbst schuldig ist, und sobald er zu dem 
Alter der Vernunft gekommen, ist er allein Richter über die zu seiner 
Erhaltung geeigneten Mittel und wird dadurch sein eigener Herr. 
Demnach ist die Familie, wenn man will, das erste Muster der politischen 
Gesellschaften. Der Herrscher ist das Abbild des Vaters, das Volk ist das 
Abbild der Kinder, und da alle gleich und frei geboren sind, veräußern sie 
ihre Freiheit nur um ihres Nutzens willen. Der ganze Unterschied besteht 
darin, daß in der Familie die Vaterliebe die Sorgenlast vergilt, die ihm die 
Kinder auferlegen, während im Staate die Lust zu befehlen die Liebe 
ersetzt, die der Herrscher für sein Volk nicht empfindet. 
Grotius leugnet, daß jede menschliche Macht zugunsten der Regierten 
eingesetzt sei: zum Beweise beruft er sich auf die Sklaverei. In seiner 
bekannten Schlußweise begründet er das Recht auf das tatsächliche Gelten desselben.
desselben.[Fußnote: »Die gelehrten Untersuchungen über das öffentliche
Recht sind oft nichts anderes als die Geschichte alter Mißbräuche, und man 
füllt sich damit den Kopf ohne Grund an, wenn man sie allzu eifrig 
studiert.« (Traité des intérets de la France avec ses voisins, par M. le 
marquis d'Argenson, imprimé chez Rey à Amsterdam.) Gerade das hat 
Grotius getan.] Man würde wohl eine folgerichtigere Lehre aufstellen 
können, aber keine, die den Gewaltherrschern günstiger wäre.Nach Grotius ist es demnach zweifelhaft, ob das Menschengeschlecht 
etwa hundert einzelnen Menschen als Eigentum gehört, oder ob diese 
hundert dem Menschengeschlechte angehören, und in seinem ganzen Werke
scheint er sich zu der ersten Ansicht hinzuneigen. Dies ist auch die 
Meinung von Hobbes. So ist also das menschliche Geschlecht wie Vieh in 
Herden abgeteilt, deren jede ihren Herrn hat, der sie beschützt, um sie zu 
verschlingen. 
Wie ein Hirt von einer höheren Natur ist als seine Herde, so sind auch die 
Hirten der Menschen, ihre Herren, von einer höheren Natur als ihre Völker.
So schloß, wie Philo berichtet, der Kaiser Caligula, indem er nach dieser 
Analogie ziemlich richtig folgerte, daß die Könige Götter oder die Völker 
Tiere wären. 
Diese Schlußfolgerung Caligulas stimmt mit den von Hobbes und 
Grotius aufgestellten Lehren vollkommen überein. Schon vor ihnen allen 
hatte Aristoteles ebenfalls behauptet, daß die Menschen von Natur 
keineswegs gleich wären, sondern die einen zur Sklaverei und die anderen 
zur Herrschaft geboren würden. 
Aristoteles hatte recht, aber er hielt die Wirkung für die Ursache. Jeder in 
der Sklaverei geborene Mensch wird für die Sklaverei geboren; nichts ist 
gewisser. Die Sklaven verlieren in ihren Fesseln alles, sogar den Wunsch, 
sie abzuwerfen, sie lieben ihre Knechtschaft, wie die Gefährten des 
Odysseus ihren tierischen Zustand nach ihrer Verwandlung liebten. Wenn es 
also Sklaven von Natur gibt, so liegt der Grund darin, daß es schon vorher 
Sklaven wider die Natur gegeben hat. Die Gewalt hat die ersten Sklaven 
gemacht; ihre Feigheit hat sie beständig erhalten. 
Ich habe nichts vom Könige Adam noch vom Kaiser Noah, dem Vater 
der drei großen Monarchen gesagt, die gleich den Kindern des Saturn, die 
man in ihnen hat wiedererkennen wollen, die Welt unter sich teilten. Ich 
hoffe, daß man mir für dieses Maßhalten dankbar sein wird; denn da ich 
von einem dieser Fürsten und vielleicht von dem ältesten Zweige in gerader 
Linie abstamme, so kann ich ja nicht wissen, ob ich mich nicht durch den 
Nachweis der Richtigkeit meiner Rechtsansprüche als das rechtmäßige 
Oberhaupt des menschlichen Geschlechtes enthüllen würde? Wie dem auch 
sein möge, so kann man doch nicht leugnen, daß Adam Beherrscher der 
Welt gewesen ist, wie Robinson Beherrscher seiner Insel, solange er ihr 
einziger Bewohner war, und das Angenehmste bei dieser Herrschaft lagdarin, daß der Monarch auf seinem Throne sicher war und weder Aufstand, 
noch Kriege, noch Empörer zu fürchten hatte.