Völkerrechtliche Anerkennung von Staaten und Regierungen
I. Anerkennung von Staaten
1. Begriff
Bei der völkerrechtlichen Anerkennung von Staaten handelt es sich um eine Willenserklärung eines Staates, einen anderen Herrschaftsverband als "Staat" im Sinne des Völkerrechts anzuerkennen. Die Anerkennung stellt eine einseitige Willenserklärung dar. Die Entscheidung, ob ein Staat einen anderen Staat als Völkerrechtssubjekt anerkennen will, liegt grundsätzlich im freien Ermessen eines jeden Staates.
2. Voraussetzungen
Die Anerkennung eines Staates setzt voraus, dass dieser tatsächlich die Eigenschaften eines Staates im Sinne des Völkerrechts aufweist. Gemäss der herrschenden Drei-Elementen-Lehre bedarf es hierfür eines Staatsgebiets, eines Staatsvolks und einer Staatsgewalt (d.h. einer gegen aussen und innen effektiven und unabhängigen Regierung als Ausdruck der staatlichen Souveränität). Massgebend für die Beurteilung der Staatenqualität sind einzig die tatsächlichen Umstände ("Effektivitätsprinzip"). Neben den drei erwähnten Elementen kann ein Staat oder eine internationale Organisation weitere Bedingungen setzen, zum Beispiel die Einhaltung der UN-Charta oder der Menschenrechte. Erfolgt eine Staatenanerkennung, bevor sämtliche Voraussetzungen hierfür vorhanden sind (vorzeitige Anerkennung), ist diese völkerrechtswidrig und bleibt ohne Rechtswirkungen. Der Staat, der eine vorzeitige Anerkennung vornimmt, verstösst gegen das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates (Art. 2 Ziffer 4 der Charta der Vereinten Nationen).
3. Form der Anerkennung
Die Anerkennung kann sowohl ausdrücklich als auch implizit bzw. konkludent (stillschweigend) erfolgen. In der Staatenpraxis erfolgt eine Anerkennung in der Regel mittels einer ausdrücklichen Anerkennungserklärung, z.B. gegenüber der Regierung des neuen Staates. Es wird zudem zwischen der De-iure-Anerkennung und der De-facto-Anerkennung unterschieden. Wird ein Staat de iure anerkannt heisst dies, dass alle völkerrechtlichen Voraussetzungen für die endgültige und vollständige Anerkennung erfüllt sind. Die De-facto-Anerkennung hat im Vergleich eine viel geringere Bindungswirkung, da es sich in diesem Fall um ein effektiv vorhandenes, aber nur vorläufiges Rechtsverhältnis handelt. Eine vorläufige De-facto-Anerkennung aus politischen Gründen kann ohne weiteres in eine De-iure-Anerkennung umgewandelt werden, wenn alle geforderten rechtlichen Voraussetzungen vorliegen.
4. Bedeutung
Die Staatenanerkennung ist in der Völkerrechtspraxis vor allem dann von Bedeutung, wenn das Bestehen eines (neuen) Staates völkerrechtlich zweifelhaft ist, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Abspaltung eines Gebietsteils (Sezession) oder dem Untergang beziehungsweise Auseinanderbrechen eines bestehenden Staates (Zergliederung). Die Staatenanerkennung hat nach Abschluss der Entkolonialisierung wohl an Bedeutung eingebüsst, wurde aber in den 90er-Jahren wieder aktuell, als auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zahlreiche neue Staaten entstanden sind. Heute zählt man 192 Staaten, welche als völkerrechtlich anerkannt gelten.
5. Rechtswirkungen
Gemäss heutiger Staatenpraxis hat die Staatenanerkennung nur deklaratorischen (das heisst erklärenden) Charakter, nicht konstitutiven (das heisst grundlegenden, bestimmenden). Der Staat entsteht, sobald er die objektiven Voraussetzungen, insbesondere die drei beschriebenen Elemente der Staatenqualität, erfüllt. Mit der Anerkennung erklärt ein Staat zusätzlich, dass nach seinem eigenen Dafürhalten das nun anerkannte Land als "Staat" im Sinne des Völkerrechts und damit auch als Völkerrechtssubjekt zu betrachten ist. In der Rechtstheorie wird zwar weiterhin die Frage diskutiert, ob es nicht doch einzig der Anerkennungsakt ist, der die Staatseigenschaft begründet (konstitutive Wirkung der Anerkennung). In der Praxis ist aber die Existenz eines Staates vom Vorliegen einer derartigen Anerkennung unabhängig. Massgebend ist einzig, ob im konkreten Fall die völkerrechtliche Staatseigenschaft (Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt) tatsächlich vorliegt oder nicht. Allerdings kann realistisch gesehen ein Gebilde nicht als Staat funktionieren, wenn es nicht zumindest von einer gewissen Zahl von Staaten als solcher anerkannt wird. So fehlt zum Beispiel der türkischen Republik Zypern, die nur von der Türkei als Staat anerkannt ist, die Staatlichkeit. In der jüngeren Staatenpraxis wird die Anerkennung oft von der Erfüllung gewisser Bedingungen abhängig gemacht, zum Beispiel die Einhaltung der UNO-Charta oder die Achtung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten. Aus völkerrechtlicher Sicht handelt es sich dabei aber nicht um Kriterien für eine Anerkennung, sondern um Bedingungen politischer Natur, welche hinsichtlich der Aufnahme zwischenstaatlicher Beziehungen formuliert werden.
6. Praxis der Schweiz
Die Schweizer Anerkennungspraxis ist im Wesentlichen geprägt durch die Prinzipien der Universalität (Grundsatz, wonach die Schweiz im Rahmen des Möglichen mit sämtlichen Staaten internationale Beziehungen unterhält) und der Effektivität (Erfordernis der tatsächlichen Souveränität des zu anerkennenden Staates). In ihrer Praxis stützt sich die Schweiz konsequent auf die Drei-Elementen-Lehre (vgl. dazu oben Ziffer 1.b.). Zu Gunsten der internationalen Rechtssicherheit verzichtet die Schweiz grundsätzlich auf zusätzliche Anerkennungsbedingungen. Sie behält sich aber das Recht vor, im Rahmen ihrer Entscheidfindung über die Anerkennung eines Staates weitere Elemente in Betracht zu ziehen, namentlich das Verhalten der internationalen Staatengemeinschaft oder einer für die Schweiz relevanten Staatengruppe.
II. Anerkennung von Regierungen
1. Im Allgemeinen
Bei der Anerkennung einer Regierung spricht ein Staat einer Personengruppe die Kompetenz zu, als Organ des fraglichen Staates zu handeln und diesen völkerrechtlich zu repräsentieren Einzige völkerrechtliche Voraussetzung für die Anerkennung einer Regierung ist deren effektive Ausübung der Hoheitsgewalt (vor allem Kontrolle über einen substanziellen Teil des Territoriums, Beherrschung des Verwaltungsapparates). Sonderfälle ergeben sich dann, wenn eine rechtmässige Regierung die Herrschaftsgewalt über den Staat teilweise oder ganz verliert und allenfalls ins Ausland flüchtet (Exilregierung). In der Praxis wird dabei teilweise die bisherige Regierung als rechtmässige Regierung (De-iure-Regierung) weiterhin anerkannt, auch wenn sie die effektive Kontrolle über den Staat (zumindest temporär) verloren hat und diese Kontrolle vor Ort durch eine andere, neue Regierung (De-facto-Regierung) ausgeübt wird. Wenn ein Staat mit einer neuen Regierung übliche diplomatische Beziehungen unterhält, nimmt er dadurch einzig zur Frage der Effektivität der neuen Regierung Stellung, nicht aber zur Rechtmässigkeit derselben. Eine besondere Doktrin besagt, dass eine durch Staatsstreich oder Revolution an die Macht gelangte Regierung solange nicht rechtmässig oder anzuerkennen sei, bevor nicht eine demokratische Bestätigung (zum Beispiel durch Volksabstimmung) erfolge.
2. Praxis der Schweiz
Die Schweiz anerkennt in ihrer Praxis seit Ende des Zweiten Weltkriegs grundsätzlich nur Staaten, nicht aber Regierungen. Erfolgt in einem Land ein Regierungswechsel, lehnt die Schweiz jede explizite Anerkennung einer neuen Regierung grundsätzlich ab und beschränkt sich in der Regel darauf, die Beziehungen zum betreffenden Land und damit mit der neuen Regierung ohne Unterbruch fortzuführen. Die Schweiz verfolgt somit eine Praxis, welche sich primär nach dem Effektivitätsprinzip richtet.
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