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Beiträge zu einer vergleichenden Soziologie der Polizei Auzug 91 – 106

Auzug Anfang Seite : 91

Mathias Graßmann

Die Polizei in der Bundesrepublik Deutschland Begriffsbestimmung und Entwicklungslinien 1945 bis 1990

Thomas Hobbes1 konstruierte in seinem Werk .Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates’1 2 die These, dass nur der gewaltmonopolisierende Staat in der Lage ist, den Zustand des Bürgerkriegs eines jeden gegen jeden zu verhindern.

Die Kräfte werden dem Staat übertragen, dort gebündelt und monopolisiert, um Gefahren bzw. innere und äußere Feinde abzuwehren. Gleichzeitig müssen die in Gesetzesform fixierten sozialen Normen durchgesetzt werden.

Das gesamte staatliche Gewaltmonopol – wozu neben Militär und Polizei der Strafvollzug gehört – soll jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Vielmehr soll anhand der folgenden Ausführungen das Augenmerk auf das exekutive Staatsorgan Polizei gelenkt werden, welches hauptsächlich damit beschäftigt ist, die Legitimität des Staates und seines Gewaltmonopols aufrechtzuerhalten und den Menschen Sicherheit zu bieten.3

Im Folgenden soll grundlegendes Wissen über die bundesdeutsche Polizei dargelegt werden, beginnend mit der Frage, was Polizei eigentlich ist bzw. bedeutet und wie sich der Polizeibegriff über die Jahre evolviert hat. Anschließend sollen die historischen Wurzeln näher betrachtet werden. Den Schwerpunkt dieser Arbeit bilden die Entwicklungsprozesse der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis 1990

Hobbes legt dem Ausgangspunkt seiner Argumentation ein pessimistisches Menschenbild zu Grunde.
2 Im Original erstmals 1651 erschienen. Hobbes ist unter anderem eine der Begründungsfiguren des staatlichen Gewaltmonopols.
3 Ich möchte an dieser Stelle nicht die andere staatliche Institution – das Militär – unterschlagen, doch muss kurz der Unterschied zwischen militärischen und polizeilichen Exekutoren betrachtet werden. Durch das Militär vertritt der Staat seine Interessen gegenüber anderen Staaten bzw. schützt ihn nach außen. Durch die Polizei sorgt der Staat vordergründig für die Herstellung und Wahrung der öffentlichen Ordnung sowie die Verfolgung von Straftätern. Die Trennung von Militär und Polizei ist jedoch in der Realität nicht immer klar trennbar (Vgl. Winter 1998: 43-44).

Der Polizeibegriff in Deutschland

Das Polizei-Lexikon definiert Polizei als ein „in Behörden und Verbänden institutionalisierter Teil der staatlichen Exekutive, deren Aufgabe es ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung und das staatliche Gewaltmonopol aufrechtzuerhalten“ (Rupprecht 1986: 307). Die Aufgaben, die die Polizei im Rechtsstaat übernimmt, sind „gesetzlich definiert; ihre Durchsetzung beruht auf legaler Grundlage“ (Winter 1998:43).

Der Begriff Polizei stammt aus der griechischen Sprache und Geschichte, namentlich polis (griech. Burg) sowie der hieraus abgeleiteten sprachlichen Wurzel politeia (griech. Verfassung, Staat). Das griechische Wort politeia findet später im lateinischen Wort politia seine analoge Bedeutung. Im römischen Staat sollte mit dem lateinischen Begriff politia die allgemeine Verwaltung gegenüber der kirchlichen (geistlichen) Verwaltung herausgestellt werden. Bis zum Ende des Mittelalters wurde in dieser erweiterten Bedeutung das Wort Polizey ebenso in Deutschland verwendet (Vgl. Rupprecht 1986: 307 und Berg / Hein, 1989: 12). „Es bezeichnet die Uraufgabe des Staates, durch Gewährleistung von (guter) Ordnung und Sicherheit eine ausreichende Lebensgrundlage für seine Bürger zu schaffen (vgl. Nürnberger Verordnung 1492, Würzburger Verordnung 1476)“ (Berg / Hein 1989: 12).

Im weiteren zeitlichen Verlauf kann Polizei als Ergebnis zweier historischer Aufgliederungsprozesse verstanden werden. Zum einen kam es zu einer Spezialisierung, bei der die Polizei eine strukturell selbständige Ordnungsbehörde innerhalb des staatlichen Apparates wurde und zum anderen entkoppelte sich die Polizei vom Militärischen. Im 15. und 16. Jahrhundert wurde mit dem Begriff Polizei weniger eine bürokratische Organisation, sondern eher ein Zustand der allgemeinen Sicherheit und Wohlfahrt charakterisiert, der viele Lebensbereiche berührte. Bis zum 18. Jahrhundert, zu Zeiten des Absolutismus, stand der Begriff Polizei de facto für die .Gewalt‘ im Staatsinneren, eine viele staatliche Aufgaben betreffende Allzuständigkeit und wurde auf diese Weise juristisches Machtmittel der absolutistischen Herrschaft. Der Differenzierungsverlauf zu einer autonomen staatlichen Einrichtung wird an zwei markanten Stationen sichtbar (Vgl. Winter: 45f.).

Der erste Schritt vollzog sich im Verlauf des verfassungsgebenden 19. Jahrhunderts. Durch die „Trennung der Wohlfahrtspolizei von der Sicherheitspolizei“ und „einhergehend mit der Aufgabendifferenzierung fand eine erste Institutionalisierung einer bürokratisch organisierten Polizei […] statt“ (Winter 1998: 46). Im Jahr 1882, in Folge des ausschlaggebenden und richtungsweisenden Kreuzberg-Urteils4 des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, kam es zu einer Zuständigkeitsbeschränkung der Polizei. Zukünftig sollte die Wohlfahrtspolizei dem Allgemeinwohl dienen und die Sicherheitspolizei in einem weiteren Sinne die öffentliche Sicherheit – insbesondere den Staatsschutz – garantieren. Das entscheidende an dem Urteil war die Tatsache einer gerichtlichen und nicht politischen Weichestellung. „Die Ergebnisse der Rechtssprechung […] fanden schließlich im Preußischen Polizeiverwaltungsgesetz vom 1.6.1931 ihren Niederschlag“ (Boldt 1992: 21). Dieses richtungsgebende Gesetz verengte den Polizeibegriff und begrenzte die Aufgaben der Polizei signifikant auf die Verteidigung und den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Vgl. Winter 1998: 47). „Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird.“5

Der zweite differenzierende Schritt, der auch als Gegenwirkung bezüglich der Polizeientwicklung im zur Zeit des Nationalsozialismus gesehen werden kann, bestand in der „Entpolizeilichung“ (Winter 1998: 47). In institutioneller Hinsicht bildete das Ende des Zweiten Weltkriegs einen Einschnitt in der Polizeistruktur, da die im Nationalsozialistischen System bestehenden Sicherheits- und Polizeibehörden abgeschafft wurden (Vgl. Lange 2003: 12). Durch die nationalsozialistische Machtergreifung im Jahre 1933 kam es zu einem schnellen Abbau rechtsstaatlicher Strukturen und demzufolge zur Zentralisierung, bei der die Polizei mit der SS (der Parteipolizei bzw. Schutzstaffel der NSDAP) zusammengeschlossen wurde. Hinzu trat die im nationalsozialistischen Sinne gelegene Ideologisierung des Polizeirechts (Vgl. Boldt 1992: 25). Nach Noethen bildete die Polizei zu nationalsozialistischen Zeiten eine Stütze des Staates. Alle Dienstzweige der Polizei waren an den Verbrechen des Regimes beteiligt und unterstanden dem Kommando des Reichsführers – SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler (Vgl. Lange 2003: 78). Hervorgerufen durch die Kenntnisse des Machtmissbrauchs der Polizei durch das nationalsozialistische Regime trieben die Alliierten nach 1945 die Entpolizeili- chung6 voran.

4 In dem Kreuzberg-Urteil wurde eine Polizeiverordnung für ungültig erklärt. Diese Verordnung begrenzte eine Straße höhenmäßig bezüglich einer Bebauung. Die Intention der Begrenzung wurde seitens der Polizei mit einer freien Sicht auf das Siegerdenkmal auf dem Berliner Kreuzberg begründet, die durch eine zu hohe Bebauung der Straße nicht mehr gewährleistet werden könnte. Das Preußische Oberverwaltungsgericht sprach der Polizei für solche Maßnahmen die Kompetenz ab (Vgl. Knemeyer, 1993: 4).
5 Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz vom 1.6.1931 (§ 14 I), Zitat siehe Boldt, 1992:21

Es ist also deutlich erkennbar, dass die Entstehung und Entwicklung der Polizei historisch bedingt und gewachsen ist und immer auch abhängig vom Wandel der Staaten, ihrer Struktur und Verfassungen war. Die Geschichte der Polizei „kennt daher keinen eindeutigen Polizeibegriff.“ (Boldt 1992: 2).

Gegenwärtig wird Polizei begrifflich hauptsächlich im funktionellen (materiellen) und im institutionellen (formellen) Sinne unterschieden. Kennzeichnend für den funktionellen Polizeibegriff ist der Auftrag der Gefahrenabwehr, dementsprechend also „alle Funktionen der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, ihre Wiederherstellung und die Ermittlung von Verstößen gegen sie.“ (Rupprecht 1986: 307). Der institutionelle Polizeibegriff betrifft die Organisation und fasst alle Behörden und Verbände zusammen, die solche Aufgaben wahmehmen. Damit umfasst er die „Summe aller Aufgaben, die von den institutionell als Polizei bestimmten Verwaltungsbehörden wahrgenommen werden, unabhängig davon, ob diese präventiver oder repressiver Natur sind.“ (Knemeyer 1993:14).

Anschließend an diese theoretischen Grundlagen zum Polizeibegriff und seiner Evolution wird das Hauptaugenmerk auf die EntwicklungsProzesse der bundesrepublikanischen Polizei nach 1945 gelegt Dabei werden diese in Phasen eingeteilt. Gleichwohl muss angemerkt werden, dass die folgend beschriebenen Phasen angesichts der unterschiedlichen Literaturvorgaben und der fließenden Übergänge schwierig zu ziehen sind. Aus diesem Grund dienen die Jahresangaben hauptsächlich als Orientierung

6 Entpolizeilichung meint die Abkopplung anderer Ordnungsbehörden von der Institution Polizei, die nach 1945 durch die Alliierten in der westlichen Besatzungszone vorangetrieben wurde (Winter, 1998: 48). Desweiteren meint der Begriff, den organisatorischen Neuaufbau der Polizei und die Beschränkung ihrer Befugnisse. Die Maßnahmen standen unter dem Ziel, das deutsche Polizeiwesen zu entnazifizieren, zu demokratisieren, zu entmilitarisieren und zu dezentralisieren (Knemeyer, 1993: 6). Siehe auch Lange, 2003: 78 und Boldt, 1992: 27.

Entwicklungslinien der bundesrepublikanischen Polizei von 1945 bis 1990

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging die gesamte staatliche Gewalt, so auch die Hoheit über die Polizei, auf die alliierten Besatzungsmächte über. Sämtliche Aufgaben wurden zunächst von der alliierten Militärpolizei und so genannten deutschen Hilfspolizisten übernommen. Hervorgerufen durch eine wachsende Nachkriegskriminalität wurde eine rasche Aufstellung und Ausbildung deutscher Polizeieinheiten erforderlich, wozu bereits im Mai 1945 eine Polizeischule7 in Hiltrup bei Münster von den britischen Alliierten installiert wurde (Vgl. Boldt 1992: 27). Ein entscheidendes und spezielles Konzept zur Umstrukturierung und Reform der Polizei seitens der Alliierten fehlte indes. Nur bezüglich der Beseitigung der Elemente des Nationalsozialismus und Militarismus herrschte Einigkeit Zu diesen Maßnahmen zählte erstens der Wegfall der militärisch geregelten und kasernierten Polizeieinheiten samt einhergehender Bewaffnungsreduzierung (Entmilitarisierung), zweitens der Ausschluss aller einstigen Angehörigen der NSDAP (Entnazifizierung) und drittens der Erzeugung einer Länderhoheit über das Polizeiwesen (Dezentralisierung, Demokratisierung) (Vgl. Boldt 1992: 27 und Lange 2003: 78). Abgesehen von diesen Grundsätzen verfuhren die alliierten Besatzungsmächte in ihrer jeweiligen Besatzungszone bezüglich der Polizeipolitik nach eigenen Vorstellungen (Lange 2003: 78). Ohne detailliert auf die einzelnen Entwicklungen in den vier Besatzungszonen einzugehen, lässt sich folgendes Resümee postulieren: „Mit rund 78.000 Mann in den Westzonen […], und ca. 60.000 Mann in der sowjetischen Besatzungszone […] hatte die Polizei in Deutschland zwar schon Ende 1946 wieder eine respektable Stärke erreicht, doch war ihre Organisation uneinheitlicher als je zuvor.“ (Boldt 1992: 29)

7 Aus der 1945 gegründeten Polizeischule Hiltrup ging 1973 die Polizeiliche Führungsakademie Hiltrup hervor (Vgl. Boldt, 1992: 27).

Die Polizei in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1960 – Restaurationsphase

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und Inkrafttreten des Grundgesetzes ergab sich wesentlicher Raum für die autonome Gestaltung des Staates und damit auch der Polizei seitens der deutschen Politik6. Diese ersten Schritte manifestierten sich im Grundgesetz, welches im Bereich der Polizei die generelle Gesetzgebungskompetenz nicht beim Bund vorsah (Vgl. Boldt 1992: 30). Bis heute sind nur einzelne polizeiliche Bereiche beim Bund grundrechtlich fixiert. Dazu zählen „die Freizügigkeit, das Passwesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung“ (Artikel 73 Absatz 3 GG) sowie im Bedarfsfall die Ordnung des „Vereins- und Versammlungsrechtes“ (Artikel 74 Absatz 3 GG) (Hesselberger 2001: 273 – 274). Durch den Artikel 73 Absatz 10 GG wurde der Bund ermächtigt, seine Gesetzgebungsgewalt auf „die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in der Kriminalpolizei, zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung […] (Verfassungsschutz) […] sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechungs- bekämpfung“ (Ebd.: 274) zu erstrecken. Folglich regelte der Artikel 87 Absatz 1 GG, dass „durch Bundesgesetz […] Bundesgrenzschutzbehörden, Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen, für die Kriminalpolizei und zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes […], eingerichtet werden“ (Ebd.: 296) können. Letztendlich ermächtigt der Artikel 91 Absatz 1 GG, dass „zur Abwehr einer drohenden Gefahr […] ein Land Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen und des Bundesgrenzschutzes anfordern“ (Hesselberger 2001: 305) kann. „Ist das Land, in dem die Gefahr droht nicht zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage, so kann die Bundesregierung die Polizei in diesem Lande und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes einsetzen. […]“ (Artikel 91 Absatz 2 GG) (Ebd.: 305).

8 Es muss berücksichtigt werden, dass gerade in Polizeiangelegenheiten die Be- atzungsmächte auch nach 1949 über Richtlinienkompetenzen verfügten und diese auch in Anspruch nahmen (Vgl. Boldt, 1992: 30).

Mit dem Polizeibrief vom 14. April 19499 besaß der verfassungsgebende Parlamentarische Rat keinen großen Spielraum und die Gesetzgebungshoheit des Bundes bezüglich der Zuständigkeit in Polizeiangelegenheiten wurde von Beginn an eingeschränkt und beeinflusst (vgl. Boldt 1992: 30f.). Den vorgegebenen Bestimmungen im Polizeibrieffolgend hoben die Militärgouverneure den Artikel 91 Absatz 2 in dem Genehmigungsschreiben zum Grundgesetz vom 12. September 194910 11 auf. Damit wollten sie eine auch nur temporäre Subordination der Landespolizei unter der Befehlsgewalt der Bundesregierung verhindern. Ein Umdenken fand im Jahre 1950 statt, denn im Zuge des Koreakrieges sowie der Zuspitzung des Kalten Krieges kam es zu einer veränderten Haltung von Seiten der Alliierten Sie zeigten sich nun bereitwilliger, den deutschen Forderungen im Hinblick auf die Organisation der Polizei nachzugeben. Das Entgegenkommen der Alliierten bezüglich einer autonomeren deutschen Polizeipolitik und das Inkrafttreten des 1949 suspendierten Artikel 91 Absatz 2 ermöglichte der Bundesregierung eine Reorganisation der Polizei mit militärisch organisierten Polizeieinheiten.11 Hervorgerufen durch diese Entwicklungen wird die Polizei in den 50er Jahren auch mit dem Wort Restauration etikettiert. Dennoch blieb die bundesrepublikanische Polizeipolitik weiter uneinheitlich (Vgl. Boldt 1992: 31).

Die Länder installierten nach dem Muster der Weimarer Republik militärisch organisierte und kasernierte Bereitschaftspolizeien, die bereits in den 50er Jahren eine Truppenstärke von 15.000 Mann umfassten. Allgemein kam es in dieser Zeit zu einer beachtlichen quantitativen Zunahme der Polizeikräfte, bei der sich die Landespolizei inzwischen in diverse Dienstzweige (Schutzpolizei, Wasserschutzpolizei, Bereitschaftspolizei und Kriminalpolizei) gliederte. 1955 betrug die Zahl an Polizeibeamten inklusive der neuen Bundespolizei mittlerweile fast 150.000 Mann (Vergleich 1950: 112.000 Mann). In den 50er und 60er Jahren wurden nach und nach in allen Ländern Polizeigesetze erlassen. Der Bund errichtete mit Gesetz vom 8. März 1951 ein Bundeskriminalamt und nahm damit sein im Grundgesetz fixiertes Recht wahr, eigene Polizeieinheiten aufzustellen (Vgl. ebd.: 32). „Als eine Art Ersatz für die im Grundgesetz nicht vorhergesehene Bundesbereitschaftspolizei ist ebenfalls 1951 der Bundesgrenzschutz aufgestellt worden […].“ (Boldt 1992: 33).

9 siehe Anhang 1
10 siehe Anhang 2
11 Es wurden zu dieser Zeit vornehmlich Bewerber im Alter von 18-24 Jahren rekrutiert, die über eine ausreichende Allgemeinbildung verfügten (Vgl. Winter, 2003: 129).

Die 60er Jahre begannen sehr ruhig und deshalb muss man diese Phase in zwei Etappen untergliedern, nämlich der Periode bis 1961 und den Zeitraum der Jahre 1962 bis 1967, in dem „sich die Vorboten der politischen Unruhen“ (Winter 1998: 186) ankündigten. Zu diesen Vorläufern zählten die so genannten Schwabinger Krawalle12 vom Juni 1962 und die Spiegel Affäre13 im Oktober 1962. Beide Ereignisse sorgten für Entrüstung in der Bevölkerung und es kam besonders im Rahmen der Spiegel Affäre zu Massenkundgebungen. Neben einem Anwachsen der Kriminalität stellten diese Proteste der Jugendlichen und Bürger für die Polizei eine Herausforderung dar (Vgl. Boldt 1992:33). „Diese Ereignisse bedeuteten insofern einen Einschnitt in die Entwicklung der Polizeiorganisation, als dass moderne Planungstechniken und Effektivitätsüberlegungen in die Polizei transportiert wurden.“ (Lange 2003: 129). Beherrschte Anfang der 60er Jahre die Debatte um den Kombattantenstatus14 die Polizei (Schwerpunkt 1961 – 1963), nahm diese gegen Ende 1963 schnell ab. Besonders durch die Jugendkrawalle von Schwabing rückte die Polizei in den Fokus der Öffentlichkeit und Medien. Es kam zu heftiger Kritik und einer Anzeigenflut gegen die Unverhältnismäßigkeit und Brutalität seitens der Polizei. Die öffentliche Kritik veranlasste eine kontroverse Diskussion zwischen Traditionalisten und Reformern innerhalb der Organisation über den Umgang mit diesen neuartigen Erscheinungen (Vgl. Winter 1998: 186f.). Ergebnis waren erste Ansätze einer Reform und die damit verbundene Vorstellung, „dass man mit modernen Planungstechniken die Effektivität und das demokratische Potential des Staates und damit auch der Polizei steigern könnte.“ (Boldt 1992: 33). Nach Winter sind besonders die Erkenntnisse von Schwabing für den polizeilichen Lernprozess von entscheidender Bedeutung, denn das Beispiel Schwabing zeigt, „dass die polizeilichen Lernprozesse auf konkreten Einsatzerfahrungen basieren, also immer reaktiv sind.“ (Winter 1998: 187).

12 „Vom 21. bis zum 25. Juni 1962, begehrte die Münchner Jugend auf – lange vor dem Höhepunkt der APO in den Jahren um 1968. Nacht für Nacht gingen tausende Jugendliche auf die Straßen. Der Auslöser der so genannten „Schwabinger Krawalle“ war nichtig: ein Polizeieinsatz gegen fünf Straßenmusikanten, die mit Gitarren auf der Leopoldstraße spielten.“ Quelle: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/386547.
13 „Am 26. Oktober 1962 durchsucht die Polizei auf Anordnung der Bundesanwaltschaft in einer nächtlichen Aktion die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ in Hamburg und Bonn. Mehrere leitende Redakteure werden wegen Verdacht auf Landesverrat festgenommen. Der Herausgeber Rudolf Augstein stellt sich zwei Tage später selbst der Polizei. In Spanien wird der stellvertretende Chefredakteur und Militärexperte des Blattes, Conrad Ahlers, an seinem Urlaubsort verhaftet. Anlass der Polizeiaktion ist ein Artikel über das NATO-Manöver „Fallex 62“. In ihm berichtet der „Spiegel“ über atomare Planungen der Bundeswehr.“ Quelle: http://www.dhm.de/lemo/html/DasGeteilteDeutschland/DieZuspitzungDesKalten Krieges/UnzufriedeneRepublik/spiegelAffaere.html.

Die Polizei in der Bundesrepublik Deutschland von 1967 bis 1979 – Umbruch- und Reformphase

Gegen Ende der Restauration (1949 – 1968)15 kam es in Deutschland zu vermehrten studentischen Demonstrationen und Bürgerprotesten, welche einen vermehrten Polizeieinsatz zur Folge hatten. Nach den Ereignissen von Schwabing rückte die Polizei gegen Ende der 60er Jahre erneut in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Bei einer Demonstration gegen den Besuch des iranischen Schahs in Westberlin am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg durch eine Polizeikugel getötet.16 Durch dieses Ereignis änderte sich der Diskussionsstil innerhalb der Polizei und es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den Traditionalisten und den Reformern bezüglich Einsatz- und Polizeiphilosophie. Die Dynamik der Geschehnisse führte auf Seiten der Reformer zu einem allmählichen Dominanzzuwachs. Für die weitere Entwicklung der Polizei bedeuteten das Jahr 1968, der starke Protest und die Revolte der Studenten sowie die Auseinandersetzung mit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) eine der größten Zäsuren der vergangenen 30 Jahre. Die Diskussion innerhalb und um die Polizei erreichte den Höhepunkt, da ein weiterer Image- und Legitimationsverlust durch die öffentliche Kritik an den zum Teil brutalen Polizeimethoden nicht akzeptabel waren (vgl. Winter 1998: 189). Die zur Debatte stehenden Fragen drehten sich zum einen um das Verhalten der Polizei bei Protesten und wie mit diesen umgegangen werden soll, zum anderen wurde in diesem Zusammenhang die Frage nach der Rolle der Polizei im demokratischen Staatswesen aufgeworfen (Vgl. Boldt 1992: 34). Im Hinblick auf Ausbildung, Einsatz und Organisation kam es gegen Ende der 60er Jahre dementsprechend zu Reformen und Änderungen. Im ersten Schritt änderte sich das polizeiinteme Bildungsniveau. Befanden sich 1960 vornehmlich Hauptschüler in der Polizeiorganisation, so waren es 1970 zum größten Teil Realschüler (siehe Tabelle 1).

14 Die Debatte drehte sich um die Frage, ob die Polizei den Streitkräften zugeordnet werden kann. Besitzt sie also einen militärischen oder zivilen Charakter und ist damit eine militärische Einrichtung oder Teil einer inneren, zivilen Verwaltung (Vgl. Winter, 1998, 186).
15 Nach Boldt bildet die Zeitspanne zwischen 1949 -1968 die so genannte Restaurationsphase der deutschen Polizei (Vgl. Lisken/Denninger, 1992: 30-31).
16 „Für die Entwicklung der Studentenbewegung besitzt dieses Datum eine hohe Bedeutung: Der 2. Juni 1967 markiert den Sprung vom lokalen Protest zur bundesweiten Revolte“ (Winter, 1998: 189).

Polizeiinternes Bildungsniveau nach Schulabschluss 1960/1970





Der sich Ende der 60er Jahre allmählich entwickelnde Terrorismus und neue Typen des organisierten Verbrechens führten 1969 zu einem Sofortprogramm17 der sozialliberalen Regierung. Gleichzeitig war es der Versuch „Bundesgrenzschutz und Bundeskriminalamt zu stärken und den Schwerpunkt der polizeilichen Tätigkeit auf die Verhütung von Verbrechen als der ureigenen polizeilichen Aufgabe zu verlagern.“ (Boldt 1992: 34).

17 „Sofortprogramm zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung“ (Boldt, 1992: 34).

Mit der Änderung des Grundgesetzes (Artikel 35 Absatz 2) im Jahre 1972 wurde die Rechtsgrundlage geschaffen, dass der Bundesgrenzschutz von einem Land angefordert werden kann, um die Polizei bei der „Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ (Hesselberger 2001: 224) zu unterstützen. Durch diese Veränderung rückten Länderpolizeien und Bundesgrenzschutz enger zusammen. Auf einer Innenministerkonferenz (IMK) im Jahre 1972 entwickelten Bund und Länder ein „Programm für die Innere Sicherheit“ (Winter 1998: 193)18, welches 1974 eine Modifikation erhielt. Dieses Programm bzw. diese Reform betraf die „Organisationsstruktur, Polizeirecht, Ausbildung, Ausstattung, Personal, Aufgaben und Befugnisse der Polizei.“ (Winter 1998: 193). Hinsichtlich eines mittlerweile hohen Personalbedarfs schuf das Ausbildungsgesetz von 1976 die Grundlage für eine Übernahme von BGS Beamten in die Länderpolizeien (Vgl. Lange 2003: 130). Alle beschriebenen Faktoren dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich um „keine Reform der Inhalte“ (Winter 1998: 194) handelte und bei alldem die Hoheit der Länder über die Polizei bestehen blieb (Vgl. Boldt 1992: 35). Der Image- und Legitimitätsverlust, den die Polizei Ende der 60er Jahre erlitten hatte, wandelte sich in den Jahren 1974 – 1978. In dieser Zeit überlagerte die Terrorismusbekämpfung alle anderen polizeilichen Einsatzgebiete und als Institution zum Schutze der staatlichen Ordnung erfuhr die Polizei in der deutschen Bevölkerung eine neue Legitimation und Akzeptanz (Vgl. Winter 1998: 195). „Dank dem systemäußeren Feind – den Terroristen – ist die Polizei nach innen geeint.“ (ebd.)

Die Polizei in der Bundesrepublik Deutschland von 1980 bis 1990 – Differenzierungsphase

Die Folge der beschriebenen Situation war eine beachtliche Aufstockung der Polizeikräfte in den 70er Jahren. Demnach lag die Zahl der Polizeibeamten zu Beginn der 80er Jahre bei über 200.000 Mann. Gegenüber 1960 hatte sich ebenfalls die Landespolizei verdoppelt und auch die Zahl der Krimalbeamten im Bundeskriminalamt19 (BKA) stieg auf 1.500 Mann (Vergleich 1960: 500 Mann). Fundamentale Innovationen in Hinsicht auf Einsatz und Organisation erfuhr die Polizei durch die Einführung moderner Technik, wie z.B. der elektronischen Datenverarbeitung. Durch Ausnutzung dieser Möglichkeiten wurde das BKA zu einer der ersten Adressen der Verbrechensbekämpfung in Bund und Ländern und erhielt sogar eine zentrale Leitstelle (Vgl. Boldt 1992: 35).

18 siehe auch Boldt (1992): „Sicherheitsprogramm für Organisation und Einsatz der Polizei

Mitte der 80er Jahre und dem 1985 gefällten Brokdorf-Urteil20 des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) machte sich ein Wandel im Demokratie- und Polizei Verständnis bemerkbar. Dieser ging mit einem allmählichen Generationswechsel in der polizeilichen Führungsschicht einher. Durch das Brokdorf-Urteil des BVerfG ist das Demonstrationsrecht nun polizeilich geschützt (vgl. Winter 1992: 197f.) und damit die Polizei zur Versammlungsfreundlichkeit verpflichtet (Vgl. Lange 2003: 130). „Das Urteil stärkte die positive Einschätzung des Demonstrationsrechtes, indem es dessen demokratische Funktion hervorhob.“ (Winter 1998: 199).
Dessen ungeachtet geriet die Polizei Mitte der 80er Jahre noch einmal in den Brennpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, hervorgerufen durch die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrationsgruppen der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Polizei. Den Höhepunkt bildeten die Proteste um die Baustelle der Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf (Pfingstkrawalle 1986) und die Juni-Proteste in Wackersdorf, Brokdorf und Hamburg. Besonders die Demonstration in Hamburg und die Verwendung der neuen polizeitaktischen Maßnahme der Einschließung (Hamburger Kessel)21 sorgten für Unmut und Entrüstung in der öffentlichen Bewertung. Somit bildeten das Brokdorf-Urteil des BVerfG und die polizeilichen Maßnahmen rund um die Anti-Atomkraft-Proteste die Katalysatoren einer abermaligen Diskussion um die Polizeiphilosophie (Vgl. Winter 1998: 197). Durch diese Diskussion verstärkte sich ab Mitte der 80er Jahre die Tendenz, „das polizeiliche Selbstverständnis weniger etatistisch22, als vielmehr republikanisch, das heißt am Gedanken der Volkssouveränität (gemäß Artikel 20 II GG) auszurichten.“ (Winter 1998: 202).

19 Das Bundeskriminalamt erfuhr (neben den Verfassungsschutzämtern) durch das „Programm für die Innere Sicherheit“ der Innenministerkonferenz aus dem Jahre 1972 einen erheblichen Ausbau (Vgl. Boldt, 1992: 34-35).
20 Das Brokdorf-Urteil aus dem Jahr 1985 bezog sich auf ein „Verbot einer Demonstration gegen das Atomkraftwerk in Brokdorf im Jahr 1981. In dem Beschluss bestätigt das Gericht den hohen verfassungsrechtlichen Stellenwert der Versammlungsfreiheit. Demgemäß fordert es von den Behörden ein versammlungsfreundliches Verfahren“ (Winter, 1998: 197).
21 Am 8. Juni 1986 wurden 781 Teilnehmer einer Anti-Atomkraft-Demonstration auf dem Hamburger Heiligengeistfeld von der Polizei taktisch eingeschlossen

Resümee

An dieser Stelle soll noch einmal auf Hobbes und die Einleitung dieser Arbeit Bezug genommen werden. Auch wenn die Macht, innere und äußere Feinde abzuwehren (staatliches Gewaltmonopol), durch den Vertragsschluss dem Staat übertragen, dort gebündelt und monopolisiert werden, ist die legitimatorische Grundlage polizeilichen Handelns die Verfassung. Die hier fixierten Grundrechte sind durch die Polizei zu schützen, denn „Demokratie ist keine polizeilich geregelte Veranstaltung mit dem Bürger als Staatsteilnehmer.“ (Winter 1998: 202). Nach Kniesei soll die Polizei als Bürgerpolizei verstanden werden, sich damit gegenüber der herkömmlichen etatistischen Polizeiphilosophie abgrenzen und auf diese Weise ein neues Selbstverständnis repräsentieren: „Wegen dieser Garantenstellung kann die Polizei nicht in etatistischer Sicht als bloßer Bewahrer des status quo, als Niederhaltungsinstrument, als Wegputzer politischen Protests, qualifiziert werden. Insoweit ist sie keine .Staatspolizei, sondern eine Bürgerpolizei, als sie der Minderheit […] die Chance garantieren muss, Mehrheit werden zu können, solange sie sich im Rahmen der Verfassung hält:“ (ebd.).
Die Entwicklunglinien der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland und dementsprechend auch die Evolution des Polizeibegriffs über lange historische Zeiträume hinweg, kann und muss als Bestandteil des kulturellen Repertoirs einer Gesellschaft angesehen werden. Die Diskussion um und in der Polizei stand immer in Beziehung zu historischen Ereignissen und war häufig reaktionär. Sehr selten wurde von Seiten der Polizei antizipiert und die zahlreichen Debatten um ihr Selbstverständnis waren wiederholt eine Folge von Polizeieinsätzen und -maßnahmen anlässlich von Demonstrationen, Protesten und deren öffentlicher Wahrnehmung und Diskussion. Dadurch ist die Entwicklung und das Selbstverständnis der Polizei von chronischen Iden- titäts- und Legitimitätsproblemen begleitet und Einsatzphilosophie und Polizeiphilosophie zeitversetzt miteinander verbunden. Bis heute kämpft die Polizei mit ihrem Selbstverständnis und hat Schwierigkeiten mit der Antizipation und Beurteilung ihrer Einsatzphilosophie.
Rafael Behr, Polizeisoziologe in Hamburg (http://www.rafael-behr.de) begann seinen Artikel zum Thema Polizeiliche Selbstverständnisse aus dem Jahr 2000 mit der provozierenden These:
„Eine Organisation, die heute als Kommunikationspartner für Bürgerinteressen auftritt, morgen aber wieder einen Castor-Transport durch Deutschland peitscht, hat ein Problem mit ihrem Selbstverständnis.“ (Lange 2003:178).

(Schlagwort: Hamburger Kessel). Einige der Demonstranten mussten bis zu 12 Stunden im Kessel verharren. Am 30 Oktober 1986 hat das Hamburger Verwaltungsgericht in seinem Urteil die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme festgestellt (Vgl. Winter, 1998:197).
22 Etatismus (etatistisch) hier: Betonung des Staatinteresses.

Anhang
Anhang 1: Schreiben der Militärgouverneure zum Grundgesetz („Polizei-Brief‘) vom 14. April 1949


Wie wir Ihnen in unserem Aide Memoire vom 22. November 1948 mitgeteilt haben, sollen die Befugnisse der Bundesregierung auf dem Gebiet der Polizei auf die von den Militärgouverneuren während der Zeit der Besatzung ausdrücklich genehmigten und nach diesem Zeitpunkt auf die durch internationale Vereinbarung bestimmten Befugnisse beschränkt sein.
Die Militärgouverneure sind nun, wie folgt übereingekommen:
1. Der Bundesregierung st es gestattet, unverzüglich Bundesorgane zur Verfolgung von Gesetzesübertretungen und Bundespolizeibehörden auf folgenden Gebieten zu errichten:
a) Überwachung des Personen- und Güterverkehrs bei der Überschreitung der Bundesgrenzen;
b) Sammlung und Verbreitung von polizeilichen Auskünften und Statistiken;
c) Koordinierung bei der Untersuchung von Verletzungen der Bundesgesetze und die Erfüllung internationaler Verpflichtungen hinsichtlich der Rauschgiftkontrolle, des internationalen Reiseverkehrs und von Staatsverträgen über Verbrechensverfolgung.
2. Der Bundesregierung wird es ebenfalls gestattet, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnis haben.
3. Die Befugnisse, Zuständigkeit und Aufgaben jedes zu errichtenden Bundesorgans zur Verfolgung von Gesetzesübertretungen oder jeder Bundespolizeibehörde sind durch ein der Ablehnung durch die Militärgouverneure unterliegendes Bundesgesetz zu bestimmen. Keine Bundespolizeibehörde darf Befehlsgewalt über Landes- oder Ortspolizeibehörden besitzen.
4. Jede Bundespolizeibehörde unterliegt, insbesondere hinsichtlich ihrer Kopfstärke, Bestimmungen, soweit sie anwendbar sind, die die Militärgouverneure auf Grund der von den Besatzungsbehörden nach dem Besatzungsstatut vorbehaltenen Befugnisse erlassen.
5. Falls der Parlamentarische Rat oder die Bundesregierung Bundesorgane zur Verfolgung von Gesetzesübertretungen oder Bundespolizeibehörden auf anderen gebieten in Vorschlag bringen sollte, so sind, vorbehaltlich der Bestimmungen in den Absätzen 3 und 4, Vorschläge dieser Art den Militärgouverneuren zur Genehmigung vorzulegen
gez.
Lucius D. Clay
General US-Army
Militärgouverneur
Amerikanische Zone​
gez.
B. H. Robertson
General
Militärgouverneur
Britische Zone​
gez.
Pierre Koenig
General der Armee
Militärgouverneur
Französische Zone​
Quelle: http://www.verfassungen.de/de/de49/grundgesetz- schreiben49-3.htm.

Anhang 2: Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure der britischen, französischen und amerikanischen Besatzungszone zum Grundgesetz
vom 12. Mai 1949
Herrn Dr. Konrad Adenauer
Präsident des Parlamentarischen Rates
Bonn

Sehr geehrter Herr Dr. Adenauer!
1. Das am 8. Mai vom Parlamentarischen Rat angenommene Grundgesetz hat unsere sorgfältige und interessierte Aufmerksamkeit gefunden. Nach unserer Auffassung verbindet es in glücklicher Weise deutsche demokratische Überlieferung mit den Prinzipien einer repräsentativen Regierung und einer Rechtsordnung, die die Welt als für das Leben eines freien Volkes unerläßlich betrachtet.
2. Indem wir die Verfassung genehmigen, damit sie gemäß Artikel 144 (1) dem deutschen Volke zur Ratifizierung unterbreitet werde, nehmen wir an, dass Sie verstehen werden, dass wir verschiedene Vorbehalte machen müssen. Zum ersten unterliegen die Befugnisse, die dem Bund durch das Grundgesetz übertragen werden, sowie die von den Ländern und den örtlichen Verwaltungskörperschaften ausgeübten Befugnisse den Bestimmungen des Besatzungsstatutes, das wir Ihnen schon übermittelt haben und das mit dem heutigen Datum verkündet wird.
3. Zweitens versteht es sich, dass die Polizeibefugnisse, wie sie in Artikel 91(2) enthalten sind, nicht ausgeübt werden dürfen, bis sie von den Besatzungsbehörden ausdrücklich gebilligt sind. In gleicher Weise sollen die übrigen Polizeifunktionen des Bundes im Einklang mit dem in dieser Frage an Sie gerichteten Schreiben vom 14. 4. 49 ausgeübt werden.
4. Ein dritter Vorbehalt betrifft die Beteiligung Groß-Berlins am Bund. Wir interpretieren den Inhalt der Artikel 23 und 144 (2) des Grundgesetzes dahin, dass er die Annahme unseres früheren Ersuchens darstellt, demzufolge Berlin keine abstimmungsberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag oder Bundesrat erhalten und auch nicht durch den Bund regiert werden wird, dass es jedoch eine beschränkte Anzahl Vertreter zur Teilnahme an den Sitzungen dieser gesetzgebenden Körperschaften benennen darf
5. Ein vierter Vorbehalt bezieht sich auf die Artikel 29 und 118 und die allgemeinen Fragen der Neufestsetzung der Ländergrenzen. Abgesehen von Württemberg-Baden und -Hohenzollern hat sich unsere Haltung in dieser Frage, seitdem wir die Angelegenheit mit Ihnen am 2. März besprochen haben, nicht geändert. Sofern nicht die Hohen Kommissare einstimmig eine Änderung dieser Haltung beschließen, sollen die in den genannten Artikeln festgelegten Befugnisse nicht ausgeübt werden und die Grenzen aller Länder mit Ausnahme von Württemberg-Baden und -Hohenzollern bis zum Zeitpunkt des Friedensvertrages, so wie sie jetzt festgelegt sind, bestehen bleiben.
6. Wir sind fünftens der Auffassung, dass Artikel 84, Absatz 5, und Artikel 87, Absatz 3, dem Bund sehr weitgehende Befugnisse auf dem Gebiet der Verwaltung geben. Die Hohen Kommissare werden der Ausübung dieser Befugnisse sorgfältige Beachtung schenken müssen, um sicherzustellen, dass sie nicht zu einer übermäßigen Machtkonzentration führen.
7. Bei unserer Zusammenkunft mit Ihnen am 25. April unterbreiteten wir Ihnen eine Formel, in der auf englisch der Sinn des Artikels 72 (2), 3, wiedergegeben war. Diese Formel, die Sie annahmen, da Sie Ihre Auffassung wiedergebe, lautete wie folgt:
„… weil die Wahrung der Rechts- oder wirtschaftlichen Einheit sie erfordert, um die wirtschaftlichen Interessen des Bundes zu fördern oder eine angemessene Gleichheit wirtschaftlicher Möglichkeiten für alle Menschen sicherzustellen.“
Wir möchten Sie davon unterrichten, dass die Hohen Kommissare diesen Artikel in Übereinstimmung mit dem vorliegenden Text auslegen werden.
8. Um die Möglichkeit zukünftiger Rechtsstreitigkeiten auszuschalten, möchten wir klarstellen, dass wir bei der Genehmigung der Verfassungen für die Länder bestimmten, dass nichts in diesen Verfassungen als Beschränkung der Bestimmungen der Bundesverfassung ausgelegt werden kann. Ein Konflikt zwischen den Länderverfassungen und der vorläufigen Bundesverfassung muß daher zugunsten der letzteren entschieden werden.
9. Wir möchten es auch klar verstanden wissen, dass nach Zusammentritt der gesetzgebenden Körperschaften, die das Grundgesetz vorsieht und nachdem entsprechend dem im Grundgesetz festgeleg
ten Verfahren die Wahl des Präsidenten sowie die Wahl und Ernennung des Kanzlers bzw. der Bundesminister erfolgt sind, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland konstituiert ist und das Besatzungsstatut daraufhin in Kraft tritt.
10. Nach Vollendung seiner letzten Aufgabe, wie sie in Artikel 145, Absatz 1, festgelegt ist, wird der Parlamentarische Rat aufgelöst. Wir möchten diese Gelegenheit benützen, um die Mitglieder des Parlamentarischen Rates zur erfolgreichen Vollendung ihrer unter kritischen Verhältnissen durchgeführten schwierigen Aufgabe sowie zu der offenkundigen Sorgfalt und Gründlichkeit, mit der sie ihre Arbeit geleistet haben, und zu der Hingabe an demokratische Ideale, nach deren Erreichung wir alle streben, zu beglückwünschen.
Frankfurt, den 12. Mai 1949
gez.
Lucius D. Clay
General US-Army
Militärgouverneur
Amerikanische Zone​
gez.
B. H. Robertson
General
Militärgouverneur
Britische Zone​
gez.
Pierre Koenig
General der Armee
Militärgouverneur
Französische Zone​